Einer medizinischen Fachangestellten einer Augenarztpraxis wurde außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt, weil sie verdächtigt wurde, eine Patientenakte manipuliert zu haben. Die Kündigung erreichte die Arbeitnehmerin während ihrer Schwangerschaft. Nach der Entbindung kündigte die Gemeinschaftspraxis erneut mit demselben Grund außerordentlich und hilfsweise ordentlich.
Sie versendete das Schreiben per Einwurf-Einschreiben und legte dem Gericht zum Beweis des Zugangs den Einlieferungsbeleg und den Sendestatus der Deutschen Post vor. Die Fachangestellte bestritt den Zugang der Kündigung. Die Praxis kündigte ihr Arbeitsverhältnis noch zwei weitere Male. Da das Arbeitsgericht die Wirksamkeit der zweiten Kündigung feststellte, ging die Arbeitnehmerin in die Berufung. Das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.12.2023 – 15 Sa 20/23) hob die Entscheidung auf und befand erst die dritte ordentliche Kündigung als wirksam.
Boten sind der beste Beleg für den Zugang
Die Württemberger Richterinnen und Richter sahen die Augenarztpraxis in der Pflicht, den Zugang der Kündigung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beweisen, da der Zugang Voraussetzung für ihre Wirksamkeit sei. Allein der Einlieferungsbeleg bei der Post und der Sendestatus genügten nicht, um den Zugang zu belegen. Der Einlieferungsbeleg beweise nur, dass die Praxis ein Schreiben als Einwurfeinschreiben an die Adressatin bei der Post aufgegeben habe. Obwohl er eine Sendungsnummer enthielt, anhand derer man im Internet die Sendung verfolgen konnte, ließ das LAG diesen Nachweis nicht gelten.
Der Sendestatus, so das LAG, sei ein maschinelles Verfahren, der keinerlei menschliches Tun abbilde: Weder der Name der Zustellerin oder des Zustellers noch ihre Unterschrift oder ihr Namenskürzel werden aufgeführt. Daher sah die 15. Kammer noch nicht einmal einen Anscheinsbeweis durch Vorlage des Einlieferungsbelegs plus Sendestatus.
Das LAG zeigte einen Ausweg: Man könne innerhalb von 15 Monaten nach der Aufgabe des Einwurfeinschreibens mit der Sendungsnummer bei der Post einen Auslieferungsbeleg beantragen, anhand dessen auch klar erkennbar sei, welche Zustellerin oder Zusteller zu welchem Datum und zu welcher Uhrzeit das Schreiben in den Hausbriefkasten geworfen habe. Dann könne die entsprechende Person auch als Zeuge benannt werden. Diesen Auslieferungsbeleg blieb die Augenarztpraxis aber schuldig. Die zweite Kündigung sei daher auch nicht wirksam gewesen.