LG Dortmund: 32 Jahre nach Mord wird Tatverdächtiger in Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen

Mehr als 32 Jahre nach dem Mord an einem siebenjährigen Jungen in Essen ist ein lange verdächtigter Mann doch noch freigesprochen worden. Der heute 54 Jahre alte, geistig behinderte Mann war wegen der Tat 1986 für unbestimmte Zeit in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden und hatte mehr als 30 Jahre in Unfreiheit verbracht. Im jetzt anberaumten Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Dortmund konnten die Richter dem Beschuldigten den Mord allerdings nicht eindeutig nachweisen.

Gericht verneint Justizskandal: Anhaltspunkte für Täterschaft lagen vor

Der Vorsitzende Richter Ulf Pennig wollte in der Urteilsbegründung aber ausdrücklich nicht von einem Justizskandal sprechen. Es habe seinerzeit durchaus Anhaltspunkte für die Täterschaft des Verdächtigen gegeben. Unter anderem hatte der Mann bei der Polizei ein Geständnis abgelegt und offen zugegeben, pädophile Neigungen zu haben.

Wegen Behinderung in geschlossene Psychiatrie eingewiesen

Der heute 54-Jährige war bereits kurz nach dem Tod des Jungen als Verdächtiger festgenommen worden. Er hatte die Tat zwar zunächst bei der Polizei gestanden, widerrief das Geständnis später aber. Die Richter am damals zuständigen Essener Schwurgericht hatten ihn trotzdem verurteilt. Wegen seiner Behinderung kam eine lebenslange Haft wegen Mordes nicht in Betracht. Deshalb war der Mann auf unbestimmte Zeit in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden.

Anderer Täter gesteht später ebenfalls Gewalttat an Kind

Elf Jahre nach dem ersten Urteil des Essener Schwurgerichts hatte allerdings auch ein anderer Mann den Mord an dem Jungen zugegeben. Auch dieses Geständnis habe durchaus Täterwissen offenbart, sagen die Dortmunder Richter jetzt. Es bleibe daher unklar, wer wirklich für das Gewaltverbrechen verantwortlich sei. Sie könnten nämlich auch nicht mit Sicherheit sagen, dass der zweite Mann die Tat verübt habe.

OLG ordnet erneute Prüfung des Falles an

Erst rund 20 Jahre nach dem - inzwischen allerdings ebenfalls widerrufenen - Geständnis des anderen Mannes landete der Dortmunder Fall erneut bei Gericht. Mehrere Versuche der Verteidiger des in der Psychiatrie sitzenden Verurteilten, das Verfahren neu aufzurollen, scheiterten bis dahin. Als das Oberlandesgericht Hamm eine erneute Prüfung des Falles anordnete, kam das inzwischen zuständige Landgericht Dortmund zu dem Schluss, dass die Geschichte neu aufgerollt werden muss.

Schadenersatz zugesprochen

Parallel zu dem Freispruch sprachen die Richter dem 54-Jährigen nun Schadenersatzansprüche für den erlittenen Freiheitsentzug zu. Eine Summe wurde im Urteil jedoch nicht genannt. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Justizministeriums dürfte es aber die höchste Haftentschädigung sein, die das Land jemals einem Häftling gezahlt hat. Seit 2007 liegt die Entschädigung bei 25 Euro pro Tag in Haft, sehr zum Ärger des deutschen Anwaltsvereins, der einen Betrag "nicht unter 100 Euro" fordert. Im Jahr 2015 zahlte Nordrhein-Westfalen insgesamt 298.050 Euro Entschädigung an 128 betroffene Menschen, jüngere Zahlen liegen nicht vor.

Ähnlichkeiten mit Fall Gustl Mollath

Der Dortmunder Fall weist Ähnlichkeiten mit dem Fall Gustl Mollath auf. Im Jahr 2002 hatte die Ehefrau den Nürnberger wegen Körperverletzung angezeigt. Mollath hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen. In zwei Verfahren attestierten ihm Gutachter eine psychische Störung. 2006 wurde er zwar wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen, jedoch in die Psychiatrie eingewiesen. Wegen neuer Erkenntnisse wurde sein Fall wieder aufgerollt: Im August 2014 sprach das nun zuständige Landgericht Regensburg Mollath frei.

Redaktion beck-aktuell, 6. Februar 2018 (dpa).

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