LAG Köln: Initiativlast des Arbeitgebers für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs

BUrlG § 7 III 1, IV

Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG kann der Verfall von Urlaub in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Diese Initiativlast des Arbeitgebers ist nicht auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren (amtliche Leitsätze).

LAG Köln, Urteil vom 09.04.2019 - 4 Sa 242/18, BeckRS 2019, 9979

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Frank Merten, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 25/2019 vom 27.06.2019

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Sachverhalt

Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche im Hinblick auf Urlaub aus den Jahren 2014 bis 2016. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete zum 31.03.2017. Vom 13.12.2016 bis zum 31.03.2017 hatte die Beklagte den Kläger von der Arbeit „bedingt" freigestellt. Im Arbeitsvertrag hatten die Parteien vereinbart, dass der Kläger seinen Jahresurlaub auf eigenen Wunsch in Form von wöchentlicher Arbeitszeitverkürzung nimmt und deshalb statt der bezahlten 30 Stunden pro Woche nur 27,5 Stunden pro Woche arbeitet. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Das LAG hat der Berufung des Klägers stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten gem. § 7 IV BUrlG ein Anspruch auf Abgeltung des ihm für die Jahre 2014, 2015 und 2016 zustehenden gesetzlichen Urlaubs zustehe. Ausgehend von einer Fünftagewoche habe dem Kläger jährlich ein Urlaub von 20 Tagen zugestanden. Dem stehe die arbeitsvertragliche Regelung zur Arbeitszeitverkürzung nicht entgegen. Denn diese Regelung stelle gegenüber der Bestimmung des § 3 BUrlG eine Abweichung zu Ungunsten des Arbeitnehmers dar, die gem. § 13 I 3 BUrlG nicht zulässig sei. Eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden bei einer vereinbarten 30-Stunden-Woche stelle keinen Erholungsurlaub i.S.d. §§ 1 ff. BUrlG dar. Dies ergebe sich bereits aus § 3 BUrlG, der den Urlaubsanspruch in (Werk-)Tagen berechnet. Urlaub könne daher nicht stundenweise berechnet und regelmäßig auch nicht stundenweise gewährt werden. Auch der Vorschrift des § 7 II 1 BUrlG, wonach Urlaub grundsätzlich zusammenhängend zu gewähren ist, sei zu entnehmen, dass die arbeitsvertraglich geregelte Arbeitszeitverkürzung den Anspruch auf den gesetzlichen Erholungsurlaub nicht ersetzen könne (Rn. 32). Der Urlaub sei auch nicht gem. § 7 III 1 BUrlG verfallen. Nach dieser Regelung erlösche der gesetzliche Urlaubsanspruch zwar grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 III 2 BUrlG gegeben sei. Unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des EuGH bedürfe es aber einer richtlinienkonformen Auslegung von § 7 BUrlG. Nach § 7 I 1 BUrlG sei es dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Damit obliege dem Arbeitgeber unter Beachtung von Art. 7 I der EU-Arbeitszeitrichtlinie die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei der Arbeitgeber gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun". Der Arbeitgeber habe klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt. Die Beweislast trage insoweit der Arbeitgeber (Rn. 35). Diese Obliegenheit des Arbeitgebers sei nicht auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern beziehe sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren. Auch die bei Arbeitsunfähigkeit eingezogene Begrenzung auf 15 Monate greife nach Auffassung der erkennenden Kammer in den Fällen, in denen der Arbeitgeber – anders als in Krankheitsfällen – von der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers profitiert hat, nicht. Denn –anders als in den Fällen der Langzeiterkrankung- genieße der Arbeitgeber, der von der andauernden Anwesenheit des Arbeitnehmers profitiert hat, keinen Schutz (Rn. 36). Seiner Obliegenheit, den Kläger konkret zur Urlaubsaufnahme aufzufordern, sei der Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Urlaubsansprüche nicht nachgekommen. Im Gegenteil: Durch die konkrete Vertragsgestaltung sei der Eindruck entstanden, dass über eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung hinaus kein Urlaubsanspruch besteht (Rn. 37). Der Urlaubsanspruch des Klägers sei schließlich auch nicht durch Erfüllung erloschen. Insbesondere sei er nicht durch die Freistellung erfüllt worden, da die Beklagte den Kläger nicht unwiderruflich, sondern lediglich „bedingt" freigestellt hat (Rn. 40).

Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung knüpft das LAG an die jüngste Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 06.11.2018 – C 684/16) und des BAG (Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15) an. Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers erlischt danach nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig nimmt.

Redaktion beck-aktuell, 28. Juni 2019.