Geschäftsmodell des Legal-Tech-Portals "Wenigermiete.de" beschäftigt BGH

Verstößt das Geschäftsmodell des Legal-Tech-Portals "Wenigermiete.de" gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz, weil es sich bei dem Angebot eher um eine Rechts- als um eine Inkassodienstleistung handelt? Dies muss der Bundesgerichtshof klären. In der Verhandlung am 16.10.2019 deuteten die BGH-Richter an, dass sie den Begriff Inkasso eher großzügig auslegen wollen. Auf das Urteil, das am 27.11.2019 ergehen soll, wartet eine ganze Branche. 

Online-Rechner ermittelt ortsübliche Vergleichsmiete

Der Rechtsdienstleister nimmt Mieterhöhungen, Kündigungen und Renovierungsklauseln unter die Lupe. In dem Fall vor dem BGH geht es um Ansprüche eines Berliner Mieters wegen der Mietpreisbremse. Die erste Prüfung läuft über einen Online-Rechner auf der Internetseite: Der Nutzer gibt seine Daten ein, ein Algorithmus ermittelt die ortsübliche Vergleichsmiete. Kommt heraus, dass der Mieter mehr Miete zahlt als erlaubt, kann er Wenigermiete.de mit der Durchsetzung seiner Ansprüche beauftragen. Ein Honorar wird nur fällig, wenn dabei am Ende für den Mieter etwas herausspringt. "Das heißt: Keine Vorabzahlung wie beim Anwalt", steht prominent auf der Startseite des Portals.

Inkassolizenz ausreichend oder illegale Rechtsberatung?

Wer Rechtsdienstleistungen erbringen darf, ist gesetzlich geregelt. Anbieter wie Wenigermiete.de waren damals noch nicht auf dem Markt, für sie sind die Regelungen nicht ausdrücklich gemacht. Die meisten Unternehmen der sogenannten Legal-Tech-Branche behelfen sich deshalb mit einer Inkassolizenz, die zum Einziehen fremder Forderungen berechtigt. Klassischerweise sind das nicht bezahlte Rechnungen. Ob ein Geschäftsmodell wie das von Wenigermiete.de von so einer Lizenz gedeckt ist, ist hochumstritten und bisher nicht geklärt. 

Uneinigkeit selbst beim LG Berlin

In dem Fall, der nun in Karlsruhe entschieden wird, hat das Berliner Landgericht die Klage gegen den Vermieter abgewiesen. Wenigermiete.de sei nicht befugt, die Ansprüche geltend zu machen. Das Portal sei schwerpunktmäßig kein Inkassounternehmen, sondern leiste ohne Erlaubnis Rechtsberatung im Internet. Die Richter störten sich unter anderem an dem Online-Rechner. Er rechne nicht nur nach Schema F, sondern berücksichtige auch schon die Besonderheiten des Einzelfalls. In der Frage besteht aber nicht einmal am Landgericht Einigkeit: Andere Kammern haben mit dem Modell von Wenigermiete.de kein Problem. 

Urteil wird nicht eins zu eins auf andere Branchen übertragbar sein

Andere Anbieter, die Fluggastrechte einklagen, Lebensversicherungen rückabwickeln oder Hartz-IV-Widersprüche durchboxen, stehen vor ähnlichen Fragen. Auch Myright, das im Dieselskandal Zehntausende Autokäufer gegen Volkswagen vertritt, beobachtet den Ausgang genau. Wegen der unterschiedlichen Rechtsgebiete und Geschäftsmodelle wird man das jetzt anstehende Urteil aber nicht in allen Punkten verallgemeinern können.  

BGH deutete großzügige Auslegung des Inkassobegriffs an

In der Verhandlung am 16.10.2019 haben die BGH-Richter angedeutet, dass sie den Begriff Inkasso eher großzügig auslegen wollen. Im Kern scheine es ja immer um Geldforderungen zu gehen. Die Abwehr einer Kündigung durch den Vermieter wäre nach dieser Logik allerdings eher Rechtsberatung. Und auch sonst bleiben viele schwierige Detailfragen. Das Urteil soll deshalb erst am 27.11.2019 verkündet werden. Wenigermiete.de ist sicherheitshalber auf den Ernstfall vorbereitet: "Wir könnten unsere Struktur innerhalb weniger Tage anpassen und das Angebot uneingeschränkt weiterführen", sagt Gründer Daniel Halmer. Aus seiner Sicht sei die Verhandlung aber "sehr positiv" verlaufen. 

"Wenigermiete.de": Zugang zum Recht auch bei kleinen Beträgen

"Bevor wir am Markt waren, gab es keine Mietpreisfälle. Jetzt gibt es Zehntausende", meint Halmer. Am BGH geht es um knapp 25 Euro weniger Miete im Monat. Nach Halmers Ansicht ist das Justizsystem für solche vergleichsweise kleinen Ansprüche nicht ausgelegt. "Die meisten Verbraucher machen aus diesem Grund ihre Rechte schlicht und ergreifend nicht geltend."  

BRAK: Kein verlässlicher Mandanten- und Verbraucherschutz durch Algorithmen

Die Bundesrechtsanwaltskammer sieht das anders. Kläger könnten zum Beispiel Prozesskostenhilfe beantragen, und es gebe ein gutes System von Rechtsschutzversicherungen. "Auch dadurch wird Zugang zum Recht gewährleistet", sagt Präsident Ulrich Wessels. "Sich bei einer Rechtsdienstleistung allein auf Algorithmen zu verlassen, scheint uns im Sinne des Mandanten- und Verbraucherschutzes nicht der richtige Weg zu sein."

Redaktion beck-aktuell, Anja Semmelroch, 17. Oktober 2019 (dpa).