Kontroverse im Innenausschuss um ergänzende Vorbereitungshaft

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Verschiebung des Zensus in das Jahr 2022 und zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes" ist bei einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages am 02.11.2020 bei den Sachverständigen auf ein gemischtes Echo gestoßen. Kontrovers diskutiert wurde vor allem ein neuer Hafttatbestand zur Vorbereitung einer Abschiebungsandrohung für Gefährder. Die Zensusverschiebung dagegen wurde einhellig begrüßt.

Hailbronner: Statt Vorbereitungshaft auch weitergehende Sicherungshaft denkbar

In der Anhörung verwies der Rechtswissenschaftler Kay Hailbronner darauf, dass mit der ergänzenden Vorbereitungshaft ermöglicht werden soll, auch einen Asylantragsteller in Haft zu nehmen, der bereits im Besitz einer Aufenthaltsgestattung ist. Damit solle eine rasche Ablehnung eines aus sachfremden Motiven gestellten Antrags ermöglicht werden. Dabei sei die Vorbereitungshaft nur zulässig, so Hailbronner, wenn von dem Ausländer erhebliche Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehen. Seines Erachtens würde jedoch der Gesichtspunkt der Durchsetzung der Ausreisepflicht illegal aufhältiger Ausländer auch eine über die vorgeschlagene Reglung hinausgehende Anordnung von Sicherungshaft erlauben, "wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Asylantrag aus sachfremden Motiven gestellt wird, um das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu unterlaufen und sich einer Ausreisepflicht nach Ablehnung des Asylantrags zu entziehen".

Kau: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Nach Ansicht von Marcel Kau von der Universität Konstanz sind "keine verfassungsrechtlichen oder unionsrechtlichen Aspekte zu sehen, die gegen die getroffenen Regelungen sprechen". Da die Regelungen "sehr spezifisch und einzelfallorientiert ausgefallen" seien, sei davon auszugehen, dass sie in ihrer Anwendung "auf eine sehr begrenzte Anzahl von speziellen Fällen begrenzt sein werden".

Tometten: Ergänzende Vorbereitungshaft nicht notwendig

Der Berliner Rechtsanwalt Christoph Tometten sagte, für die Terrorismus-Abwehr bedürfe es der ergänzenden Vorbereitungshaft nicht. Bereits jetzt könnten zur Abwehr einer terroristischen Gefahr Abschiebungsanordnungen erlassen werden, wobei bereits vor Erlass einer solchen Anordnung eine Vorbereitungshaft in Betracht komme. Eine weitere Haftregelung sei daher im Bereich der Terrorismus-Abwehr überflüssig.

Wittmann: "Präventivhaft für Gefährder" nicht Teil deutscher Rechtstradition

Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgericht Karlsruhe, hob hervor, dass die EU-Aufnahmerichtlinie "eine Art Präventivhaft für Gefährder" vorsehe. Eine solche Präventivhaft über längere Zeiträume entspreche jedoch nicht deutscher Rechtstradition und sei für Gefährder mit deutscher Staatsangehörigkeit nicht vorgesehen. Nach seinen Worten sollte der Bundesgesetzgeber sicherstellen, dass eine Inhaftnahme nur dann erfolgt, wenn sie auch ohne Asylantragstellung möglich gewesen wäre und ein "zeitnahes negatives Ende des Asylverfahrens absehbar ist".

Kritik an Vermischung mit Zensusverschiebung

Der stellvertretende Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland, Stefan Keßler, kritisierte, dass die Einstufung als gefährliche Person zur ergänzenden Vorbereitungshaft führen solle, aber eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit nirgendwo klar definiert" werde. Auch könne "in der Haft kein sachgerechtes Asylverfahren durchgeführt werden". Keßler monierte zugleich, die Zensusverschiebung und die ergänzende Vorbereitungshaft hätten nichts miteinander zu tun. Die Vermischung beider Punkte sei problematisch, weil die Zensusverschiebung anders als die Regelungen zur Vorbereitungshaft eilbedürftig sei.

Statistisches Bundesamt: Zensusverschiebung zwingend

Zur Verschiebung des Zensus 2021 verwies der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Georg Thiel, unter anderem darauf, dass viele statistische Ämter Personal beispielsweise zur Unterstützung der Gesundheitsämter abgezogen hätten. Auch sei es unter Pandemiebedingungen schwer möglich, von Haustür zur Haustür zu gehen, um die Angaben zu überprüfen oder zu vervollständigen. Daher sei die Verschiebung des Stichtages um ein Jahr zwingend, weil ansonsten die Qualitätsanforderungen für den Zensus nicht zu erfüllen wären. Dem Gesetzentwurf zufolge soll der bislang für das kommende Jahr geplante Zensus auf das Folgejahr verschoben werden. Wie die Bundesregierung darin darlegt, haben sich mit der Corona-Krise auch bei der Aufgabenerfüllung der Verwaltung erhebliche Einschränkungen ergeben. "Eine planmäßige Durchführung des Zensus im Mai 2021 kann daher nicht mehr sichergestellt werden", schreibt die Bundesregierung weiter. Daher soll der Stichtag des Zensus um ein Jahr verschoben und die erforderlichen Datenlieferungen an den neuen Zensusstichtag angepasst werden.

Redaktion beck-aktuell, 3. November 2020.