Obligatorische Angabe von "Herr" oder "Frau" diskriminierend
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Die obligatorische Angabe von "Herr" oder "Frau" verletzt Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Dies hat das Landgericht Frankfurt am Main im Zusammenhang mit der Buchung von Bahntickets entschieden. Es müsse dem Kunden möglich sein, eine geschlechtsneutrale Anrede zu wählen. Eine Geldentschädigung für die Verletzung sei hier jedoch nicht erforderlich.

Fahrkartenbuchung bei Bahnkonzern nur mit Anrede

Die Beklagte ist die Vertriebstochter eines deutschlandweit tätigen Eisenbahnkonzerns. Bei der Buchung einer Fahrkarte über deren Internetauftritt muss der Kunde die Anrede "Herr" oder "Frau" wählen. Eine geschlechtsneutrale Anrede ist nicht verfügbar. Die Auswahl kann auch nicht offengelassen werden. Auch die Registrierung als Kunde erfordert die Festlegung auf "Herr" oder "Frau". Zuschriften der Beklagten enthalten ebenfalls eine dieser beiden Anredeformen. Die klagende Person nicht-binären Geschlechts wurde nach dem Kauf einer Rabattkarte in einer Rechnung als "Herr" angesprochen.

Geschlechtsneutrale Anrede muss zur Wahl stehen

Das Gericht gab der Klage teilweise statt. Die klagende Person könne von dem beklagten Eisenbahnunternehmen verlangen, bei der Nutzung seiner Angebote nicht zwingend die Anrede "Herr" oder "Frau" angeben zu müssen. Es müsse die Wahl einer geschlechtsneutralen Anrede bestehen. Auch in der Kommunikation mit der klagenden Person und bei der Speicherung ihrer Daten sei eine Bezeichnung als "Herr" oder "Frau" zu unterlassen. Durch die notwendige Festlegung auf "Herr" oder "Frau" werde die klagende Person in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dieses Recht schütze auch die geschlechtliche Identität. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelte das unabhängig davon, ob die Person dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann oder nicht. "Für das Auftreten in einer bestimmten Geschlechtsidentität ist nach allgemeinem Verständnis die Anredeform von zentraler Bedeutung", erklärt das LG.

Geschlechtsspezifische Anrede nicht erforderlich

Um die Dienstleistungen des beklagten Eisenbahnunternehmens zu nutzen, sei das Geschlecht des Kunden völlig irrelevant. Die Beklagte könne daher eine andere Grußformel, etwa "Guten Tag", schaffen oder auf eine geschlechtsspezifische Anrede gänzlich verzichten. Unerheblich sei auch, dass die klagende Person keine Änderung im Personenstandsregister veranlasst habe und beim Standesamt nicht die Eintragung des diversen Geschlechts erfolgt sei. "Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beginnt für Personen nicht-binären Geschlechts nicht erst mit erfolgter Personenstandsänderung", so die Richterinnen und Richter. Das Recht auf eine der geschlechtlichen Identität entsprechenden Anrede bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits bei gefühlter Geschlechtsidentität.

Persönlichkeitsrechtsverletzung erfordert keine Geldentschädigung

Den weiteren Antrag der klagenden Partei auf Entschädigung in Geld wies das Gericht hingegen ab. Die Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem AGG seien nicht gegeben. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung sei auch nicht derart schwerwiegend, dass sie eine Geldentschädigung erfordere. Das Verschulden der Beklagten sei gering: Die Anrede als "Herr" in einem einzelnen Rechnungsschreiben sei nicht böswillig erfolgt, sondern nur Reflex massenhafter Abwicklung standardisierter Vorgänge.

LG Frankfurt a. M., Urteil vom 03.12.2020 - O 131/20

Redaktion beck-aktuell, 3. Dezember 2020.