Keine Widerrufsbelehrung, kein Gärtnerlohn? - Ein fatales Urteil
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Das LG Frankenthal hat einem Gärtner den Werklohn verweigert: Er habe den Kunden nicht über sein Widerrufsrecht belehrt. Dabei hat der die Arbeiten bestellt, abgenommen und genutzt. Christoph Ph. Schließmann sieht gravierende Missbrauchsgefahren – nicht zuletzt für anwaltliche Dienstverträge.

Das LG Frankenthal hat im April einem Verbraucher recht gegeben, der sich weigerte, die Leistung eines Handwerkers zu bezahlen, obwohl der Gartenbauer diese vollständig auftragsgemäß erbracht hatte. Der Kunde aus dem Landkreis Bad Dürkheim besaß einen großen Garten, der völlig verwildert war. Er beauftragte den Gartenbauer telefonisch mit umfangreichen Arbeiten, ließ diese geschehen und nahm sie widerspruchslos ab. Wochen später aber, nachdem der Gärtner seine Rechnung über knapp 19.000 Euro gestellt hatte, widerrief der Grundstückseigentümer unter Berufung auf eine unterlassene Widerrufsbelehrung.

Das LG Frankenthal gab ihm auf ganzer Linie recht: Es versagte dem Unternehmer nicht nur den Werklohn, sondern auch jeden Wertersatz (Urteil vom 15.04.2025 – 8 O 214/24)

Juristisch ist das Urteil nach geltender Rechtslage korrekt. Wirtschaftlich aber ist es eine toxische Entscheidung. So wird das Zivilrecht zum Werkzeug einer ökonomischen Täuschung, geschützt durch und legitimiert über Verbraucherschutznormen. Das Urteil gefährdet nicht nur kleine Handwerksbetriebe in ihrem täglichen Geschäft. Seine Systematik ist auch auf Dienstleistungsverträge übertragbar – Freiberufler wie Anwältinnen und Anwälte sind besonders betroffen.

Die juristische Bewertung

Der Vertrag fällt als Haustürgeschäft unter § 312b BGB. Ohne ordnungsgemäße Belehrung begann die Widerrufsfrist nicht zu laufen (§ 356 Abs. 3 BGB). Und wenn nicht über Wertersatz belehrt und kein ausdrücklicher Wunsch zur sofortigen Ausführung erklärt wurde (§ 356 Abs. 4 Nr. 2, 3 BGB), entfällt jede Vergütung.

So weit, so juristisch korrekt. Und das LG folgt in seinem Urteil zudem der Linie des EuGH. Der stellte sich 2023 voll auf Verbraucherseite und urteilte, dass bei fehlender Widerrufsbelehrung der Ausschluss des Wertersatzes die notwendige Sanktion für den den Verbraucher übervorteilenden Unternehmer sein müsse (Urteil vom 17.05.2023 – C-97/22).

Die wirtschaftliche Realität

So sauber die dogmatische Argumentation ist, so bedenklich ist ihre wirtschaftliche Wirkung. Das Urteil legalisiert faktisch, dass ein Verbraucher Leistungen in Anspruch nimmt, davon profitiert – und später jede Zahlung verweigert, wenn nur die Belehrung fehlt. Das ist kein Verbraucherschutz mehr, sondern ein Anreizsystem für rechtsmissbräuchliches Verhalten.

Es widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn Leistungen vollständig erbracht und angenommen werden und dennoch ohne jeden Ausgleich bleiben.

Dabei hätte das LG Frankenthal Möglichkeiten gehabt, dieses evident unbillige Ergebnis zu vermeiden. Doch es hat nicht geprüft, ob das Verhalten des Verbrauchers als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist. Auch eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung (§§ 812 ff. BGB) findet sich in den Urteilsgründen nicht.

Verbraucherschutz als Mittel des Rechtsmissbrauchs

In der Konsequenz legitimiert das Urteil eine Verhaltensweise, die dem strafrechtlichen Eingehungsbetrug (§ 263 StGB) zumindest strukturell ähnelt: Ein Vertrag wird initiiert, die Leistung widerspruchslos angenommen. Doch am Ende verweigert der Vertragspartner die Gegenleistung unter Berufung auf Formverstöße.

