Unvollständige Wiedergaben und falsche zeitliche Einordnungen können das Recht am eigenen Wort verletzen. Wegen eines solchen falschen "Framings" untersagte das LG Berlin II dem Medienportal The Pioneer einen Artikel über den AfD-Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla, der in einem X-Post die Kriegshandlungen des Iran einseitig gutgeheißen haben sollte. Nicht nur die Verkürzung, sondern auch die falsche zeitliche Einordnung vor den Gegenangriff Irans verletze ihn in seinem Recht am eigenen Wort, befand das Gericht. Ebenso darf das Portal Gerüchte über eine vermeintliche iranische Flagge in AfD-Büros nicht weiter verbreiten (Urteil vom 08.07.2025 – 27 O 198/25).
Es war wohl ein Großteil des inzwischen gelöschten und nur noch in Form eines Instagram-Posts auffindbaren Artikels "Chrupalla unter Druck: Iran-Streit spaltet AfD", den das LG Berlin II in seinem Urteil untersagt hat. Darin hieß es, Chrupalla habe als Reaktion nach den Luftschlägen Israels – noch vor dem Gegenangriff Irans - auf X geschrieben: "Ich verurteilte die Angriffe." Das werde auf X auch von einigen AfD-Angehörigen als indirekte Parteinahme für den Iran gewertet.
Außerdem spekulierte der Artikel über eine iranische Flagge in Chrupallas Bundestagsbüro. Es zirkuliere die "Anekdote" auf X, mehrere AfD-Mitglieder hätten die Flagge auf seinem Schreibtisch gesehen. Das sei ein "vermeintlicher Beleg" dafür, dass hinter dem Ruf nach Diplomatie (zwischen Iran und Israel) "in Wahrheit Parteinahme für anti-westliche Kräfte" – und in der AfD noch viel schwerwiegender – "für eine andere Nation" stehe. Es gelte zwar "in dubio pro reo", aber das Gerücht mache deutlich, wie verbittert die Fronten innerhalb der AfD inzwischen seien. Das erinnere außerdem daran, dass das Telegram-Profil eines ehemaligen AfD-Referenten zwischenzeitlich das Siegeszeichen Russlands gegen die Ukraine ("Z") getragen haben solle.
Recht schützt auch vor verkürzter Wiedergabe
Chrupalla selbst hatte die Vorwürfe zuvor auf Nachfrage bereits dementiert und eine 17-seitige Stellungnahme neben einigen eidesstattlichen Versicherungen über den Sachverhalt abgegeben. Er versicherte, dass keiner seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jemals eine Flagge des Iran auf seinem Schreibtisch gehabt habe und erklärte sich das Gerücht mit möglichen Verwechslungen. So etwa mit der Flagge Tadschikistans, die zeitweilig auf dem Schreibtisch eines Mitarbeiters gestanden haben soll oder mit der bulgarischen Flagge. Auch könne der angrenzende Flaggenraum Grund für das Gerücht sein, der Flaggen für Gespräche mit den Menschen aus anderen Ländern enthalte.
Vor dem LG Berlin II beantragte Chrupalla eine einstweilige Verfügung, die die streitige Berichterstattung untersagen sollte – mit Erfolg.
Chrupalla könne sich hier – in mehrfacher Hinsicht – auf das Recht am eigenen Wort berufen, befand die Pressekammer des LG. Dieses schütze nicht nur vor Fehlzitaten, sondern auch vor unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben der eigenen Äußerung. Im Meinungskampf sei das eine besonders scharfe Waffe, da dabei nicht Meinungen ins Feld geführt würden, sondern faktische Behauptungen über den Diskussionsgegner.
Zitat zeitlich falsch eingeordnet
Das Recht am eigenen Wort sei bereits verletzt, wenn behauptet werde, der oder die Zitierte habe sich in einem bestimmten Sinne geäußert, obwohl die fragliche Aussage mehrere Interpretationen zulasse. So liege es hier. In Wahrheit lautete der letzte Satz von Chrupallas Tweet: "Ich verurteile die Angriffe und rufe die Beteiligten zur Mäßigung auf!" Diese Formulierung lasse sich so interpretieren, dass er beide Konfliktparteien gemeint habe.
Auch die falsche zeitliche Einordnung des Zitats verletze ihn schon für sich genommen in seinen Rechten. Der Artikel habe ausdrücklich behauptet, der X-Post sei "noch vor dem ersten Gegenangriff des Irans" abgesetzt worden, obwohl am frühen Morgen des Tages bereits in den Medien über den Gegenangriff Irans berichtet worden sei. Vor diesem Hintergrund sei die Behauptung des Artikels sowohl als Tatsachenbehauptung als auch als Meinungsäußerung unzulässig gewesen. Als Tatsachenbehauptung sei sie nachweislich falsch, als Meinungsäußerung entbehre sie der nötigen Tatsachengrundlage. In jedem Fall sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht Chrupallas durch die Berichterstattung verletzt worden, stellte das LG klar.
Anonyme Quellen können Flaggen-Gerücht nicht stützen
Für die Verbreitung des Flaggengerüchts legte die Kammer die Maßstäbe der Verdachtsberichterstattung an. The Pioneer könne sich nicht mit der Behauptung aus der Affäre ziehen, lediglich über Gerüchte Dritter zu berichten. Betroffene seien sowohl gegen die Weitergabe des Gerüchts als auch gegen dessen uneingeschränkte Behauptung geschützt – andernfalls lasse sich jede Gerüchteverbreitung unter Verweis auf Dritte umgehen.
Nach presserechtlichen Grundsätzen müsse ein Verdacht bzw. Gerücht zwar nicht erweislich wahr sein, es brauche jedoch zumindest eine gewisse Grundlage aus Beweistatsachen, damit der Verdacht einen Öffentlichkeitswert bekomme. Hier hatte The Pioneer sich auch im Gerichtsverfahren stets auf anonyme Quellen berufen, die die Flagge in Chrupallas Büro bestätigt haben sollen. Diese könnten die nötige Tatsachengrundlage im Grundsatz zwar herstellen, so das LG. Wenn sie allerdings die einzige Quelle des Verdachts seien und der Gegner – wie hier – die Behauptung bestreite, müssten weitere Details zur Zuverlässigkeit der Quellen geliefert werden. The Pioneer hatte dazu jedoch nichts vorgetragen.
Das "Z"-Symbols auf dem Telegram-Profil eines Chrupalla nahestehenden Referenten habe The Pioneer als Tatsache behauptet und deshalb vor Gericht entsprechend beweisen müssen, so das LG weiter. Das sei ebenfalls nicht gelungen, sodass das Gericht auch in diesem Punkt von unzulässiger Berichterstattung ausging. Da The Pioneer die geforderten Unterlassungserklärungen nicht abgegeben habe, sei die Sache insgesamt auch dringlich genug, um per einstweiliger Verfügung gegen den Artikel vorzugehen.