Das Unternehmensrecht – und in seinem Kern das Gesellschaftsrecht – spielen für den von der designierten schwarz-roten Bundesregierung versprochenen wirtschaftlichen Aufbruch eine bedeutende Rolle. In letzter Zeit war eine Vielzahl an Reformvorschlägen zu vernehmen. Vor diesem Hintergrund durfte man mit Spannung erwarten, welche Stoßrichtung die Verabredungen von Union und SPD nehmen würden und welche Vorhaben im Bereich des Gesellschaftsrechts in der anstehenden Legislaturperiode zu erwarten sind.
Der Koalitionsvertrag setzt sich das große Ziel, die Bedingungen für eine wettbewerbsfähige und wachsende Volkswirtschaft zu schaffen. Strukturelle Rahmenbedingungen sollen verbessert, Innovationen gefördert und Bürokratie zurückgebaut werden (Rz. 34 ff.). Dem Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht wird sogar ein eigenständiges Kapitel gewidmet (Rz. 2810 ff.). Der gesellschaftsrechtliche Kern reduziert sich dabei auf drei Vorhaben: 1) eine Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts, 2) eine Modernisierung des Genossenschaftsrechts und 3) die Einführung einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen.
Immerhin: Weitere Aspekte mit unternehmensrechtlichem Bezug finden sich außerhalb dieses Kapitels. Das betrifft u. a. Reformen im AGB-Recht und die Abschaffung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) bzw. die (zeit- und teilweise) Nichtsanktionierung von Verstößen dagegen. Ferner plant Schwarz-Rot, einen "Europäischen grenzüberschreitenden Verein" einzuführen und, nicht zuletzt, Maßnahmen zur Förderung von KMU und Start-ups.
Beschlussmängelrecht schon Vorhaben der letzten GroKo
Im Zentrum der gesellschaftsrechtlichen Vorhaben steht eine Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts (Rz. 2811 ff.). Die künftigen Koalitionäre zielen damit auf eine Stärkung der Rechtssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Missbrauchsmöglichkeiten sollen eingedämmt werden.
Dass sich die künftige Koalition diesem Projekt verschreibt, ist zu begrüßen. Dahingehende Reformen werden seit einiger Zeit auf breiter Front gefordert und schon der 72. Deutsche Juristentag 2018 schloss sich dem an, ebenso wie jüngst noch einmal die Gesellschaftsrechtliche Vereinigung und der Deutsche Anwaltverein. Gänzlich neu ist auch der politische Wille dazu nicht: Schon die Große Koalition wollte sich laut Koalitionsvertrag 2018 des Beschlussmängelrechts annehmen. Während seinerzeit das Spruchverfahren mit adressiert wurde, finden sich hierzu im aktuellen Koalitionsvertrag keine Ausführungen.
Gesellschaft mit gebundenem Vermögen und Genossenschaftsrecht
Nichts Neues bilden auch die Vorschläge zur Modernisierung des Genossenschaftsrechts und zur Einführung einer Rechtsform "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen" (Rz. 2815 ff.). Bereits die Ampelkoalition hatte in ihrem Bündnisvertrag vorgesehen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, darunter namentlich für Genossenschaften, zu verbessern. Der Gesetzgebungsprozess hat es immerhin zum Regierungsentwurf geschafft, wäre nun aber mit der neuen Legislaturperiode neu aufzugreifen.
Ohne Umsetzung blieb bislang auch die schon vom Ampel-Vertrag befürwortete Gesellschaft mit gebundenem Vermögen. Ob sie es über die nun formulierte Absichtserklärung ("wollen…einführen") hinaus zur Verwirklichung schaffen wird, bleibt abzuwarten. Die bislang drei wissenschaftlichen Expertenentwürfe wurden Stück für Stück überarbeitet, und doch bleibt die medial sehr präsente Initiative von sehr kritischen Tönen begleitet.
Lieferketten sorgen für Unsicherheit
Von großem Interesse für Unternehmen sind die Bemerkungen über den geplanten Bürokratierückbau. In diesem Zuge kündigt die kommende Koalition an, das nationale LkSG abzuschaffen (Rz. 1909 ff.). Wie genau das zu verstehen ist, bleibt wegen der weiteren Aussagen unklar, denn es soll durch ein "Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung" ersetzt werden, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt. Unmittelbar abgeschafft und komplett entfallen soll die Berichtspflicht nach dem LkSG. Ferner sollen Verletzungen der geltenden gesetzlichen Sorgfaltspflichten, mit Ausnahme von massiven Menschenrechtsverletzungen, vorübergehend nicht sanktioniert werden (Rz. 1913 f.).
Der Koalitionsvertrag knüpft hierbei an die von der EU-Kommission vorgelegten "Omnibus"-Entwürfe zur Reform der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD und Taxonomie-VO) sowie des Lieferkettenrechts an, die die angehenden Koalitionäre ausdrücklich unterstützen (Rz. 1914 f.). Indes stellt sich die Frage, ob dem Ziel der Entbürokratisierung nicht am Ende die Rechtssicherheit zum Opfer fällt. So bleibt unklar, welche der dem Schutz des LkSG unterstehenden Menschenrechtsverletzungen "massiv" und damit von Sanktionen bedroht bleiben sollen, und welche man übergangsweise für nicht sanktionsbedürftig hält. Mit einer nur vorübergehenden, teilweisen und mit Rechtsunsicherheiten verbundenen Abschaffung des LkSG dürfte für die Unternehmen keine substanzielle Erleichterung verbunden sein.
AGB-Reform: Gut gemeint, schlecht gemacht?
