Gericht blieb unter Forderung der Staatsanwaltschaft
Das Gericht blieb mit seinem Urteil am 17.07.2019 gegen den 49-Jährigen unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Anklage hatte sich für eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten ausgesprochen. Damit wäre eine Bewährungsstrafe nicht möglich gewesen. Die Rechtsanwältin einer Nebenklägerin hatte drei Jahre und sechs Monate Haft gefordert. Verteidiger Jann Popkes hatte sich für eine Bewährungsstrafe ausgesprochen, ohne einen Zeitrahmen zu nennen.
An Webcam-Übertragungen teilgenommen
Verurteilt wurde der 49-Jährige am Abend wegen Anstiftung und Beihilfe zum sexuellen und schweren Missbrauch von Kindern. In den Jahren 2010 bis 2011 hat er nach Überzeugung des Gerichts an Webcam-Übertragungen teilgenommen, bei denen ein Kind auf dem Campingplatz in Lügde an der Landesgrenze zu Niedersachsen sexuell missbraucht wurde. Auch hatte er zum gewünschten Fortgang des Geschehens Anweisungen gegeben. Außerdem hatte er sich demnach vor den Augen des Kindes selbst befriedigt. Verurteilt wurde Heiko V. auch wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos. Die Ermittler hatten bei ihm rund 31.000 Fotos und 11.000 Videos gefunden.
Prozess gegen Haupttäter wird im August fortgesetzt
Das LG hatte dieses Verfahren am zweiten Tag im Hauptprozess gegen Andreas V. und Mario S. Ende Juni abgetrennt. Im Gegensatz zu diesen beiden Männern war Heiko V. nie auf dem Campingplatz, wo über Jahre mehr als 40 Kinder hundertfach sexuell missbraucht worden waren. Der Prozess gegen die Dauercamper wird am 01.08.2019 fortgesetzt. Noch im selben Monat sollen die Urteile gesprochen werden.
Geständnis zugunsten des 49-Jährigen gewertet
Das Gericht wertete das Geständnis des bislang nicht vorbestraften Heiko V. bereits am ersten Prozesstag zugunsten des 49-Jährigen. Er habe nie selbst ein Kind missbraucht. Seine Jahre zurückliegenden Taten seien daher nicht vergleichbar mit dem hundertfachen Missbrauch von Kindern durch die Angeklagten Andreas V. und Mario S. Außerdem habe er bereits fast sieben Monate in Untersuchungshaft gesessen.
Richterin machte aus Abscheu über Taten keinen Hehl
Die Vorsitzende Richterin machte in der Urteilsbegründung mehrfach aus ihrem Abscheu über die Taten keinen Hehl. Sie betonte aber auch, dass das Gericht nur die persönliche Schuld des 49-Jährigen zu bewerten hatte. "Wenn wir ihren Fall nicht im Zusammenhang mit Lügde und dem großen medialen Interesse verhandelt hätten, dann wäre ihr Prozess wahrscheinlich vor einem Amtsgericht verhandelt worden. Die Öffentlichkeit hätte davon dann kaum etwas wahrgenommen", sagte Anke Grudder.
Angeklagter voll schuldfähig
Ein Gutachter hatte den Deutschen zum Auftakt für voll schuldfähig erklärt. Der Experte hält Heiko V. nicht für pädophil. "Sein Sexualleben ist auffällig, aber nicht krankhaft", sagte Experte Bernd Roggenwallner. Allerdings sei eine Therapie wohl sinnvoll, weil die Gefahr eines Rückfalls nicht ausgeschlossen werden könne. Heiko V. hatte bereits im Verfahren erklärt, eine Therapie machen zu wollen. Nach Angaben des Gerichts hat die Lebensgefährtin des gelerntes Koches und Kraftfahrers bereits nach Behandlungsmöglichkeiten gesucht.
3.000 Euro für Nebenklägerin
Heiko V. hatte sich bei dem anwesenden Opfer am 17.07.2019 erneut entschuldigt. Auf Anordnung des Gerichts muss er 3.000 Euro an die junge Frau zahlen, die als Nebenklägerin in dem Verfahren auftritt. "Wir wissen, dass das Ihr Leid nicht wieder gutmacht. Sie müssen ein Leben lang mit den Folgen leben", sagte Grudder in Richtung der Frau, die als Kind auf dem Campingplatz missbraucht worden war. Daher könne das Geld nur ein kleiner Trost sein.
NRW-Familienminister kritisiert Bewährungsstrafe
Das Urteil zeigt aus Sicht des nordrhein-westfälischen Familienministers Joachim Stamp (FDP) Rechtslücken. "Das Strafrecht reicht hier nicht aus", kritisierte Stamp am 18.07.2019 in Düsseldorf. "Es kann nicht sein, dass es bei einem solchen Vergehen, was Leben zerstört, eine Bewährungsstrafe geben kann." Der FDP-Politiker wollte das jedoch nicht als Gerichtsschelte verstanden wissen. Die Bewährungsstrafe sei ein falsches Signal, sagte Stamp.
Kinderschutzbund: Keine abschreckende Wirkung
Auch der Deutsche Kinderschutzbund hat das erste Urteil im Missbrauchsfall Lügde kritisiert. NRW-Landesgeschäftsführerin Krista Körbes wollte die Entscheidung zwar nicht juristisch bewerten, äußerte aber Zweifel: Es stelle "sich die Frage, wie das Urteil auf andere Täterinnen und Täter wirkt, die kinderpornografisches Material besitzen oder zu sexueller Gewalt anstiften. Ich bin nicht sicher, ob dieses Signal wirklich abschreckend genug ist", sagte sie.
Staatsanwaltschaft hält sich Revision offen
Die Staatsanwaltschaft Detmold hat derweil noch keine Entscheidung getroffen, ob das Urteil durch den Bundesgerichtshof in Karlsruhe überprüft werden soll, wie eine Sprecherin auf Anfrage sagte. Nach Auskunft des Verteidigers wird für seinen Mandanten keine Revision beantragt.