Kindergeld für behindertes Kind trotz privater Rentenversicherung

Eltern, die für ihr 1961 geborenes Kind wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen Behinderung Kindergeld beziehen, verlieren ihren Anspruch hierauf nicht, wenn das Kind mit einer einmaligen Geldzuwendung der Mutter in Form einer Erbschaft eine private Lebensversicherung abschließt. Das hat das Finanzgericht Baden-Württemberg entschieden. Bei der Ermittlung der dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel sei nur der steuerpflichtige Ertragsanteil einer privaten Rente zu berücksichtigen.

Kindsvater klagt gegen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung

Die beklagte Familienkasse hatte für den Streitzeitraum Dezember 2019 bis Juli 2021 Kindergeld festgesetzt. Diese Festsetzung hob sie mit Bescheiden vom März 2021 auf. Der Kindsvater machte geltend, es gebe keine Änderungsnorm, welche die Aufhebung rechtfertigen würde. Die Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Außerdem habe die Familienkasse die Einkünfte und Bezüge des Kinds fehlerhaft berechnet. So sei dessen Erbschaft von der Mutter zweckgebunden gewesen und zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung verwendet worden. Das Gericht gab der Klage statt.

FG: Aufhebungsbescheid rechtswidrig, Kläger kindergeldberechtigt

Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Familienkasse bereits bei der Kindergeldfestsetzung Kenntnis von der privaten Rente des Kindes gehabt habe. Der (rückwirkende) Aufhebungsbescheid sei daher rechtswidrig. Des weiteren sei der Kläger auch kindergeldberechtigt. Sein Kind sei nicht imstande, sich selbst zu unterhalten. Bei der Ermittlung der dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel sei nur der steuerpflichtige Ertragsanteil der privaten Rente zu berücksichtigen. Es komme auf die Einkünfte und Bezüge im Sinne des Einkommensteuergesetzes an. Laufende oder einmalige Geldzuwendungen von Eltern seien unschädliches Kindesvermögen. Insofern dürfe es auch keinen Unterschied machen, wie das Kind das ererbte Vermögen verwende, ob es die geerbten Mittel abhebe oder mit diesen eine private Lebensversicherung abschließe und die Rente zum Lebensunterhalt einsetze. 

Unbeachtliche Vermögensumschichtung

Nichts Anderes gelte, wenn das Kind den geerbten Geldbetrag vor Abschluss der privaten Rentenversicherung um (im Verhältnis zum geerbten Vermögen geringe) eigene Mittel aufstocke. Die monatlichen Rentenzahlungen stellten, soweit sie deren steuerpflichtigen Ertragsanteil überstiegen, eine unbeachtliche Vermögensumschichtung dar. Die nach dem Einkommensteuergesetz ermittelten zur Verfügung stehenden Mittel des Kinds deckten im Ergebnis dessen existenziellen Lebensbedarf nicht. Die Aufnahme einer Erwerbsfähigkeit scheide aufgrund der Behinderung aus. Werde der Aufhebungsbescheid vom 10.03.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben, lebe die Kindergeldfestsetzung wieder auf.

Streit auch um Einhaltung der Klagefrist

Die Parteien hatten auch darüber gestritten, ob gegen die Einspruchsentscheidung, die laut Kläger am 03.08.2021 zugestellt wurde, fristgerecht mit Schriftsatz vom 03.09.2021 Klage eingereicht wurde. Das Gericht gab dem Kindsvater Recht und entschied, die Klage sei innerhalb der Monatsfrist erhoben worden. Ein Absendevermerk der Poststelle der Beklagten fehle. Die Schilderungen der organisatorischen Abwicklung der Beklagten lasse zwar auf eine Postaufgabe am 29.07.2021 schließen. Die Zugangsfiktion am dritten Tag sei jedoch erschüttert. Der Verfahrensablauf des Postdienstleisters sei nicht bekannt, ein tatsächlicher Zugang am 03.08.2021 möglich und die Klage mithin zulässig, so das Gericht. Die Revision zum Bundesfinanzhof in München wurde zugelassen.

FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.04.2022 - 1 K 2137/21

Gitta Kharraz, 8. Juni 2022.