Weniger dem Gesellschaftsrecht, sondern vielmehr dem Unternehmensrecht als solchem ist das Vorhaben zuzuordnen, dass das AGB-Recht für große Kapitalgesellschaften reformiert werden soll. Sie sollen sich im B2B-Bereich darauf verlassen können, dass das im Rahmen der Privatautonomie Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird (Rz. 2783 ff.). Das ist erfreulich.
Dass man den Anknüpfungspunkt bei der Definitionsnorm für große Kapitalgesellschaften mit § 267 HGB wählt, erscheint aber nicht unmittelbar einleuchtend. Auch ist zu hinterfragen, warum die Erleichterung nur zwischen großen Kapitalgesellschaften ("untereinander" – Rz. 2785) gelten soll. Mit der geplanten Anhebung der KMU-Schwelle in Europa (Rz. 333) könnte es zudem zu einer Verkleinerung des Anwendungsbereichs kommen.
Unternehmensgründung in 24 Stunden geplant
Dem Koalitionsvertrag ist im Übrigen zu entnehmen, dass vor allem Start-ups gefördert werden sollen. Unter der Überschrift eines "Innovationsschubs für die Wirtschaft" (Rz. 100 ff.) will man eine "Gründerschutzzone" prüfen, ebenso fordert der Vertrag die Vereinfachung notarieller Vorgänge und digitaler Beurkundungsprozesse sowie einen automatischen Datenaustausch zwischen Notariat, Finanzamt und Gewerbeamt als vollständigen "One-Stop-Shop". So soll eine Unternehmensgründung binnen 24 Stunden möglich sein. Ferner will man die Mitarbeiterkapitalbeteiligung stärken, wobei man aber nur auf eine Ausgestaltung im Steuer- und Sozialversicherungsrecht Bezug nimmt (Rz. 106 f.). Dagegen wird etwa die jüngste Rechtsprechung des BAG über Verfallsklauseln im AGB-Recht zu "gevesteten" virtuellen Anteilen nicht aufgegriffen.
Noch eine weitere neue Rechtsform findet den Zuspruch der künftigen Bündnispartner. So wird das Vorhaben unterstützt, eine Rechtsform "Europäischer grenzüberschreitender Verein" einzuführen (Rz. 4440 f.). Die nähere Ausgestaltung bleibt vage: Ermöglicht werden soll die Gründung von Vereinen "nach weitgehend einheitlichen Rechtsprinzipien".
Schließlich wollen Union und SPD den Anteil von Frauen in Führungspositionen weiter erhöhen. Indes bleibt diese Zielvorstellung auf Bundesunternehmen beschränkt, sodass eine gesellschaftsrechtliche Anpassung der Regelungen zur Geschlechterquote im Aktienrecht für die Privatwirtschaft nicht zu erwarten sein dürfte (Rz. 3233 ff.). Auch die Repräsentation "Ostdeutscher" in Führungspositionen und Entscheidungsgremien soll "in allen Bereichen" verbessert werden (Rz. 3241 ff.), wobei aber für entsprechende Konzepte doch nur die Bundesverwaltung in den Blick genommen ist.
Würdigung
Welches Fazit lässt sich angesichts dieser Vorhaben ziehen? Steht das Gesellschaftsrecht im Aufbruch, und bringt der Koalitionsvertrag die erhoffte Befreiung der Wirtschaft aus einem zu engen Normenkorsett?
So erfreulich etwa das Bekenntnis zur Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts auch ist, es ist – wie die weiteren Bestrebungen – keine echte Neuigkeit und bleibt vage sowie unbestimmt. Der Wille zur Entlastung im Hinblick auf die Pflichten der ESG-Rahmenwerke ist zu begrüßen. Doch bergen schon die Formulierungen des Koalitionsvertrags weitere Unklarheiten, die es zu vermeiden gilt. Im Übrigen schweigt er sich zu zahlreichen Reformideen aus, die man zuletzt vernehmen konnte. Das dürfte von der Praxis hinsichtlich einer Kodifizierung des Unternehmenskaufs, die die 95. Justizministerkonferenz im vergangenen Jahr vorgeschlagen hat, mit Erleichterung aufgefasst werden. Auch die Zurückhaltung hinsichtlich einer weiteren Instrumentalisierung des Gesellschaftsrechts im Kampf gegen den Klimawandel dürfte überwiegend der Linie der Beschlüsse entsprechen, die der 74. Deutsche Juristentag 2024 gefasst hat; wenngleich sich dieser immerhin für eine Kodifizierung des "Say on Climate" ausgesprochen hatte, was vom Koalitionsvertrag nicht aufgegriffen wird.
Unbeachtet lässt dieser zudem eine ganze Reihe von Vorschlägen – und zwar für eine große Reform des Aktienrechts bzw. des Aufsichtsratsrechts, zum Delisting und Spruchverfahren, zum Hauptversammlungsrecht, zum Konzernrecht oder zum Recht der (unternehmerischen) Mitbestimmung. Nicht zuletzt bleibt die Frage unbeantwortet, wann und inwiefern die Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der CSRD, deren Umsetzungsfrist lange abgelaufen, nun aber hinsichtlich der Anwendungszeiträume von der EU weiter aufgeschoben ist ("Stop the clock"), national umgesetzt wird, ehe das europäische Gesetzgebungsverfahren zu den weiteren "Omnibus"-Entwürfen auch in der Sache zu Änderungen führen könnte.
Von einer Aufbruchstimmung im Gesellschaftsrecht kann damit nicht die Rede sein.
Dr. Pius O. Dolzer ist Rechtsanwalt bei SZA – Schilling, Zutt & Anschütz in Mannheim und dort verantwortlich für Fragen im Gesellschaftsrecht sowie in den Bereichen Compliance, ESG, Dispute Resolution. Er ist Autor mehrerer gesellschaftsrechtlicher Publikationen, darunter namentlich im Aktienrecht sowie zu Fragen der GmbH & Co. KG.