Lehrer-Kündigung wegen "Impfung macht frei"-Videos unwirksam

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Kündigung eines Lehrers, der ein Video unter Verwendung eines Bildes des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift "Impfung macht frei" bei YouTube eingestellt hat, für unwirksam erachtet. Es hat das Arbeitsverhältnis jedoch auf Antrag des Landes Berlin zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegen eine Abfindung von etwa 72.000 Euro aufgelöst. 

Land kündigte Lehrer wegen "Impfvideos"

Ein Lehrer des Landes Berlin veröffentlichte im Juli 2021 als Stellungnahme zur Impfpolitik der Bundesregierung auf YouTube ein Video, das mit der Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers begann, bei dem der Originalschriftzug des Tores "Arbeit macht frei" durch den Text "Impfung macht frei" ersetzt worden war. Das Land hatte dem Lehrer im August 2021 im Hinblick auf dieses Video fristlos und hilfsweise fristgemäß zum 31.03.2022 mit der Begründung gekündigt, er setze in dem Video das staatliche Werben um Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte deren Opfer. Der Lehrer habe seine Schülerinnen und Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen, und sich in anderen Videos auf YouTube als Lehrer aus Berlin vorgestellt.

Lehrer berief sich auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit

Der Lehrer sah in dem Video keine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung und keinen Grund für eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ohne Bezug zu seinem Arbeitsverhältnis ausschließlich scharfe Kritik üben wollen. Das Video sei durch sein Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt.

Erneute Kündigung wegen weiteren Videos

Mit einem weiteren, im Juli 2022 veröffentlichten Video erklärte der Lehrer unter Hinweis auf seine Beschäftigung als Lehrer in Berlin unter anderem, die totalitären Systeme Hitlers, Stalins und Maos hätten zusammen nicht so viel Leid und Tod verursacht wie die "Corona-Spritz-Nötiger". Daraufhin kündigte das Land Berlin im Juli 2022 erneut fristlos und hilfsweise ordentlich. Es sah in dem Video von Juli 2022 eine eindeutige Verharmlosung des Holocaust und einen eindeutigen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Der Lehrer meinte, es handele sich lediglich um ein wütendes Statement und ausschließlich um seine persönliche Meinung, die dem Land Berlin nicht zugeordnet werden könnten.

Ergänzend Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragt

Ergänzend zu den Kündigungen beantragte das Land Berlin in beiden Instanzen für den Fall der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von etwa 16.000 Euro (ein Fünftel eines Monatsverdienstes des Lehrers pro Beschäftigungsjahr) nach Maßgabe von §§ 9 und 10 KSchG zum 31.03.2022 aufzulösen. Aufgrund mehrerer Äußerungen des Lehrers in dem Video von Juli 2022 und im laufenden Gerichtsverfahren lägen schwerwiegende Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche und vertrauensvolle weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr erwarten ließen.

Land in erster Instanz erfolgreich

Das Arbeitsgericht Berlin hatte die Klage des Lehrers abgewiesen und die erste außerordentliche Kündigung für wirksam erachtet. Das Video könne nicht mehr als eine durch die Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit gedeckte Kritik ausgelegt werden, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei dem Land aus diesem Grund unzumutbar.

LAG: Kündigungen unwirksam

Das LAG hat dagegen die außerordentlichen und ordentlichen Kündigungen unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls für unwirksam erachtet. Da das Land dem Personalrat betreffend die Kündigung von August 2021 nur den Screenshot des Eingangsbildes des Videos als Kündigungsgrund genannt habe, könne es sich im Kündigungsschutzverfahren auch nur darauf stützen. Das LAG habe die Deutung des Lehrers, eine scharfe Kritik an der Coronapolitik zu äußern, nicht zwingend ausschließen und deshalb eine Überschreitung des Grundrechts auf Meinungsäußerung nicht eindeutig feststellen können. Der Umstand, dass er als Lehrer tätig sei, lasse keinen anderen Maßstab bei der Beurteilung zu.

Arbeitsverhältnis aber gegen Abfindung aufgelöst

Das LAG hat das Arbeitsverhältnis jedoch mit Wirkung zum 31.03.2022 nach §§ 9 und 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst, weil dem Land Berlin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Lehrer unter anderem im Hinblick auf Äußerungen im Video von Juli 2022 und im hiesigen Verfahren nicht mehr zumutbar sei. Das LAG hat das Land Berlin insoweit zur Zahlung einer Abfindung von etwa 72.000 EUR (zwölf Monatsverdienste) an den seit 2008 bei ihm beschäftigten 62-jährigen Lehrer verurteilt.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.06.2023 - 10 Sa 1143/22

Redaktion beck-aktuell, 15. Juni 2023.