Längere Schonfrist für Krisen-Unternehmen
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© Bernd von Jutrczenka / dpa

In der Großen Koalition deutet sich eine Verlängerung der Möglichkeit für Unternehmen an, auf die Stellung eines Insolvenzantrags zu verzichten, wenn sie wegen der Corona-Pandemie in finanzielle Bedrängnis geraten sind. Heribert Hirte (CDU), amtierender Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschusses, sagte der NJW: "Die traurige Wahrheit ist, dass wir nicht jedes Unternehmen werden retten können." Und eine Aussetzung der Antragspflicht habe negative Folgen.

SPD für Verlängerung


Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) macht sich derzeit dafür stark, die eigentlich Ende September auslaufende Aussetzung der Antragspflicht um ein halbes Jahr zu verlängern. Der zuständige Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion, Karl-Heinz Brunner, sekundierte zu Wochenbeginn: "Es ist richtig, die Insolvenzantragspflicht weiter auszusetzen, damit die Unternehmen und Arbeitsplätze gerettet werden und Gläubigern eine echte Chance gegeben wird, ihre Forderungen auch realisiert zu bekommen." Eine Insolvenz mit einer Miniquote nütze niemandem.

CDU/CSU für Kompromiss

Der Vizefraktionsvorsitzende der Union, Thorsten Frei (CDU), hat sich hingegen nur für einen zusätzlichen Aufschub um drei weitere Monate ausgesprochen. Zu diesem Kompromiss neigt auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Union, Joachim Pfeiffer. Der CDU-Parlamentarier Heribert Hirte – Juraprofessor und selbst ein namhafter Insolvenzrechtler – nannte es gegenüber der NJW eine traurige Wahrheit, dass nicht jedes Unternehmen gerettet werden könne. "Denn diese Lasten müssen schlussendlich von anderen getragen werden." Es sei ja nicht das Insolvenzrecht, das die Insolvenz auslöse, sondern die coronabedingte wirtschaftliche Lage.

Hirte: "Überschuldung" streichen!

Sorge bereite ihm die große Angst vor dem Insolvenzverfahren als Sanierungsinstrument, vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, so Hirte weiter. Die Hoffnung – und Forderung – nach einer beschleunigten Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie könne hier vielleicht helfen. "Im Übrigen ist es die Suche nach der Quadratur des Kreises: Denn je teurer ein Verfahren, desto höher die Zugangsschwelle; wenn es aber nichts kostet, erreicht es nicht das Ziel. Und hier hat gerade auch die Aussetzung des Insolvenzanfechtungsrechts negative Folgen, weil sie derzeit die verfügbaren Massen reduziert." Hirte legt daher den Schwerpunkt auf eine viel grundlegendere Maßnahme: "Der Insolvenzgrund der Überschuldung sollte schon nach dem lange vor Corona geschlossenen Koalitionsvertrag auf den Prüfstand. Den könnten wir daher schon einmal vorab streichen."

Opposition wittert Wahlkampftrick

Gar nichts von einer Verlängerung halten dagegen FDP, der DAV und zahlreiche Insolvenzverwalter. Die Liberalen-Bundestagsabgeordnete Judith Skudelny erklärte, der Vorstoß der Ministerin "hilft weder den Firmen, die eine wirtschaftliche Perspektive brauchen, noch den Gläubigern, die in Vertrauen auf die Regierung weiter in Vorleistung gehen". Der Vorstoß sei "ein jämmerlicher Versuch der SPD, die bestehenden wirtschaftlichen Probleme erst nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sichtbar werden zu lassen."

DAV: Leichen weg von der Straße!

Noch drastischer äußerte sich Jörn Weitzmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im DAV: "Die Aussetzung der Insolvenzantragspflichten führt dazu, dass zahlungsunfähige und überschuldete Unternehmen andere anstecken und infizieren." Deshalb sei es wichtig, diese in den Turnaround – und wo dieses nicht klappt in den Exit – zu schicken. Wie ein Obsthändler "faule Kirschen" aus der Obstschütte aussortiere, um zu verhindern, dass andere infiziert werden, gelte das auch für Unternehmen: "Man bekommt die Cholera nicht aus der Stadt, wenn man die Leichen nicht von der Straße räumt."

Auch Insolvenzverwalter warnen

Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), warnte angesichts eines drastischen Rückgangs der Unternehmensinsolvenzen vor einer "Fehlentwicklung, die dringend korrigiert werden muss“. Lambrechts Vorschlag sei daher nicht der richtige Weg. Ähnliche Stimmen kamen von Lucas Flöther, dem Sprecher des Gravenbrucher Kreises von Insolvenzverwaltern, und von DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 12. August 2020.