Nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung (VO (EG) Nr. 261/2004) ist ein Luftfahrtunternehmen nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn es alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um das Eintreten "außergewöhnlicher Umstände" zu verhindern. Ob dies auch für einen Flug gilt, der durch Reisebeschränkungen während Corona ausgefallen war, hatte nun das LG Berlin II zu klären. In dem Fall hatte ein Dienstleister abgetretene Entschädigungsansprüche nach der Fluggastrechte-VO geltend gemacht. Für die Airline – nach eigenen Angaben eher eine kleine Fluggesellschaft – hätte die Durchführung des Fluges zu einer finanziellen "Unterdeckung" geführt und "unter ökonomischen als auch unter ökologischen Gesichtspunkten ein nicht mehr tragbares Opfer dargestellt". Nur durch Stornierung und Umbuchungen auf einen späteren Flug hätte Schlimmeres verhindert werden können. Nachdem das AG alle Entschädigungsansprüche abgelehnt hatte, zog das Unternehmen vors LG – ohne Erfolg.
Auch beim LG Berlin II gab es keine Entschädigung für die Passagiere (Urteil vom 20.02.2024 – 30 S 16/22). "Besonderer Umstand" nach der Fluggastrechte-VO war nach Ansicht der Berliner LG-Richterinnen und Richter, dass der Flug aufgrund der behördlichen Anordnung von Einreisebeschränkungen während der Corona-Pandemie nicht kostendeckend durchgeführt werden konnte. Denn durch die eingeschränkte Buchungsmöglichkeit hätten nur wenige Passagiere mitfliegen können, womit die Opfergrenze der Fluggesellschaft erreicht worden sei.
"Untragbares Opfer" für Luftfahrtunternehmen
Nach Ansicht des LG kann es für ein Luftfahrtunternehmen auch unter wirtschaftlichen Erwägungen ausnahmsweise legitim sein, den Flug rechtzeitig zu annullieren. Dafür sprächen die Auslegungsleitlinien der europäischen Kommission zur Fluggastrechte-VO, die vom BGH ausdrücklich als "bedeutsame" und "wertvolle Auslegungshilfe" herangezogen werden. Aber auch die Fluggastrechte-VO selbst erkenne die wirtschaftlichen Gegebenheiten im Luftverkehr an.
Das LG ist nach Durchführung einer Plausibilitätsprüfung davon überzeugt, dass die Durchführung des konkreten Fluges mit nur noch 36 Buchungen für den Hinflug und 22 Buchungen für den Rückflug nicht nur ökologisch, sondern bei einem Verlust in fünfstelliger Höhe auch ökonomisch evident unzumutbar gewesen wäre. Dies hätte zu einer Unterdeckung der Flugkosten geführt und hätte ein "nicht tragbares Opfer" für die Fluggesellschaft bedeutet. Dazu hatte das Luftfahrtunternehmen auch hinreichend vorgetragen. Dabei reichten der Kammer grobe Angaben zu den Einnahmen und den flugbezogenen Kosten aus. Somit ging das Bestreiten des Dienstleisters ins Leere.