Kassiererin gab am Telefon 124 Prepaidcodes heraus
Die Beklagte arbeitet in Teilzeit als Kassiererin in einer Tankstelle. Bei ihrer Einarbeitung wurde ihr die Betriebsanweisung mitgeteilt, Telefonkarten nicht am Telefon herauszugeben. Am Abend des 29.09.2015 erhielt sie in der Tankstelle um 22.49 Uhr einen Anruf von einer männlichen Person, die sich als Mitarbeiter einer Telefongesellschaft ausgab. Er erklärte, dass eine Systemumstellung vorgenommen werden solle. Damit sei eine andere Firma beauftragt, und zwar diejenige, die für Betreuung des gesamten Betriebssystems der Tankstelle zuständig sei. Diese würde sich kurze Zeit später telefonisch melden. Um 22.51 Uhr rief eine weitere männliche Person an, die sich als Mitarbeiter der beauftragten Firma ausgab. Diese gab an, dass sämtliche 30-Euro-Prepaidtelefonkarten durch neue ersetzt werden müssten. Die Beklagte scannte daraufhin insgesamt 124 Prepaidkarten zu je 30 Euro ein, druckte die jeweils 14stelligen Codes aus und gab dem Anrufer sämtliche Prepaid-Codes telefonisch bekannt.
3.720 Euro Schaden durch "Spoofing"
Bei den Anrufen handelte es sich um einen Betrug, durch den ein Schaden von 3.720 Euro entstand. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass es sich um einen Fall von "Spoofing" handelte, bei dem eine falsche Telefonnummer des Anrufers angezeigt wurde. Die Klägerin, eine Versicherung, erstattete der Tankstelleninhaberin diesen Schaden und nahm die beklagte Arbeitnehmerin aus übergegangenem Recht in Anspruch. Das ArbG wies die Klage ab.
LAG verneint grobe Fahrlässigkeit – Kassiererin strukturell unterlegen
Die dagegen eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Die Klägerin habe die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist nicht gewahrt. Nach dem Arbeitsvertrag sei daher eine Haftung nur noch bei grober Fahrlässigkeit in Betracht gekommen. Laut LAG hat die Kassiererin aber nicht grob fahrlässig gehandelt. Die Kassiererin habe in der konkreten Situation die erforderliche Sorgfalt nicht in einem ungewöhnlich hohen Maße verletzt und das verkannt, was jedem hätte sofort einleuchten müssen. In der doppelten Anrufsituation befand sie sich in einer strukturellen Unterlegenheit gegenüber den Anrufern, die den Betrugsversuch professionell vorbereitet hatten.
Fehlende Systemnachfrage bei Karteneingabe sprach für Echtheit der Anrufe
Einen ganz entscheidenden Aspekt dafür, dass die Kassiererin die Anrufe für echt halten durfte, sah das LAG darin, dass das System bei der Eingabe der 124 Karten die Kassiererin – anders als sonst – nicht gefragt habe, ob die Eingabe aufgrund telefonischer Anfrage erfolgte. Nach den zwei angeblich von der Telefongesellschaft und des Systembetreibers der Tankstelle erfolgten Anrufen habe die Kassiererin jedenfalls aufgrund dieses weiteren Umstandes davon ausgehen dürfen, dass alles seine Richtigkeit hatte, selbst wenn generell eine Herausgabe der Codes der Telefonkarten auf telefonische Anweisung nicht erfolgen sollte.