Koalition verschiebt Verbot der Ferkelkastration ohne Betäubung

Die große Koalition in Berlin verschiebt das ursprünglich von Januar 2019 an geplante Verbot der Kastration von Ferkeln ohne Betäubung. CDU/CSU und SPD verständigten sich nach Unionsangaben am 05.11.2018 auf einen Gesetzentwurf, mit dem die Übergangsfrist bis zum vollständigen Verbot um zwei Jahre verlängert wird. Grund seien fehlende Alternativen, was viele Schweinehalter ihre Existenz kosten könne. Die Koalitionsspitzen hatten sich bereits Anfang Oktober 2018 auf eine längere Übergangsfrist geeinigt. Grüne und Verbraucherschützer empörten sich und bestritten, dass es an Alternativen mangele – sie kosteten die Fleischindustrie nur mehr.

Fleisch ohne strengen Beigeschmack erwünscht

In Deutschland werden jedes Jahr Millionen männlicher Ferkel wenige Tage nach der Geburt ohne Betäubung kastriert. Diese Methode soll vermeiden, dass Fleisch von Ebern einen strengen Geruch und Beigeschmack bekommt.

Union sieht noch keine Alternativen

Unionsfraktionsvize Gitta Connemann erklärte am 03.11.2018, es gebe derzeit keine marktgängige oder praktikable Alternative zur betäubungslosen Ferkelkastration. Erforderliche Tierarzneimittel seien noch nicht zugelassen, alternative Verfahren würden bislang von Handel und Verbrauchern nicht akzeptiert. "Ohne ein Handeln des Gesetzgebers würden gerade die kleinen Höfe ab 2018 vor einem unlösbaren Problem stehen", argumentierte sie. Die Industrie werde dann ins Ausland abwandern.

Grüne kritisieren Verweis auf fehlende Alternativen

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wies diese Argumentation entschieden zurück. "Natürlich gibt es Alternativen, die längst von Wissenschaftlern, Tier- und Verbraucherschützern anerkannt sind – zum Beispiel die Kastration unter Narkose. Die Fleischindustrie stemmt sich gegen die tierschutzgerechten Lösungen, in erster Linie um Kosten zu sparen", sagte Hofreiter der Deutschen Presse-Agentur. Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast kritisierte auf Twitter, die Koalition weiche das Tierschutzgesetz auf. Die GroKo sei der "Alptraum" der Tiere.

Bauernverband setzt sich vorerst durch

Der Bauernverband hatte auch angesichts der generell schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Schweinehalter für eine Verschiebung geworben und argumentiert, dass es keine praktikablen Alternativverfahren gebe. Das Verbot ab 2019 war bereits mit der Reform des Tierschutzgesetzes 2013 beschlossen worden.

Grünen-Chef Habeck: Tierschutz für GroKo nicht wichtig

Grünen-Chef Robert Habeck warf Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und der großen Koalition vor, seit Jahren gültige Gesetze auszusetzen. Es habe fünf Jahre Vorbereitungszeit für Alternativen zur Kastration ohne Betäubung gegeben. "Jetzt müsste die Koalition zu dem stehen, was längst beschlossen ist und sich um die Umsetzung kümmern", sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. "Offenkundig hat Tierschutz keinen Stellenwert in dieser Koalition."

SPD macht Union verantwortlich

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, schob den Schwarzen Peter der Union zu. "Wir haben aus der fatalen Situation, in die das Bundeslandwirtschaftsministerium und Funktionäre des Bauernverbandes viele Landwirte gebracht haben, das Möglichste gemacht: Durch die Fristverlängerung vermeiden wir massive Verwerfungen und schaffen gleichzeitig die Voraussetzungen, dass die Neuland-Methode Standard wird", teilte Miersch mit.

Gütesiegel Neuland steht für artgerechte Tierhaltung

Neuland ist ein Gütesiegel, das für artgerechte Tierhaltung steht. Ferkel für die Marke dürfen nach Angaben des Neuland-Vereins seit über zehn Jahren nur noch unter Betäubung und Schmerzausschaltung kastriert werden. Da eine Betäubung mit dem Inhalationsgas Isofluran in Deutschland nur von einem Tierarzt vorgenommen werden darf, fahren Veterinäre von Hof zu Hof und kastrieren die Schweine.

Inhalationsnarkose wäre durch Landwirte selbst durchführbar

Die Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung verwies darauf, dass es Landwirten in der Schweiz erlaubt sei, nach einer entsprechenden Schulung die Inhalationsnarkose mittels Isofluran bei der Kastration anzuwenden. Dass dies in Deutschland noch anders sei, bezeichnete der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Eckard Wendt, als "völlig unverständlich". "Deutsche Schweinehalter sind bestimmt nicht dümmer oder unfähiger als ihre Kollegen in der Schweiz", kritisierte er.

Auch Foodwatch kritisiert Aufschub

Auch die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte den Aufschub. "Das ist einer modernen, aufgeklärten Demokratie unwürdig", sagte Kampagnendirektor Matthias Wolfschmidt der dpa. "Die blutige und schmerzliche Tortur könnte Millionen von männlichen Ferkeln sofort durch die Immunokastration erspart werden – ohne Risiken und Nebenwirkungen für aufgeklärte Verbraucherinnen und Verbraucher." Bei der Immunokastration wird mit einer Art Impfstoff die Bildung der Geschlechtshormone von vornherein verhindert; die Wirkung kommt einer Kastration gleich.

Redaktion beck-aktuell, 5. November 2018 (dpa).

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