Nach einer sozialwidrigen Kündigung bestätigte das LAG Köln die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses und sprach der Arbeitnehmerin eine Abfindung von über 68.000 Euro zu. Sexuell motivierte Belästigungen, Avancen, Wutausbrüche und die Unberechenbarkeit des Geschäftsführers sorgten hier nicht nur für eine Unzumutbarkeit des Arbeitsverhältnisses, sondern auch eine besonders hohe Abfindungsquote von 2 Gehältern pro Beschäftigungsjahr (Urteil vom 09.07.2025 – 4 SLa 97/25).
"Gaaaaaaanz wichtig. Nichts unter dem Rock anziehen" – so lautete eine von zahlreichen WhatsApp Nachrichten eines Geschäftsführers an eine Mitarbeiterin. Seit über vier Jahren war sie in seinem Betrieb beschäftigt, pflegte nach seinen Aussagen ein "freundschaftliches" Verhältnis mit ihm - inklusive gelegentlichen Flirts, die sie auch "forciert" haben soll. Die Nachrichten, die schließlich vor Gericht landeten, zeichneten indes ein anderes Bild.
Avancen, Nötigungen, Beleidigungen
"Morgen Chefin, Morgen schöne Frau, Morgen mein Kopfschmerz, Morgen mein Aspirin, Morgen Dumpfbacke, Morgen Tippex" (Letzteres wohl eine Anspielung auf ihre Nagellackfarbe), hieß es in einer Sprachnachricht vom Februar 2024. Sie solle sich für die ankommenden "Möchtegern-Banker" doch "rockmäßig" und "dekolteemäßig" (sic!) etwas anziehen – die Herren würden auch rote Nägel und High Heels besonders schätzen. Er selbst müsse ihretwegen bei dem Meeting zwar "Kopfschmerzen aushalten", aber man habe schließlich nach ihr gefragt.
Als sie eine Nachricht mit "Ja, in Ordnung" quittierte, antwortete er mit einem Messer-Emoji. "Du lernst es nie. Das heißt 'Ja gerne, mein Schatz'. Oder 'Kann es kaum abwarten, meinen Traum(Alp) Mann zu sehen.'" Sie nannte ihn daraufhin in einer Nachricht "mein Bester", was einen von vielen Wutausbrüchen heraufbeschwor: "(…) Deine Einstellung kotzt mich sowas von an. (…) Du müsstest auf die Knie fallen und Danke sagen. Was bist du bloß für ein Mensch. (…)". Er eskalierte die Situation ohne weiteres Zutun der Arbeitnehmerin, schickte sie in den Urlaub, drohte mit Homeoffice und der Zurücknahme aller bisherigen persönlichen Geschenke. Nach einem erfolglosen Versöhnungsversuch mittels Blumenstraußes und Thermengutscheins gipfelte alles in einer Kündigung.
Vor dem ArbG Bonn klagte die Arbeitnehmerin auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses sowie Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei einer Abfindung von 70.000 Euro. Gegen das stattgebende Urteil ging der Arbeitgeber in Berufung. Er verwies dabei unter anderem auf das "äußerst gute und familiäre Betriebsklima, in welchem spaßige Bemerkungen (…) an der Tagesordnung seien" sowie auf die Möglichkeit der Klägerin, die Handynummer zu wechseln oder den Geschäftsführer zu blockieren, um seinen Nachrichten zu entgehen. Die Kündigung sei außerdem wegen vormaliger Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin ergangen. Das LAG Köln ließ das nicht gelten und wies die Berufung ganz überwiegend zurück.
Verhalten des Arbeitgebers war unzumutbar
Die 4. Kammer stellte klar, dass es für eine gerichtliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses mehr brauche als nur eine sozialwidrige Kündigung. Das Arbeitsverhältnis müsse zusätzlich auf unbestimmte Dauer unzumutbar sein, was wiederum hier durch das Verhalten des Geschäftsführers kurz vor der Kündigung erfüllt sei.
