Legal, illegal, ganz egal? Cannabis-Legalisierung im Widerspruch zu EU- und Völkerrecht
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Die von der Koalition geplante Legalisierung von Cannabis verstößt möglicherweise gegen EU-Recht. Das geht zumindest aus einem im Auftrag des CSU-Gesundheitspolitikers Stephan Pilsinger erstellten Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags hervor. Demnach sei Deutschland an zwei europäische Verträge gebunden, die einer Legalisierung entgegenstünden. Wir geben einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen.

Ampel-Koalition möchte kontrollierte Abgabe zu Genusszwecken an Erwachsene

Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, eine "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" einzuführen. Derzeit laufen die Vorbereitungen für das Gesetzgebungsverfahren. Der Bundesdrogenbeauftragte, Burkhard Blienert (SPD), hatte einen Gesetzentwurf für Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres angekündigt. Nun aber ist sich die Union sicher, dass die Legalisierung gescheitert ist, bevor sie überhaupt begonnen hat. Grund dafür ist ein nunmehr veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes von Mitte August, in welchem die unionsrechtlichen Vorgaben dargestellt werden, die im Hinblick auf eine Legalisierung des Anbaus, Imports und Verkaufs von Cannabis in Deutschland bestehen. Das Fazit: Unionsrechtliche Vorgaben ergeben sich sowohl aus dem Primärrecht als auch aus dem EU-Rahmenbeschluss von 2004 und dem Schengen-Protokoll. Insbesondere die beiden sekundärrechtlichen Regelungen dürften Hürden für die geplante Legalisierung in Deutschland bedeuten - ob sie wirklich unüberwindbar sind, bleibt derzeit abzuwarten.

Legalisierung im Widerspruch zu Sekundärrecht

Laut der Analyse des Fachbereichs Europa schreibt zum einen der EU-Rahmenbeschluss von 2004 vor, dass jeder Mitgliedsstaat unter anderem das Herstellen, Anbieten, Verkaufen, Liefern sowie Ein- und Ausführen von Drogen unter Strafe stellen muss - wenn diese vorsätzlichen Handlungen ohne entsprechende Berechtigung vorgenommen wurden. Zudem müsse das vorsätzliche, unberechtigte Anbauen unter anderem der Cannabispflanze unter Strafe gestellt werde. Gleiches gelte für das Besitzen oder Kaufen von Drogen. Unter den Begriff Drogen falle laut einem Übereinkommen von 1971 auch Cannabis. Die Mitgliedsstaaten sollten gegen die genannten Straftaten "mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen" vorgehen. Zum anderen verweist der Wissenschaftliche Dienst auf das Schengen-Protokoll. Darin hätten sich die Vertragsländer, unter anderem Deutschland, verpflichtet, "die unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln aller Art einschließlich Cannabis-Produkten sowie den Verkauf, die Verschaffung und die Abgabe dieser Mittel mit verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Mitteln zu unterbinden".

Niederlande kein Vorbild - auch dort gilt das "Opiumgesetz"

Ergänzend weisen die Expertinnen und Experten des Wissenschaftlichen Diensts auf die Rechtsprechung des EuGH zu Fragen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Cannabis in den Niederlanden hin. Demnach gelte dort nach wie vor das "Opiumgesetz", das Anbau, Verkauf und Besitz von Cannabis unter Strafe stelle. Allerdings sei Besitz und Verkauf kleinerer Mengen "de facto entkriminalisiert". "In sämtlichen Fällen, in denen ein Konsument mit Drogen aufgegriffen wird, werden diese - auch wenn die Menge im dargestellten Toleranzbereich liegt - von der Polizei konfisziert." Der Verkauf von Cannabis sei "formalrechtlich illegal", werde aber im Rahmen der Toleranzgrenze nicht verfolgt. Anbau und Erwerb größerer Cannabis-Mengen seien weiterhin vollständig kriminalisiert.

Auch das Völkerrecht steht einer Legalisierung entgegen

Laut Pilsinger zeigen die Ausarbeitungen eindeutig, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehene Legalisierung von Cannabis EU-rechtlich nicht legal wäre. Daneben dürfte einer Legalisierung in Deutschland aber auch das Völkerrecht entgegenstehen, insbesondere die 1961 von den Vereinten Nationen verabschiedete Single Convention on Narcotic Drugs, dem Einheitsabkommen über Betäubungsmittel. Durch dieses Abkommen soll die Verfügbarkeit einiger Drogen wie Cannabis reguliert werden. Deutschland habe sich als Teil der UN an das Abkommen gebunden, erklärt der Cannabis-Unternehmer Niklas Kouparanis im Interview mit dem Münchner Merkur. "Die UN Single Convention regelt, dass Deutschland den Verkauf von Cannabis nicht legalisieren kann." Nun könnte Deutschland aus dem Abkommen austreten, um dann unter geänderten Bedingungen wieder einzutreten. So hat das beispielswiese Bolivien im Fall von Coca-Blättern gemacht, die in dem Land vor allem von ärmeren Menschen gekaut werden, um Hunger zu unterdrücken und die Leistungsfähigkeit zu steigern. Für wahrscheinlich wird dieses Szenario unter Expertinnen und Experten allerdings nicht gehalten. Zudem hätte die Ampel einen entsprechenden Gesetzesentwurf bis zum 01.07.2022 vorlegen müssen, erklärt Kouparanis. Dann wäre der frühestmögliche Austritt der 01.01.2023 gewesen. Da innerhalb dieser Frist kein Gesetzesentwurf vorgelegt worden sei, verlängere sich der Austrittstermin um ein weiteres Jahr. Kouparanis rechnet daher damit, dass Cannabis in Deutschland frühestens ab Januar 2024 legal sein wird.

