LG Bonn: Milde Bewährungsstrafen für britische Aktienhändler in Cum/Ex-Strafprozess

Das Landgericht Bonn hat im ersten Strafverfahren um die umstrittenen Cum/Ex-Aktiengeschäfte die beiden angeklagten britischen Aktienhändler zu milden Bewährungsstrafen verurteilt. Die Privatbank M.M. Warburg, die von den angeklagten Geschäften profitiert hatte, muss als Einziehungsbeteiligte gut 176 Millionen Euro Steuerschulden zahlen (Az.: 62 KLs 1/19). Die Bank will aller Voraussicht nach Revision einlegen.

Cum/Ex-Deals

Mit Cum/Ex-Deals prellten Investoren und Banken den Staat über Jahre hinweg um Milliarden. Rund um den Dividendenstichtag wurden Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteiligten – Banken, Investoren, Fonds – hin- und hergeschoben. Am Ende konnte der Fiskus nicht mehr nachvollziehen, wem die Papiere wann gehörten. Die Folge der Karussellgeschäfte: Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern und den darauf entfallenden Solidaritätszuschlag wurden mehrfach ausgestellt. Finanzämter erstatteten Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren.

Milde Bewährungsstrafen wegen Mithilfe der Angeklagten

In Bonn wurde konkret über 33 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung verhandelt, bei denen die zwei angeklagten britischen Aktienhändler eine wichtige Rolle spielten. Da beide jedoch über Monate hinweg der Staatsanwaltschaft Rede und Antwort standen und auch in dem seit September 2019 laufenden Mammutprozess in Bonn bereitwillig redeten, vorrechneten und Hinweise gaben, kommen sie nun mit relativ milden Strafen davon. Ein Jahr und zehn Monate Haft auf Bewährung für den einen Angeklagten, der zudem noch rund 14 Millionen Euro an Steuerschulden zurückzahlen muss. Der zweite Angeklagte kommt mit einem Jahr auf Bewährung davon, in Teilen der Anklage sogar mit einem Freispruch.

Angeklagte nicht Taktgeber im "größten Steuerraub der deutschen Geschichte"

Der Vorsitzende Richter Roland Zickler betonte, die beiden Briten hätten mit ihrer Offenheit gegenüber den Ermittlern überhaupt erst den Boden für das Verfahren bereitet – und damit für viele weitere. Das dürfe nicht dazu führen, dass sie als "große Cum-Ex-Täter" hingestellt würden. "Die Angeklagten haben an der Entstehung immens hoher Schäden mitgewirkt, sie waren aber nicht die Taktgeber", so Zickler. Damit entspricht das Gericht im Groben den Forderungen der Anklage, die härtere Strafen auch nicht für angemessen hält. "Das würde verschleiern, dass der größte Steuerraub der deutschen Geschichte nicht von zwei Menschen begangen wurde, sondern von Hunderten", so Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker in ihrem Plädoyer.

Warburg-Bank muss als Einziehungsbeteiligte 176 Millionen Euro Steuerschulden zahlen

Die Privatbank M.M. Warburg, die von den angeklagten Geschäften profitiert hatte, muss nach dem Willen des Gerichts als sogenannte Einziehungsbeteiligte nun gut 176 Millionen Euro Steuerschulden zahlen. Dass der Fall vor den Bundesgerichtshof geht, gilt als wahrscheinlich. Um Revision zu beantragen, haben alle Beteiligten nun eine Woche Zeit.

Corona-Krise zwang zur Ausgliederung von vier Banken

Dass Warburg am Ende nur noch als einzige Bank hinter den Angeklagten im Verfahren sitzt, ist die überraschende Wendung, die der Mammutprozess Anfang dieser Woche nahm. Weil die Corona-Pandemie das öffentliche Leben zunehmend zum Erliegen bringt, sah sich das LG Bonn gezwungen, den Prozess massiv abzukürzen. Andernfalls hätten die beiden britischen Angeklagten womöglich  Probleme gehabt, zurück nach Hause zu kommen. Oder: Wegen zu langer Unterbrechung hätte der Prozess nach der Krise im schlimmsten Fall komplett neu aufgerollt werden müssen – samt Anklage, Zeugen und all dem mühsamen Klein-Klein. So gliederte man vier weitere beteiligte Banken am 16.03.2020 kurzerhand aus dem Verfahren aus, da man sonst wohl noch bis nach Ostern 2020 hätte tagen müssen.

Ausgegliederte Banken nur vorläufig verschont

Für die vier Banken, die nun zumindest in diesem Prozess keine Zahlung fürchten müssen, ist damit jedoch keine Entwarnung gegeben. Dass nun ihnen gegenüber zunächst von der Einziehung abgesehen wurde, bedeutet keinen endgültigen Ausschluss derselben. Das Gericht kann, wenn sich die Situation kurzfristig ändern sollte, jederzeit die Wiedereinbeziehung der Kapitalanlagegesellschaften in das Verfahren anordnen. Außerdem laufen gegen alle weitere Ermittlungen, sie werden sich in anderen Prozessen verantworten müssen. "Dieses Urteil markiert nicht den Abschluss der Ermittlungen", meint Oberstaatsanwältin Brorhilker, der an diesem Tag ein wichtiger Etappensieg in ihrem jahrelangen Kampf gegen Steuertrickser gelungen ist. "Dieses Urteil markiert den Anfang der Aufarbeitung eines massiven Problems."

Redaktion beck-aktuell, 19. März 2020.