LG Frankfurt a. M.: Eine Modellrakete ist kein Luftfahrzeug

LuftVG § 1, § 43

Das Landgericht Frankfurt am Main hat in einem Urteil entschieden, dass eine Modellrakete, die zur Freizeitgestaltung gestartet wird, kein Luftfahrzeug ist.

LG Frankfurt a. M., Urteil vom 21.02.2020 - 2-08 S 12/19 (AG Bad Homburg), BeckRS 2020, 5177

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 8/2020 vom 16.04.2020

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Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Einstandspflicht der beklagten Versicherung. Zwischen der Ehefrau des Klägers und der Beklagten besteht ein Haftpflichtversicherungsvertrag, im Rahmen dessen der Kläger mitversichert ist.

Am 22.02.2015 startete der Kläger auf einem Feldweg eine Rakete, die eine Länge von 47 cm, einen Durchmesser von 2,5 cm und ein Gewicht von 35 g aufwies. Durch das Zischen der Rakete beim Start scheute in etwa 120 Metern Entfernung das vor eine Kutsche gespannte Pferd und zwei in der Kutsche befindliche Personen fielen hinaus.

Das Amtsgericht hatte der daraufhin erhobenen Klage auf Versicherungsschutz wegen der Ansprüche der Geschädigten aus dem Unfall stattgegeben.

Rechtliche Wertung

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Versicherungsschutz wegen der Ansprüche der Geschädigten aus dem Unfall vom 22.02.2015 zu.

Der Anspruch des Klägers auf Versicherungsschutz sei nicht nach III. der Versicherungsbedingungen ausgeschlossen. Nicht versichert sind nach dieser Klausel Schäden, die durch den Gebrauch eines Kraft-, Luft- oder Wasserfahrzeugs entstanden sind, sofern das Fahrzeug dabei der Versicherungspflicht unterliegt. Nach § 43 Abs. 2 LuftVG ist der Halter eines Luftfahrzeugs verpflichtet, zur Deckung seiner Haftung auf Schadensersatz eine Haftpflichtversicherung zu unterhalten.

Der streitgegenständliche Gegenstand unterfalle nicht § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 11 LuftVG, so das Gericht weiter, wonach Luftfahrzeuge auch sonstige für die Benutzung des Luftraums bestimmte Geräte sind, sofern sie in Höhen von mehr als dreißig Metern über Grund oder Wasser betrieben werden können. Diese Geräte sind nach Ansicht des Berufungsgerichts vor dem Hintergrund einer Gesamtschau der in § 1 Abs. 2 LuftVG aufgeführten Fahrzeuge zu verstehen.

Den in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 10 LuftVG genannten Fluggeräten sei gemein, dass ihr Flugverhalten gesteuert oder doch beeinflusst werden kann. Die Steuerbar- bzw. Beeinflussbarkeit erscheine zwar bei den unter § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 LuftVG genannten Geräten auf den ersten Blick kein Merkmal zu sein. Durch die Formulierung «betrieben» erführen diese Geräte aber insoweit bereits eine Einschränkung, als ein Betreiben nach dem allgemeinen Verständnis eine zumindest theoretische Beherrschbarkeit des Gegenstandes voraussetze.

Die Gesamtschau der in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 10 LuftVG aufgeführten Fahrzeuge ergebe ungeachtet einer Beherrschbarkeit, dass ihnen die Fähigkeit eines Verbleibs in der Luft gemein ist. Jeder der aufgeführten Gegenstände beschränke sich nicht nur auf einen Start- und Landevorgang, sondern biete zugleich die Möglichkeit, den Luftraum vertikal, diagonal und horizontal für eine gewisse Zeit zwischen dem Auf- und Absteigevorgang zu nutzen. Die streitgegenständliche Rakete hingegen finde ihre Bestimmung ausschließlich in einem In-die-Luft-Schießen und einem Retour-Kommen. Eine Fahrt im Luftraum vermöge sie dazwischen nicht vorzunehmen.

Überdies sei den in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 10 LuftVG aufgeführten Fahrzeugen gemein, dass ihre Bauweise, Größe und ihr Gewicht in der Zusammenschau nicht mit der der streitgegenständlichen Rakete vergleichbar sei.

Nach alledem sei die streitgegenständliche Rakete nicht in die Reihe der genannten Luftfahrzeuge einzureihen.

Der streitgegenständliche Gegenstand unterfalle auch nicht dem Begriff des Flugmodells nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 LuftVG. Ein Flugmodell sei ein Fluggerät in Modellform. Es handele sich also um eine verkleinerte Nachbildung eines Luftfahrzeugs. Der streitgegenständliche Gegenstand sei keine Nachbildung eines Luftfahrzeugs, sondern eine Rakete. Selbst wenn man den Gegenstand als Modellrakete auffassen möchte, ergebe sich nichts Anderes. Raketen als solches seien nämlich keine Luftfahrzeuge. Bei den in § 1 Abs. 2 Satz 2 LuftVG genannten Gegenständen (Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper) handele es sich gerade nicht um Luftfahrzeuge. Sie gölten nur als Luftfahrzeuge, was eine Fiktion bedeute.

Praxishinweis

Die vom LG Frankfurt am Main vertretene Auffassung, dass aus der Formulierung «betrieben» in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 LuftVG eine Beherrschbarkeit des Gegenstandes folge, ist nicht unumstritten. In der Literatur wird der Begriff des Betriebs teilweise weiter ausgelegt mit der Begründung, dass gerade von nicht beherrschbaren Flugobjekten eine besondere Gefahr ausgeht (vgl. Giemulla in Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, § 1 Rn. 28 sowie Schwenk/Giemulla, HdB des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl., Kap. 7 Rn. 12 f.; Grabherr/Reidt/Wysk, § 1 Rn. 34). Danach könnte z.B. zweifelhaft sein, ob der (verbotene) Einsatz einer sogenannten «Himmelslaterne» nicht unter den Ausschluss fällt.

Praxisrelevanter als die Freizeitgestaltung mittels Modellraketen ist der private Betrieb von Drohnen. Drohnen gelten, da sie Flugmodelle im Sinn des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 LuftVG sind, als Luftfahrzeuge. Für sie gilt danach das, was für andere Luftfahrzeuge auch gilt: Die Benutzung des Luftraums ist grundsätzlich frei, soweit sie nicht beschränkt wird. Eben diese Beschränkung der freien Nutzung des Luftraums erfolgt durch die auf Grundlage des § 32 LuftVG vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Verordnung zur Regelung des Betriebs von unbemannten Fluggeräten vom 30.03.2017 (ausführlich Holle/Bredebach, NZV 2020, 132).

Redaktion beck-aktuell, 28. April 2020.