Weniger AGB-Kontrolle, neue Arbeitszeiten, neues Mordmerkmal: Wirtschafts-, Arbeits- und Familienrecht im Koalitionsvertrag
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Der Koalitionsvertrag von SPD und Union steht. Vieles soll einfacher werden, für Unternehmen, Verbraucher und auch Arbeitgeber. Vertragsbrüchige EU-Staaten wollen die Koalitionäre zur Rechenschaft ziehen und im Bereich Gewaltschutz soll vieles über das Strafrecht laufen. Ein neues Mordmerkmal ist auch geplant.

Es geht nicht darum, alles zu ändern, aber es geht darum, das Richtige zu ändern, an den richtigen Stellschrauben zu drehen", sagte SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Viele solcher Stellschrauben haben die Koalitionäre im Zivil- und Wirtschaftsrecht entdeckt. Dabei geht es häufig um Verbraucherschutz und den Abbau von Bürokratie. Grundsätzlicher wird es beim Thema EU. Auch dem Gewaltschutz - digital wie im realen Leben - hat der Koalitionsvertrag viel Platz gewidmet und in Law-and-order-Manier zu mehr Strafrecht gegriffen.

LkSG aussetzen, weniger AGB-Kontrolle zwischen Unternehmen 

Im Wirtschaftsrecht hat sich die Koalition viel vorgenommen, aber auch Etliches auf Prüfungen und Evaluationen verschoben. Oben auf der Agenda für Unternehmen steht das "Sofortprogramm für den Bürokratierückbau", das bis Ende des Jahres 2025 vor allem für KMU Dokumentations-, Schulungs- und Weitebildungspflichten reduzieren soll. Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wird dem Kontrakt zufolge abgeschafft und durch ein "Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung“ ersetzt. Es soll die ohnehin umzusetzende Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) "bürokratiearm und vollzugsfreundlich" ins deutsche Recht einbauen. Die Berichtspflicht nach dem LkSG wird demnach "unmittelbar abgeschafft und entfällt komplett".

Deutschland soll für die Wirtschaft wieder attraktiver werden. Dazu soll nun eine Forderung vieler Expertinnen und Experten nach einer Reform des strengen deutschen AGB-Rechts im reinen Unternehmenskontext erhört werden: Laut Koalitionsvertrag soll das AGB-Recht reformiert werden, "um sicherzustellen, dass sich große Kapitalgesellschaften (…) darauf verlassen können, dass das im Rahmen der Privatautonomie Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird." Dabei zielt die Reform zunächst nur auf große Unternehmen nach § 267 Absatz 3 HGB ab, also solche mit mehr als 250 Mitarbeitenden bzw. einer Bilanzsumme von mehr als 25 Millionen Euro oder 50 Millionen Euro Umsatzerlösen.

Reform des Beschlussmängelrechts, unbürokratische Arbeitszeiterfassung

Aktiengesellschaften dürfen auf eine von ihnen lange geforderte Reform des Beschlussmängelrechts hoffen. Das Recht der Genossenschaft wird reformiert und die neue Rechtsform der "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen" eingeführt.

Die von EU und EuGH geschaffene Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten soll „unbürokratisch“ geregelt werden – mit Übergangsregeln für kleine und mittlere Unternehmen. Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung bleibe "im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie" möglich, verspricht die Koalition. Prämien von Arbeitgebern zur Ausweitung der Arbeitszeit sollen steuerlich begünstigt werden. Die Mitbestimmung im Betrieb will man "weiterentwickeln".

Im Arbeitskontext geht die Koalition auch das Thema Gleichstellung der Geschlechter an – wenn auch eher im Schneckentempo. "Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer bis 2030 verwirklichen", heißt es im Vertrag. Dazu werde man die EU-Transparenzrichtlinie bürokratiearm in nationales Recht umsetzen.

Trotz der jüngsten Reform gibt es laut CDU/CSU und SPD im Inkassorecht weiterhin zu viel Missbrauch. Rechtliche Betreuerinnen und Betreuer sollen abermals besser vergütet werden. Urheber und Urheberinnen wollen CDU, CSU und SPD besser für eine Nutzung durch generative KI vergüten, Streamingplattformen sollen Kreativen mehr Geld für die Verbreitung von Musik zahlen. Rechtsmittel gegen Diskriminierungen will die künftige Bundesregierung mit Hilfe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ausbauen.

Verbraucherschutz: Digitale Entschädigungen, Elementarschädenversicherung 

Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist auch etwas im Köcher: Entschädigungen etwa für Zugverspätungen sollen sie unter dem Label "Smart Contracts“ digital beantragen können oder sogar automatisch erhalten, wenn das Ticket über eine App oder online gebucht wurde. Die Formvorschriften im BGB (§§ 126 ff.) will Schwarz-Rot vereinfachen.

Beim Immobilienkauf sollen Verbraucher bei der Insolvenz eines Bauträgers besser geschützt werden. Konsumentinnen möchte man bei telefonisch angebahnten Dauerschuldverhältnissen durch eine Bestätigungslösung umfassend vor unlauteren Tricks der Anbieter bewahren.  

