Gesundheitsminister: "Revolution" in der Finanzierung der Krankenhäuser
Die Krankenhäuser verlangten eine umfassender gesicherte Finanzierung, Vertreter der Pflegeberufe dringende Lösungen gegen Fachkräftenot. Mit dem Gesetz beginne "nicht weniger als eine Revolution" in der Finanzierung der Krankenhäuser, sagte Lauterbach. "Wir haben das Gleichgewicht verloren zwischen Medizin und Ökonomie." Das jetzige System betone "billig und Menge". Man könne in Krankenhäusern aber nicht mit den gleichen Regeln vorgehen wie im Lebensmitteldiscounter. Von der Opposition kam Kritik. Unions-Gesundheitsexperte Tino Sorge (CDU) sprach von einem "Krankenhaus-Belastungsgesetz". Mit starren Personalvorgaben würden Pflegekräften neue Daumenschrauben angesetzt. Bei geplanten Tagesbehandlungen seien Haftungsfragen ungeklärt. Den Plänen stimmte die Koalition von SPD, FDP und Grünen zu, Union und Linke votierten dagegen, die AfD enthielt sich. Das Gesetz muss noch durch den Bundesrat.
Tagesbehandlungen mit Einwilligung der Patienten
Bestimmte Klinikuntersuchungen sollen künftig auch ohne Übernachtung möglich und von den Krankenhäusern abzurechnen sein. Das soll tagsüber mehr Kapazitäten beim knappen Pflegepersonal schaffen, wenn Nachtschichten nicht mehr besetzt werden müssen. Vor allem für ältere Menschen entfalle so auch das oft problematische Gewöhnen an die neue Umgebung. Auch Ansteckungsrisiken würden verringert, heißt es im Entwurf weiter. Möglich sein sollen Tagesbehandlungen nur mit Einwilligung der Patienten. Medizinisch dürften sie für komplexe oder risikoreiche Behandlungen in der Regel nicht in Betracht kommen.
Anreize für höher vergütete Klinikaufenthalte sollen beseitigt werden
Lieber im Krankenhaus bleiben sollten Patienten auch, wenn zu Hause eine Versorgung über Nacht nicht gesichert ist. Generell geht es um Klinikaufenthalte von mindestens sechs Stunden. Wenn nach der ersten Aufnahme weitere Fahrtkosten anfallen, müssen Patienten sie selbst bezahlen. Das Gesetz soll daneben bisherige finanzielle Anreize beseitigen, die zu höher vergüteten Klinikaufenthalten führen, obwohl es auch ambulant und ohne Unterbringung gehen würde. Für bestimmte Behandlungen soll daher eine "sektorengleiche" Vergütung eingeführt werden, die zwischen dem ambulanten und stationären Niveau liegt.
Pflegeschlüssel: Neues Instrument zur Personalbemessung
Für bessere Bedingungen bei den oft überbelasteten Pflegekräften soll ein neues Instrument zur Personalbemessung kommen – ausgehend von errechneten Idealbesetzungen für die Stationen, wie das Ministerium erläuterte. Vorgesehen ist eine schrittweise Einführung, beginnend mit einer Testphase ab 01.01.2023. Ab 2025 soll die Personalbemessung dann scharf gestellt und auch sanktioniert werden. Die Techniker Krankenkasse kritisierte, das Instrument löse kein einziges Problem in der Pflege – im Gegenteil. Vorstandschef Jens Baas sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Statt neuer Kolleginnen und Kollegen wird die geplante Pflegepersonalbemessung den Pflegekräften jede Menge zusätzlichen Bürokratieaufwand bescheren."
Mehr Geld für Kinderversorgung und Geburtshilfe
Wegen einer Welle an Atemwegsinfekten sind viele Kinderkliniken gerade überfüllt und in akuten Nöten. Auch generell sollen sie aber stabilisiert werden. Für Kinderkliniken sollen 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro mehr fließen. Garantiert werden soll damit das Erlösvolumen der Vor-Corona-Zeit von 2019, auch wenn Kliniken tatsächlich nur 80% davon erzielen. Die Finanzierung soll so auch unabhängiger von der leistungsorientierten Logik werden. Um das Netz der Kliniken mit Geburtshilfeabteilungen zu erhalten, sollen die Länder zusätzliches Geld bekommen – und zwar jeweils 120 Millionen Euro für 2023 und 2024. Die Personalkosten für Hebammen sollen ab 2025 umfassender abgesichert werden. "Jede Hebamme, die im Krankenhaus arbeitet, wird voll finanziert", sagte Lauterbach.
Verbände warnen vor Zusammenbruch des Pflegesystems
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe warnte vor einem Zusammenbruch des Pflegesystems wegen Fachkräftemangels. "Wenn wir nicht schnell grundlegende Reformen bekommen, kann man die pflegerische Versorgung in Deutschland nicht mehr aufrechterhalten", sagte die Vorsitzende Christel Bienstein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Aktuell fehlten 200.000 Vollzeitkräfte. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft erklärte, die knappe Personaldecke sei Folge einer Politik, Kliniken unter wirtschaftlichen Druck zu setzen. Dies habe letztlich nur mit Personaleinsparungen realisiert werden können. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz monierte, Verbände erweckten den Eindruck, dass das Kliniksystem vor dem Kollaps stehe. Die immer gleiche Lösung laute mehr Geld, mehr Personal – aber so einfach sei es nicht. Die Zahl der behandelten Patienten sei zuletzt gesunken, die der ärztlichen und pflegerischen Beschäftigten gestiegen. Deshalb sei die Frage berechtigt, wie viele Probleme hausgemacht sind, sagte Vorstand Eugen Brysch. Nach wie vor gebe es "keine funktionierende Prozesssteuerung", die Patienten durch die Therapieangebote lenke.
Lauterbach will am kommenden Dienstag große Reform vorstellen
Die nächste Etappe: Das Ministerium sieht das Gesetzespaket als erste "kleine" Krankenhausreform – eine große will Lauterbach am kommenden Dienstag vorstellen. Erklärtes Ziel: die "Überwindung" des generellen Finanzierungssystems über Pauschalen für Behandlungsfälle. Es habe sich mittlerweile so verselbstständigt, dass es zulasten der Qualität der Versorgung gehe, argumentierte Lauterbach bereits kürzlich. Das liege an einem "Hamsterrad-Effekt": Nur mit einer Steigerung der Fallzahl könnten Kliniken das Budget halten oder erhöhen. Und es machten Kliniken Gewinn, die für Leistungen möglichst wenig Geld ausgäben – höherer Aufwand bedeute dagegen tendenziell Verluste.