Bundesregierung setzt auf ressortübergreifende Beratungen

Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage, ob sie im Hinblick auf die Legalisierung das Risiko eines Bruchs von EU-Recht und internationalen Konventionen sowie einschlägiger EuGH-Rechtsprechung sehe und ob sie bereit sei, dieses Risiko einzugehen, fiel allerdings recht vage aus. Im Rahmen einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Union zur Legalisierung von Cannabis in Anbetracht des EU-Rechts und internationaler Konventionen betonte sie im August lediglich, dass die Ressortarbeitsgruppen der Bundesregierung, die zur Umsetzung des Vorhabens einer kontrollierten Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken gebildet wurden, ihre Arbeit aufgenommen hätten. Darunter sei auch eine Arbeitsgruppe, die die völker- und europarechtlichen Fragen prüft. Die Beratungen seien noch nicht abgeschlossen. Derzeit werde in ressortübergreifenden Arbeitsgruppen unter Gesamtfederführung des Bundesgesundheitsministeriums ein Eckpunktepapier entwickelt, das als Grundlage für einen Gesetzentwurf dienen soll. Die mit dem Vorhaben verbundenen völker- und europarechtlichen Fragestellungen seien ein wichtiger Bestandteil dieser Beratungen.

Auch andere EU-Länder wollen Cannabis legalisieren

Zudem verweist die Bundesregierung darauf, dass in den letzten Jahren auch in mehreren anderen Mitgliedsstaaten entsprechende Gesetzesvorhaben für eine Legalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht wurden. So sehe in Malta ein Gesetz von 2021 unter anderem vor, dass nicht-kommerzielle Organisationen Cannabis anbauen und an ihre volljährigen Mitglieder ausgeben dürfen. Darüber hinaus sei Erwachsenen der private Anbau von bis zu vier Cannabispflanzen in einer Wohnung erlaubt. In den Niederlanden sei im Juli 2020 ein Gesetz in Kraft getreten, das den Anbau und Vertrieb von Cannabis zu Genusszwecken im Rahmen eines wissenschaftlichen Modellprojekts erlaubt. Das Modellprojekt solle vier Jahre dauern und werde in einigen Städten bzw. Gemeinden durchgeführt. Luxemburg strebe eine Liberalisierung des Verkehrs mit Cannabis zu Genusszwecken an. Ein entsprechender Gesetzesentwurf sei im Juni 2022 vom luxemburgischen Kabinett beschlossen worden. Dieser sehe unter anderem vor, dass Erwachsene im privaten Raum bis zu vier Cannabispflanzen anbauen dürfen. Zudem würden in dem Gesetzentwurf der Konsum sowie der Besitz im privaten Raum geregelt. Besitz von geringen Mengen im öffentlichen Raum solle nur noch als Ordnungswidrigkeit gelten. Auch Portugal strebe eine Liberalisierung des Verkehrs mit Cannabis zu Genusszwecken an. Seit 2020 werde an einem Gesetzentwurf gearbeitet.

Jugendschutz und Schwarzmarkt zentrale Themen

Cannabis einfach zu dulden, wie es in den Niederlanden gehandhabt werde, könne und dürfe für Deutschland keine Option sein, sagte Pilsinger der dpa. "Der Jugendschutz muss für uns in Deutschland immer oberste Priorität haben, genauso wie das Zurückdrängen und die Bekämpfung des Schwarzmarkts." Zumindest ersteres dürfte auch für die Bundesregierung unstreitig sein. So nannte sie im Rahmen ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Union den Gesundheits- sowie Kinder- und Jugendschutz ebenfalls als vorrangiges Ziel und Leitgedanken des geplanten Gesetzesvorhabens. Bezüglich der Problematik des Schwarzmarktes sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP) bereits im Januar gegenüber der dpa, dass es einen Schwarzmarkt sicher weiterhin geben werde, so wie es ihn beispielsweise für unversteuerte Zigaretten gebe. Das von Gegnern der Legalisierung gelegentlich vorgebrachte Argument, viele Konsumenten würden weiterhin beim Drogendealer kaufen, da er Cannabis unversteuert billiger anbieten könne, lasse er nicht gelten. Er gab zu bedenken, "dass in die Preiskalkulation des Dealers auf der Straße auch das Risiko der Strafverfolgung einbezogen werden dürfte".

Delegationsreise in die USA und nach Kanada

Gesundheitspolitikerinnen und -politiker des Bundestages wollen sich nun zunächst in den USA und Kanada über die dortige Legalisierung von Cannabis informieren. Acht Mitglieder des Gesundheitsausschuss aus allen Bundestagsfraktionen reisten dafür am vergangenen Samstag für eine Woche nach Kalifornien und in die kanadische Provinz Ontario, wie der Bundestag mitteilte. "Während in Kanada der Gebrauch von Cannabis seit 2018 legal ist, hat Kalifornien diesen Schritt bereits 2016 unternommen", hieß es in der Mitteilung weiter.

Miriam Montag, 12. September 2022 (ergänzt durch Material der dpa).