Letzte Sitzungswoche – Bundestag unter Corona- und AfD-Druck

Der Bundestag geht in die drei letzten regulären Sitzungstage der 19. Wahlperiode. Für seine 236. Sitzung an diesem Donnerstag sieht die vorläufige Tagesordnung als Ende 7.40 Uhr am Freitag vor. Eigentlich könnten die Abgeordneten also gleich bis zum Beginn der 237. Sitzung um 9.00 Uhr bleiben. Wenn sie am späten Nachmittag endet, wird die 19. Wahlperiode so gut wie Geschichte sein.

19. Wahlperiode holprig gestartet

Hinter dem Parlament liegen dann vier Jahre, die vielen Abgeordneten wohl lange in Erinnerung bleiben werden. Sie begannen holprig wegen der sich dahinschleppenden Regierungsbildung nach der Wahl 2017. Der neu gewählte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rief in der ersten Sitzung am 24.10.2017 zum sachlichen, gern auch emotionalen, aber eben fairen Streit in den kommenden vier Jahren auf: "Die Art, wie wir hier miteinander reden, kann vorbildlich sein für die gesellschaftliche Debatte", sagte der CDU-Politiker. "Wir müssen das Vertrauen in das repräsentative Prinzip wieder stärken", lautete sein Credo. Am Ende der Wahlperiode lässt sich trefflich darüber streiten, ob dies wirklich gelungen ist. Die 2017 noch gar nicht absehbare Corona-Pandemie hat jedenfalls die Zahl derer, die sich nicht mehr durch die Politik vertreten fühlen, eher steigen lassen.

AfD erstmals im Parlament

Der 19. Deutsche Bundestag, der sich am 24.10.2017 konstituierte, war der größte, den es jemals gab: 709 Abgeordnete, sechs Fraktionen. Die FDP kehrte nach vier Jahren Abwesenheit ins Parlament zurück, die AfD zog erstmals ein. Die Rechtspopulisten um ihre Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland sorgten fortan für eine Verschärfung der Tonlage. Mit der Parole "Wir werden sie jagen" hatte Gauland schon am Wahlabend einen harten Konfrontationskurs angekündigt. Das Ergebnis lässt sich unter anderem an der Zahl der erteilten Ordnungsrufe ablesen: Bis zur letzten Sitzungswoche waren es nach einer Auflistung der Bundestagsverwaltung 47 – quer durch die Fraktionen. Einen der ersten Ordnungsrufe fing sich Weidel ein, als sie am 16.05.2018 im Plenum über "Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse" wetterte.

Erstmals Ausschussvorsitzender abgewählt

Für einen der größten Eklats sorgte der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner. Unter anderem nach seinen Reaktionen auf den antisemitisch motivierten Terroranschlag von Halle mit zwei Toten und mehreren Verletzten hielten die anderen Fraktionen den Vorsitzenden des Rechtsausschusses für untragbar. Der Ausschuss wählte ihn ab – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Bundestags. Manche Ämter verwehrten die anderen Fraktionen der AfD gleich ganz. So stellte diese sechs Kandidaten für den Posten eines Vizepräsidenten des Bundestags auf, die jeweils drei Mal scheiterten, weil sie nicht genügend Stimmen erhielten.

AfD sorgte für ungebetenen Besuch im Reichstag

Die Bereitschaft, einen Kandidaten der AfD zu unterstützen, nahm noch einmal stark ab, nachdem Abgeordnete rund um die Debatte über das Infektionsschutzgesetz im November 2020 von Besuchern bedrängt, belästigt, gefilmt und beleidigt worden waren. Ins Reichstagsgebäude gekommen waren diese auf AfD-Einladung. Auch dies ein Novum – ebenso wie einige Wochen zuvor der Ansturm von Corona-Leugnern und sogenannten Querdenkern auf die Reichstagstreppe.

Pandemie traf Politiker unvorbereitet

Die Corona-Pandemie traf die Volksvertreter genauso unvorbereitet wie das Volk. Wie Schulen oder Gesundheitsämter musste der Bundestag empfindliche Lücken in der Digitalisierung feststellen und schließen. Im Plenarsaal hieß es plötzlich Abstand halten, später kam eine Maskenpflicht in allen Gebäuden dazu. Schäubles größte Sorge galt der Handlungsfähigkeit des Parlaments in der Krise. Wie soll dieses bei einem größeren Corona-Ausbruch weiterarbeiten können? Zwar gab es seit Beginn der Pandemie viele virtuelle Sitzungen von Fraktionen und Ausschüssen – nicht aber des ganzen Bundestags, wie Schäuble sie ins Gespräch brachte. Und der Vorstoß, ein kleines Notparlament zu schaffen, fiel in den Fraktionen durch. Der Bundestag senkte nur die Hürde für die Beschlussfähigkeit – von zuvor mehr als der Hälfte der Abgeordneten auf nun mehr als ein Viertel.

Stunde der Exekutive

Handlungsfähig blieb das Parlament trotzdem jederzeit – keine Sitzungswoche fiel aus, die eine oder andere wurde aber verkürzt. In die Geschichte eingehen wird die Sitzung vom 25.03.2020, als der Bundestag binnen weniger Stunden milliardenschwere Rettungsschirme der Regierung beriet und beschloss. In Krisen sei zwar die Exekutive besonders gefordert, sagte Schäuble damals. Aber: "Die parlamentarische Demokratie wird nicht außer Kraft gesetzt." Genau dies stellten Kritiker in den folgenden Monaten jedoch in Zweifel, als eine Ministerpräsidentenkonferenz nach der anderen neue Corona-Maßnahmen beschloss – und das Parlament nur nachträglich darüber diskutieren konnte.

Wahlrecht noch immer nicht reformiert

In eigener Sache war der Bundestag weniger entschlussfreudig als in der Corona-Pandemie. Eine grundlegende Reform des Wahlrechts mit dem Ziel einer Verkleinerung des Parlaments scheiterte im Wesentlichen an CDU und CSU. Das Thema wird dem Bundestag in der 20. Wahlperiode erhalten bleiben. An diesem Mittwoch will eine mit Abgeordneten und Fachleuten besetzte Kommission zur Reform des Bundestagswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit erstmals zusammentreten. Ganz Geschichte ist die Wahlperiode an diesem Freitagabend noch nicht. Denn sie endet erst mit dem Zusammentreten des nächsten Bundestags nach der Wahl. Und kurz davor wird es Anfang September voraussichtlich noch eine außerplanmäßige Sitzung geben.

Redaktion beck-aktuell, Ulrich Steinkohl, 23. Juni 2021 (dpa).