Opfer leidet unter schweren psychischen Folgen
Nur um wenige Zentimeter verfehlt der Pistolenschuss das Herz der Zwölfjährigen. Es ist Silvester, das Mädchen hat vor dem Haus ihrer Familie in Salzgitter gerade ein Handy gezückt, um ihren Bruder beim Zünden eines Böllers zu filmen. Dann ist da plötzlich der "Schlag wie mit einem Hammer" und das nasse, heiße Blut auf ihrem Rücken. Das Mädchen wirft sich seiner Mutter in die Arme, die zunächst gar nicht begreift, was passiert ist. Die polizeiliche Vernehmung des Kindes wurde im Landgericht Braunschweig nur verlesen – zum Schutz der Achtklässlerin, deren Schusswunde zwar verheilt ist, die aber psychisch schwer unter den Folgen der Attacke leidet. Sie sei innerlich zerstört, sagt das Mädchen.
Motiv nicht feststellbar
Der Rentner sitzt seit dem Neujahrstag in Untersuchungshaft. Ein kleiner, gebückter Mann in hellem Hemd und zu großer Jeans. Der 69-jährige Türke war Betreiber eines Cafés und Wettbüros auf der anderen Straßenseite des Hauses der Zwölfjährigen. Ein Motiv dafür, dass er mit der illegalen halbautomatischen Neun-Millimeter-Pistole herumballerte, konnte die Strafkammer während der sieben Verhandlungstage nicht feststellen.
Eingeschränkte Steuerungsfähigkeit strafmildernd
Während Nachbarn mit Schreckschusspistolen das neue Jahr begrüßten, habe der Angeklagte cool in Cowboy-Manier mitmachen wollen und dabei die Situation völlig falsch eingeschätzt, sagte die Vorsitzende Richterin Daniela Kirchhoff. Der Rentner hatte zum Prozessauftakt eingeräumt, schon in den zwei Jahren zuvor zu Silvester Schüsse aus der scharfen Waffe abgefeuert zu haben. Strafmildernd wertete das Gericht sein Geständnis mit "aufrichtiger Reue" sowie die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des 69-Jährigen, der an dem Abend Alkohol getrunken hatte und unter anderem unter schweren Durchblutungsstörungen leidet.
Geschoss durchschlug Brustkorb - LG bejaht bedingten Tötungsvorsatz
Er hatte zunächst aus dem geöffneten Fenster seines Cafés 12 oder 13 Schüsse abgefeuert und danach an einer Straßenkreuzung – lässig an eine Laterne gelehnt – in die Nacht geballert. Bei der zweiten salvenartigen Schuss-Serie traf er die Schülerin. Das Geschoss durchschlug den Brustkorb, verletzte die Lunge, zertrümmerte die zweite Rippe und kam oberhalb des Schlüsselbeins wieder heraus. Er habe den Tod des Mädchens billigend in Kauf genommen, sagte die Richterin. "Es war nur dem glücklichen Zufall zu verdanken, dass sie nicht tödlich getroffen wurde."
Eltern als Nebenkläger
Die Eltern des Opfers traten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Ihnen gehe es vor allem darum, ihre Tochter zu schützen, sagte der Anwalt der Familie, Muammer Duran, nach der Urteilsverkündung. Der Familie sei wichtig, dass der Täter weiter in Haft bleibt. "Man darf in Deutschland nicht illegal eine Waffe besorgen und Silvester als Freifahrtschein für kriminelle Delikte betrachten", sagte Duran.
7.000 Euro Schmerzensgeld überwiesen
Ob der Verurteilte Revision einlegen wird, ist noch nicht entschieden. "Wir warten die schriftliche Urteilsbegründung ab", sagte sein Verteidiger Ekan Altun. Der Schütze überwies bereits einmal 3.000 Euro und einmal 4.000 Euro Schmerzensgeld für das Mädchen. Die Summe liegt auf dem Konto des Anwalts der Familie. Die Eltern sehen es Duran zufolge als "Blutgeld" an und haben sich noch nicht dazu durchgerungen, es zu akzeptieren.