"EncroChat" dem EuGH vorgelegt
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Das Berliner Landgericht hat dem EuGH einen sogenannten EncroChat-Fall vorgelegt. Die Berliner Richter stellen Fragen rund um die Europäische Ermittlungsanordnung, etwa ob die Richtlinie keinen Richter als Anordnungsbehörde vorsieht. Auch die BGH-Rechtsprechung, wonach mögliche Verstöße gegen Unionsrecht in der Abwägung eine Beweisverwertung nicht hindern, steht auf dem Tapet. Das Strafverfahren wird bis zur Entscheidung ausgesetzt, wobei das LG wegen des strafrechtlichen Beschleunigungsgebots hofft, dass die Luxemburger Richter schnell entscheiden.

Französischen Server mit Telekommunikationsdaten ausgelesen

Ein Mann steht wegen des Vorwurfs des Betäubungsmittelhandels vor dem Berliner Landgericht. Grundlage der Anklage ist ganz wesentlich die Datenauswertung eines französischen Servers. Nach diesen Daten soll der Berliner 188 kg Marihuana und 3,25 kg Kokain gekauft und verkauft haben. Zur Abwicklung seiner Geschäfte soll er ein sogenanntes Kryptohandy von der Firma EncroChat genutzt haben; die Kommunikation über dieses Handy kann mit herkömmlicher Überwachungstechnik nicht entschlüsselt werden. Die französischen Behörden schafften es, einen Trojaner einzuschleusen und so rund 32.000 Nutzer – davon etwa 4.600 in Deutschland – zu finden und deren übermittelten Daten zu entschlüsseln. Die technische Seite der Auslesung blieb aber geheim, da das französische Militär hierin involviert war. Strafverteidigern gelang es aber später, Dokumente beizubringen, die bewiesen, dass die deutschen Behörden schon im Vorfeld der Datenübermittlung eingebunden worden waren. Die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main leitete gegen alle Nutzer der EncroChat-Telefone Ermittlungsverfahren unter anderem wegen bandenmäßigen Betäubungsmittelhandels ein, weil die Nutzung dieser nicht billigen Handys schwerwiegende kriminelle Handlungen vermuten lasse. Dann holte sie sich vom Strafgericht in Lille (Frankreich) die Erlaubnis, sich die Daten der deutschen Nutzer übermitteln zu lassen und gerichtlich zu verwerten. Nach der Identifizierung eines Nutzers trennte sie das individuelle Strafverfahren ab und gab es an die lokale Staatsanwaltschaft, um die Vorgänge rund um die Auslesung und Übermittlung der Daten aus Frankreich im Dunkeln zu lassen. Die 25. große Strafkammer des Berliner Landgerichts legte dem EuGH im Wesentlichen folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Wer darf die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) treffen?

Das Landgericht fragt, ob Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 c der Richtlinie 2014/41 (EEA) einen Richter als Anordnungsbehörde vorsieht oder ob – wie hier – eine Generalstaatsanwaltschaft ausreicht, um Beweismittel aus dem Nachbarland zu erlangen. Nach nationalem Recht hätte gemäß den §§ 100 a ff. StPO unbedingt ein Richter die Auslesung der Endgeräte anordnen müssen. Das IRG regele die funktionale Zuständigkeit für die EEA nicht. Die Berliner Richter sind der Ansicht, dass die Richtlinie einen Richter als Anordnungsbehörde verlange, um die Rechte der betroffenen Bürger zu wahren.

Ist der Beweistransfer rechtmäßig, wenn die Datenerhebung in Deutschland unzulässig ist?

Nach nationalem Recht hätte keine Überwachung der Telekommunikation erfolgen dürfen, so das LG, denn allein die Nutzung eines Telefons der Firma EncroChat begründe keinen Verdacht einer Katalogtat nach den §§ 100a ff. StPO. Außerdem seien zum Zeitpunkt der Anordnung keinerlei konkrete Sachverhalte bekannt gewesen, die eine Straftat auch nur in Umrissen beschrieben hätte. Stützend auf den unionsrechtlichen Grundrechtsschutz gegen heimliche Abhörmaßnahmen und die Rechtsprechung hierzu, etwa zur Vorratsdatenspeicherung, tendiert das Landgericht zu der Auffassung, dass auch die Voraussetzungen des europäischen Datentransfers nicht erfüllt gewesen sind. Das auch im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren: Wenn das Ausleseverfahren wegen der Geheimhaltung eines militärischen Geheimnisses nicht auf Fehler überprüft werden kann, könne sich der Beschuldigte nicht wirksam verteidigen.

Folgt einer unionsrechtswidrigen Ermittlungsanordnung ein Beweisverwertungsverbot?

Hier bezieht sich das Landgericht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, das in ständiger Rechtsprechung ein Beweisverwertungsverbot immer unter anderem davon abhängig macht, wie schwer die begangene Tat ist. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH, wonach auch die Bekämpfung schwerer Straftaten keine unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung rechtfertige, halten die Berliner Richter ein Beweisverwertungsverbot für unrechtmäßig erworbene Beweismittel für richtig.

Redaktion beck-aktuell, 2. November 2022.