Kind bei Hausgeburt gestorben: Eröffnungswehen markieren die Grenze zum Totschlag
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Eine Hebamme, die eine werdende Mutter auch mehrere Tage nach den Eröffnungswehen nicht ins Krankenhaus verlegen ließ, hatte womöglich keinen Tötungsvorsatz. Der BGH stellt aber klar, dass es nach dem Beginn der Eröffnungswehen nicht mehr um einen Schwangerschaftsabbruch geht. 

Eine 39-jährige Frau wollte zuhause gebären. Sechs Tage nach dem errechneten Termin ging es los: Ihre Fruchtblase platzte und die Eröffnungswehen setzten ein. Aber dann ging es nicht weiter, die Geburt zog sich über Tage hin. Ihre Hebamme, die Klinikgeburten rigoros ablehnte, versicherte ihr, dass sie sofort eine Verlegung ins Krankenhaus veranlassen würde, wenn die Geburt nicht voranschreite. Das geschah aber nicht. Zwei Tage nach Beginn der Eröffnungswehen stellte die Hebamme fest, dass es Tage zuvor einen Blasensprung gegeben hatte, vier Tage danach verspürte die Mutter einen stechenden Schmerz im Bauch, danach bewegte das Kind sich nicht mehr.

Erst Stunden später holte die Hebamme den Rettungswagen, auf dem einstündigen Transport ins Krankenhaus verstarb der Fötus. Das LG Verden verurteilte die Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe, weil sie entgegen den Leitlinien der Geburtshilfepraxis keinen Arzt herbeigerufen hatte, als nach dem Blasensprung absehbar war, dass der Fötus Schaden nehmen würde. Ihre Revision war erfolgreich.

Abgrenzung korrekt gezogen

Der BGH (Beschluss vom 02.11.2023 – 6 StR 128/23) bestätigte zwar das Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale des Totschlags – und nicht des Schwangerschaftsabbruchs –, weil der Beginn der Geburt die Schwangerschaft auflöst. Auch nach dem Wegfall des § 217 StGB in der Fassung vor 1998 (Neugeborenentötung) halten die Richterinnen und Richter des 6. Strafsenats in Leipzig daran fest, dass die Geburt den Übergang zur Strafbarkeit nach den §§ 211 ff. StGB begründe.

Zum einen habe der Gesetzgeber im Einklang mit Art. 2 Abs. 2 GG einen durchgängigen Schutz ohne Lücke für das menschliche Leben gewollt, sodass der Schutz durch § 218 StGB unmittelbar in den der §§ 211 ff. StGB münde. Aus medizinischer Sicht beende die Geburt die Schwangerschaft mit den Eröffnungswehen. Außerdem bedürfe das Kind schon in diesem Stadium des besonderen Schutzes des Strafrechts, weil bei Vorliegen von Geburtshindernissen gegebenenfalls medikamentöse oder operative Geburtshilfen notwendig seien. 

Der BGH hob das Urteil dennoch auf, weil er den Vorsatz bezweifelte: Nach den Feststellungen des LG habe noch am frühen Morgen des Todestages eine gewisse Rettungswahrscheinlichkeit bestanden. Zu diesem Zeitpunkt könne der Hebamme deshalb kein Tötungsvorsatz vorgeworfen werden, weil ihr Unterlassen erst dann für den Tod ursächlich wäre, wenn dessen Eintritt bei Vornahme der gebotenen Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre. Das LG muss deshalb erneut entscheiden. 

BGH, Beschluss vom 02.11.2023 - 6 StR 128/23

Redaktion beck-aktuell, rw, 20. Dezember 2023.