Daran könne auch nicht etwa eine "Entschuldigungskarte" mit einer Einladung zur Therme etwas ändern. Denn er habe als Reaktion auf die Ablehnung alle bisherigen (Geld-)Geschenke sowie den Dienstwagen und die Tankkarte zurückgefordert und bei der Arbeitnehmerin abgeholt. Das sei im Übrigen rechtswidrig gewesen, da die Arbeitnehmerin Eigentum an den Geschenken erworben und einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf den Dienstwagen gehabt habe. Im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis zeige das, so die Kammer, dass die Arbeitnehmerin auch zukünftig Repressalien zu befürchten habe.
Dass die Kündigung vier Tage nach der Ablehnung der Thermeneinladung ausgesprochen wurde, lasse außerdem an der "Nachhaltigkeit" der Entschuldigung zweifeln. Der Geschäftsführer habe seine privaten Annäherungsversuche zum Anlass genommen, die einschneidendste arbeitsrechtliche Maßnahme zu ergreifen, die ihm zur Verfügung stehe - nämlich die Kündigung. Eine freundschaftliche, auch flirt-lastige Beziehung erscheine für sich zwar "völlig unproblematisch", allerdings nur, wenn diese keine negativen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis habe. Hier sei das Verhältnis aber eindeutig nicht mehr freundschaftlich gewesen. Der Geschäftsführer habe sich vielmehr das Recht herausgenommen, erst sexuell anzügliche Anweisungen zu geben und sie dann anlasslos zu beleidigen. Außerdem sei er es gewesen, der seinen Unmut über die privaten Verhältnisse in das Arbeitsverhältnis getragen habe.
Da er "offenbar seine Wünsche und Drohungen gerne über WhatsApp kommuniziert", sei auch ein Verweis auf eine überwiegende Homeoffice-Tätigkeit der Arbeitnehmerin kaum eine Garantie für eine irgendwie zumutbare Fortführung des Arbeitsverhältnisses.
Auch ließ sich die Kammer nicht davon überzeugen, dass die Kündigung nicht willkürlich, sondern wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin ergangen worden sei. Der Arbeitgeber hatte hier behauptet, die Klägerin habe in der Vergangenheit jenseits des Bestelllimits Aufträge angenommen und durchgeführt. Für die Arbeitnehmerin genügte hier jedoch ein einfaches Bestreiten dahin gehend, dass Warenversendungen erst nach Absegnung der Geschäftsleitung "rausgingen". Ebenso wenig habe der Arbeitgeber im Hinblick auf die vermeintlich übertriebene Handyzeit oder Fahrlässigkeit der Arbeitnehmerin in Tätigkeiten seiner Darlegungslast genügt.
Hohe Abfindungsquote gerechtfertigt
Im Wesentlichen bestätigte die Kammer auch die Höhe der Abfindung. Die Bemessung liege im Ermessen des Gerichts, jedoch innerhalb der Grenzen des § 10 KSchG (bis zu 12 Monatsgehälter). Im Grundsatz sei hier von einer Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr auszugehen. Das gelte allerdings nur, wenn die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses weiterhin in Streit stehe.
Bei einer Auflösung wegen sozialwidriger Kündigung sei das Ende des Arbeitsverhältnisses klar, sodass auf einen Faktor von einem Monatsgehalt pro Jahr erhöht werden könne. Dieser sei um weitere 0,5 Punkte hochzusetzen, da die Kündigung hier sogar grob sozialwidrig gewesen sei. Zusätzliche 0,5 Punkte folgten schließlich aus der Genugtuungsfunktion der Abfindung sowie aus den erheblichen psychischen Belastungen, die die Arbeitnehmerin erlitten habe – sie sei seit Mai 2024 an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt. Das Verschulden des Arbeitgebers rechtfertige daher eine Abfindung von 2 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr und damit in Höhe von 68.153,80 Euro.