Bahnbetreiberin haftet anteilig nach tödlichem Unfall an Gleisübergang

Die Betreiberin eines Zuges haftet nach einem tödlichen Unfall an einem Gleisübergang trotz erheblichen Eigenverschuldens einer verunglückten Person anteilig, wenn die Betriebsgefahr der Bahn wegen der Beschaffenheit des Bahnübergangs erhöht war. Das hat das Landgericht Frankfurt am Main entschieden. Im Jahr 2015 war an einem Bahnübergang in Kelkheim-Münster im Main-Taunus-Kreis eine 16-jährige Schülerin auf dem Weg zur Schule von einem Zug erfasst worden. Das Mädchen verstarb noch an der Unfallstelle.

Bahnübergang nur durch "Drängelgitter" gesichert

Der besagte Bahnübergang liegt in einem Wohngebiet und wird von Fußgängern genutzt. Vor den Gleisen befindet sich ein sogenanntes Drängelgitter beziehungsweise eine Umlaufsperre. Lichtzeichen oder akustische Warnsignale werden beim Passieren eines Zuges nicht abgegeben. Die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung zahlte Sterbegeld an die Hinterbliebenen und verklagte die Betreiberin der Schienenbahn auf Erstattung von 40% dieser Kosten. Sie argumentierte: Zwar habe das Mädchen ein Eigenverschulden an dem Unfall getroffen. Die beklagte Bahnbetreiberin treffe aber ein Mitverschulden, weil der Bahnübergang nur durch das Drängelgitter gesichert gewesen sei, das auch Kinder und Jugendliche unachtsam passierten.

LG bestätigt Vorinstanz und bejaht Haftung

Das LG Frankfurt am Main hat dazu in zweiter Instanz entschieden, dass die Betreiberin der Bahn zu einem Drittel für den Unfall hafte. Es hat damit eine Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt am Main bestätigt und eine Berufung der Bahnbetreiberin zurückgewiesen. In dem Berufungsverfahren vor dem LG wurden mehrere Gutachten verschiedener Sachverständiger eingeholt.

Betriebsgefahr maßgeblich erhöht

Aufgrund dieser ausführlichen Expertisen stellte das LG fest, dass die Betriebsgefahr des Zuges bei dem tödlichen Unfall wegen der Beschaffenheit des Bahnübergangs maßgeblich erhöht war. Das rechtfertige trotz eines erheblichen Eigenverschuldens der Schülerin eine Mithaftung der Bahnbetreiberin.

Einschränkung der Sicht auf Gleise festgestellt

Das LG stellte fest, dass an dem Bahnübergang die notwendige "Übersicht", also die Sichtweite zu einem herannahenden Zug, zwar noch gegeben sei – dies aber erst, sobald der Fußgänger schon durch das Drängelgitter hindurchgegangen sei und sich unmittelbar vor den Gleisen befinde. Bis zu diesem Moment werde die Sicht nach den Angaben beider Sachverständiger durch die am Gleisübergang wachsenden Hecken und außerdem durch ein dort befindliches Warnschild eingeschränkt.

Abstand der Umlaufsperre zur Gleismitte zu gering

Weiter verwies das Gericht auf einen weiteren Mangel des Bahnübergangs, der vom Gutachter festgestellt wurde. Danach sei der lichte Abstand der Umlaufsperre zur Gleisachse, also der Gleismitte, zu gering. Nach den einschlägigen Vorschriften (Vorschrift für die Sicherung der Bahnübergänge bei nichtbundeseigenen Eisenbahnen) müsse die Entfernung vom Drängelgitter zur Gleismitte drei Meter betragen, zum ersten Gleisstrang mindestens 2,25 Meter. An der Unfallstelle seien es jedoch nur 2,60 Meter zur Gleismitte beziehungsweise 1,85 Meter zum ersten Gleisstrang. Die fehlenden 40 Zentimeter seien nicht unerheblich, denn sie entsprächen bei mäßigem Lauftempo in etwa einem Schritt. "Zum ersten Gleisstrang fehlen fast 20% des notwendigen Abstandes", stellte das LG fest.

Auch Lage des Gleisübergangs zu berücksichtigen

Die Gesamtschau dieser Faktoren führt laut Gericht dazu, dass der betreffende Bahnübergang sehr gefährlich ist und jedenfalls hinsichtlich des Abstandes der Umlaufsperre zu den Gleisen gegen die einschlägigen Vorschriften verstößt. Beachtlich sei auch, dass es sich um einen Gleisübergang innerhalb eines Ortes in einem Wohngebiet handelt, der regelmäßig von Schulkindern begangen wird. Zwar sei es nach § 11 Abs. 9 EBO erlaubt, eine Bahnstrecke ("nur") durch eine Übersicht und Umlaufsperre zu sichern. Dass das im konkreten Fall ausreiche, sei damit freilich nicht gesagt, so das LG.


LG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.02.2022 - 2-01 S

Redaktion beck-aktuell, 9. März 2022.

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