Eine Konsequenz aus den Hochwasserkatastrophen: Wohngebäudeversicherungen müssen künftig Elementarschäden umfassen – aber womöglich mit einer Opt-out-Lösung. Demnach sollen neue Wohngebäudeversicherungen künftig nur noch mit Elementarschadenabsicherung angeboten, bestehende schnell aufgerüstet werden. Außerdem plant die kommende Regierung eine staatliche Rückversicherung für Elementarschäden und will konkretere Staatshaftungsregeln für Baubehörden in schadensgefährdeten Gebieten prüfen.  

Familienrechtsreform, Schutz von Frauen vor Gewalt

Die von vielen Familienrechtlerinnen und Familienrechtlern lange geforderte Reform will die kommende Regierung angehen. So soll häusliche Gewalt stärker im Sorge- und Umgangsrecht berücksichtigt werden. Das Unterhaltsrecht soll stärker mit dem Steuer- und Sozialrecht verzahnt werden, damit mögliche Änderungen nicht zulasten der Kinder gingen. Das Namensrecht soll vereinfacht werden. Aber auch die missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung hat es in den Koalitionsvertrag geschafft – wenn auch nur mit einem Satz. Diese will die kommende Regierung nämlich "wirksam unterbinden".

Um Frauen wirksam vor Gewalt zu schützen, bemüht die kommende Regierung einmal mehr das Strafrecht. So soll ein neues Mordmerkmal kommen, das Frauen, aber auch "besonders verletzliche Personen" in den Blick nimmt. Für gefährliche Körperverletzung und Raub sollen ebenfalls Qualifikationstatbestände geprüft werden.  

Stalking soll härter bestraft werden und auch die Verwendung von GPS-Trackern enthalten. Auch für Gruppen-Vergewaltigungen soll der Strafrahmen angehoben werden. In einem Gewaltschutzgesetz sollen die Anwendung einer elektronischen Fußfessel und verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings verankert werden. Im Internet sollen Betroffene durch ein digitales Gewaltschutzgesetz leichter Accounts sperren lassen können. 

Das Selbstbestimmungsgesetz wollen Union und SPD derweil kritisch prüfen. "Bei der Evaluation legen wir einen besonderen Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen", heißt es im Koalitionsvertrag.

EU-Bürokratie stoppen, kein Geld für vertragsbrüchige Mitgliedstaaten 

Die Koalitionäre bekennen sich klar zur Europäischen Union. Von Wirtschaftsfragen über eine gemeinsame Verteidigungsstrategie bis hin zu neuen EU-Staaten widmen sie Europa ein langes Kapitel im Koalitionsvertrag. So plant Rot-Schwarz allgemein die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, die Modernisierung des Wettbewerbs- und Beihilferechts sowie eine Vereinfachung der Verfahren für grenzüberschreitende Wirtschaftsprojekte.

Ein großes Thema auch dabei: der Bürokratieabbau. "Wir begrüßen, dass die EU-Kommission Initiativen zur Verringerung des Verwaltungsaufwands vorgelegt und weitere angekündigt hat", heißt es im Vertrag. Man werde sich für einen substanziellen Rückbau der Bürokratie einsetzen.

Weniger enthusiastisch äußert sich der Koalitionsvertrag zu Mitgliedstaaten, die sich nicht ans EU-Recht halten. Sie sollen künftig konsequenter sanktioniert werden. Vertragsverletzungsverfahren oder auch das Einfrieren von Geldern müssten konsequenter angewandt werden. Dafür werde sich die Koalition in Europa einsetzen.

Menschenrechte, ein anderes IFG, das Forum Recht soll bleiben 

"Die Universalität, Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte bilden das Fundament der regelbasierten internationalen Weltordnung", heißt es im Kapitel "Menschenrechte" des Koalitionsvertrags. Man werde nicht zulassen, dass diejenigen, die sich für den Schutz dieser Rechte einsetzten, unter Repressalien durch autoritäre Staaten leiden müssten. Transnationaler Repression in Deutschland werde man wirksam begegnen, Institutionen und Gerichte, die sich dem Schutz und der Verteidigung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit verschrieben hätten, wirksam schützen. Außerdem strebt die Koalition einen Beitritt der EU zur EMRK an.

Gesellschaftlich soll sich nach dem Willen der Koalitionäre noch etwas verändern. Ein moderner Bundestag soll, so der Koalitionsvertrag, die Regierung und die Verwaltung effektiv kontrollieren können.

In diesem Kontext findet sich im abgestimmten Papier auch die Reform des Informationsfreiheitsgesetz (IFG), die in den vergangenen Tagen für viel Wirbel sorgte. Die Koalition will es nun "mit einem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung reformieren". Schwarz-Rot will aber die Bundeszentrale für politische Bildung sowie die politischen Stiftungen stärken und bekennt sich zur Stiftung Forum Recht in Karlsruhe und Leipzig.

Lesen Sie hier mehr zu den Plänen der Schwarz-roten Koalition:

"Erst der Inhalt, dann die Paragrafen": Bessere Gesetzgebung und Justizpläne im Koalitionsvertrag

Die neue Härte: Straf- und Migrationsrecht im Koalitionsvertrag

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, Prof. Dr. Joachim Jahn, 9. April 2025.

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