Das Zivilrecht wird so zum Werkzeug ökonomischer Täuschung – geschützt durch Verbraucherschutznormen. Es entsteht der fatale Eindruck, dass über Formfehler eine Leistungserschleichung zivilrechtlich legitimiert wird. Das trifft insbesondere kleine Betriebe ins Mark – ohne juristische Begleitung vor Ort geraten sie leicht in existenzielle Gefahr.

Sollte sich diese Judikatur durchsetzen, würden gravierende Verwerfungen drohen: Einfache Aufträge vor Ort würden wirtschaftlich unkalkulierbar, das Werkvertragsrecht würde durch das Widerrufsrecht entkernt. Und spontane Vertragsabschlüsse würden zum Haftungsrisiko. Das untergräbt das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung – und damit den Kern der Privatautonomie und Vertragstreue im BGB.

Anwälte besonders betroffen

Besonders besorgniserregend ist, dass diese Systematik auch auf Dienstleistungsverträge übertragbar ist – einschließlich der anwaltlichen Praxis. Inzwischen häufen sich Fälle, in denen Mandanten über Onlineformulare, E-Mail oder Telefon Kontakt aufnehmen, eine Erstberatung wünschen, diese auch erhalten – und Wochen später unter Hinweis auf eine fehlende Widerrufsbelehrung die Zahlung verweigern.

Auch hier entfällt der Wertersatz, wenn § 356 Abs. 4 BGB und § 357 Abs. 8 BGB nicht eingehalten wurden. Damit entsteht auch für Anwaltskanzleien ein reales wirtschaftliches Risiko – mit gravierenden Reputations- und Haftungsfolgen.

Keine Handwerkerin und kein Dienstleister sollte mehr eine Leistung erbringen ohne nachweisliche Widerrufsbelehrung in Textform. Wird die Leistung sofort erbracht, ist eine Verzichtserklärung auf das Widerrufsrecht nötig. Die ausdrückliche Zustimmung muss dokumentiert werden, auch elektronisch, z.B. via App oder E-Mail.

Das gilt auch und gerade für Anwältinnen und Anwälte: Sie sollten ihre Mandatsannahmeprozesse digitalisieren und absichern, um derartige Konstellationen rechtssicher zu vermeiden.

Der Gesetzgeber muss gegensteuern

Das Urteil des LG Frankenthal ist Ausdruck einer gefährlichen Entwicklung: Der Schutz vor Übervorteilung wird zur Lizenz zur Leistungsverweigerung. Was als Verbraucherschutz gedacht war, wird – in der Hand der Falschen – zum Mittel des Rechtsmissbrauchs.

Es braucht dringend eine gesetzliche oder zumindest eine höchstrichterliche Korrektur: Wenn eine Leistung sichtbar und widerspruchslos angenommen wird, müssen Verwirkungstatbestände anerkannt werden. § 242 BGB muss konsequenter als Korrektiv gegen treuwidrige Ausnutzung von Widerrufsrechten eingesetzt werden. Denkbar wäre auch eine subsidiäre Wertersatzpflicht der Kundschaft selbst bei unterlassener Belehrung, wenn die Leistung offenkundig genutzt wurde.

Der Gesetzgeber ist aufgerufen, gegenzusteuern. Ansonsten droht ein Vertragsrecht, das Leistung ohne Gegenleistung systematisch duldet – und damit seine wirtschaftliche Legitimation verliert.

Der Autor Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht und für Arbeitsrecht in Frankfurt a. M. Die Kanzlei CPS Schließmann Wirtschaftsanwälte ist auf die Rechts- und Strategieberatung von Unternehmern fokussiert. Schließmann ist Honorarprofessor für Wirtschaft und Recht an der Universität Salzburg.

LG Frankenthal, Urteil vom 15.04.2025 - 8 O 214/24

Gastbeitrag von Christoph Ph. Schließmann, 12. Mai 2025.

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