Regelung im März geändert
Die wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche angeklagte Ärztin hatte die bundesweite Debatte über den Abtreibungsparagrafen § 219a StGB seinerzeit ins Rollen gebracht. Im März 2019 wurde die Vorschrift dann geändert. Der § 219a StGB verbietet unter anderem das öffentliche "Anbieten" oder "Anpreisen" von Schwangerschaftsabbrüchen "seines Vermögensvorteils wegen" oder in "grob anstößiger Weise". Im vorliegenden Fall ging es laut Gericht zwar um sachliche Informationen auch zu Risiken und möglichen Komplikationen von Abtreibungen. Doch das gehe über den erlaubten Rahmen hinaus. Bei der Reform erhielt der § 219a StGB einen neuen Absatz, wonach Ärzte öffentlich informieren können, dass sie Abbrüche vornehmen. Für weitergehende Informationen müssen sie jedoch an andere Stellen verweisen.
Gericht äußerte Bedenken an Verfassungsmäßigkeit
Der Berufungsprozess musste nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt wegen der neuen Rechtslage noch einmal aufgerollt werden. Das LG Gießen befand nun, dass die 63-Jährige gegen das Werbeverbot verstoßen hat, indem sie auf ihrer Internetseite Schwangerschaftsabbrüche als Leistung sowie weitergehende Informationen dazu angeboten hatte. Die Kammer machte gleichzeitig deutlich, dass sie es für fraglich hält, ob der § 219a StGB verfassungsgemäß ist. "Man kann erhebliche Bedenken haben", sagte die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze. Der Paragraf sei auch nach der Reform im März "nicht gelungen", er sei ein Kompromiss im "Schnellstrickverfahren" und widersprüchlich. Die Gerichte seien aber an die gültigen Gesetze gebunden, begründete die Richterin den Schuldspruch.
Verfassungsbeschwerde geplant
Hänel will nun in Revision gehen und perspektivisch ihr Ziel bis Karlsruhe weiterverfolgen. Dafür müsse ihr Urteil rechtskräftig werden. "Dann ist der Weg zum Verfassungsgericht für uns frei." Für die Ärztin und ihren Verteidiger ist klar: Der § 219a StGB verstößt gegen Grundrechte wie die Meinungs- sowie Berufsfreiheit, beschneidet Frauen in ihrem Recht auf Informationsfreiheit und gehört in dieser Form abgeschafft. Die Vorschrift sei ein "ideologisches Ungetüm", die dringend grundsätzlich überprüft werden müsse, betonte Rechtsanwalt Karlheinz Merkel. Hänel sagte: "Was soll daran Böses sein, wenn eine Ärztin ihrer Pflicht zu informieren nachkommt?"
Keine Rechtssicherheit für Ärzte
Das sei absurd und schaffe für die Ärzte keine Rechtssicherheit, sagte Hänel, die von Abtreibungsgegnern angezeigt worden war. Frauen in Notlagen fehle zudem die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren. Gerichte hatten zuletzt in ähnlichen Fällen unterschiedlich geurteilt. Im Sommer wurde das Strafverfahren gegen zwei Kasseler Frauenärztinnen eingestellt, kurz darauf wurden zwei Berliner Gynäkologinnen dagegen zu Geldstrafen verurteilt.
Geldstrafe von 6.000 Euro
Hänel war 2017 in erster Instanz vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden. 2018 verwarf das LG die Berufung der Ärztin. Nun, im neu aufgerollten Prozess, reduzierten die Richter das Strafmaß. Zum einen, weil Hänels Verstoß im "unteren Bereich" des Strafbaren liege. Zum anderen, weil sie nach der Gesetzesreform informieren dürfe, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Die Staatsanwaltschaft hatte ebenfalls auf ein milderes Strafmaß plädiert. Nach dem Urteil werden Forderungen nach politischen Konsequenzen laut. "Der § 219a StGB muss jetzt komplett abgeschafft werden", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae. Die Grünen im Bundestag befanden, dass auch die Neuregelung "untragbar" sei.