Wie verändert KI die Abrechnungspraxis? Welche Rolle spielt das Berufsrecht? Welche neuen Geschäftsfelder erschließen sich? Und was bedeutet das für die Ausbildung der nächsten Generation? All diese Fragen stellen sich Anwältinnen und Anwälte gerade vermehrt. Seda Dinc fragte kürzlich im Anwaltsblatt: Was passiert, wenn die KI schneller liest als der Anwalt? Darf man dann überhaupt noch den ursprünglichen Zeitaufwand abrechnen?
Zumindest diese Antwort erscheint zunächst eindeutig: Abgerechnet werden kann nur der tatsächlich angefallene Aufwand, vor allem, wenn die Vereinbarung mit dem Mandanten auf stundenbasierter Abrechnung beruht. Gleichwohl verändert KI die Strukturen anwaltlicher Vergütung. Prüf- und Freigabeprozesse sind komplex, zeitintensiv und damit selbstverständlich abrechenbar. Schließlich bleibt es nicht beim „Knopfdruck-Ergebnis“. Jede mit KI generierte Analyse muss durch erfahrene Juristinnen und Juristen überprüft, ergänzt und in den rechtlichen Kontext eingeordnet werden.
Zumindest pro Stunde wird die Arbeit mit KI häufig nicht günstiger, sondern sogar teurer. Das "Prompting", also das gezielte Füttern der Systeme mit Fragestellungen und die Prüfung der Ergebnisse, erfordert in der Regel erfahrene Anwältinnen und Anwälte, die die Materie durchdringen und die richtigen Fragen stellen können. So entstehen zwar weniger Stunden, diese aber auf höherem Erfahrungs- und Kostenniveau. Auch das Herausfiltern von KI-Halluzinationen ist ein Prüfungsaufwand, der zeitlich nicht unterschätzt werden darf und der ebenfalls abrechenbar ist.
Vom Stundenhonorar zum Festpreis?
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bringt weitere Kostenblöcke mit sich, die in der Vergütungsdiskussion nicht ausgeblendet werden dürfen: Lizenz- und Systemkosten, Implementierung, Trainingsaufwände und kontinuierliche Updates. Hinzu kommt, dass Kanzleien, die Produkte wie Harvey, Co-Pilot oder ähnliche Systeme einsetzen, häufig zusätzlich maßgeschneiderte Anwendungen für ihre spezifischen Bedürfnisse entwickeln. Diese Individualisierungen erhöhen die indirekten Kosten erheblich und schlagen sich langfristig in angehobenen Stundensätzen nieder.
Ein weiterer wesentlicher Faktor sind die Ausbildungskosten: Anwältinnen und Anwälte müssen darin geschult werden, wie juristisches Wissen in präzise Prompts und Fragen übersetzt wird, um qualitativ hochwertige Ergebnisse mit KI zu erzielen. Dieses "Prompt-Training" ist nicht nur zeit- und ressourcenintensiv, sondern eröffnet zugleich ein neues Beratungsfeld, in dem Juristinnen und Juristen künftig selbst als Expertinnen und Experten für Prompting auftreten können.
So werden Verhandlungen mit der Mandantschaft in Zukunft anders geführt werden müssen. Die Zeit als dominierender Faktor tritt zurück, während Elemente wie die Qualität und der Wert einer Leistung in den Vordergrund rücken. Während die "Wert-Diskussion" in der Vergangenheit häufig nicht geführt wurde, wird KI dies nun zunehmend erforderlich machen. Mit dem Argument der "Produktionskosten" können Anwältinnen und Anwälte ihre Mandantschaft nicht mehr überzeugen. In Honorarverhandlungen könnte für Anwältinnen und Anwälte die zentrale Frage in Zukunft etwa lauten: "Was ist es dem Mandanten wert, wenn der Deal zwei Wochen früher abgeschlossen wird?"
Entsprechend werden alternative Honorarstrukturen wie zum Beispiel Fest- und Produktpreise an Bedeutung gewinnen.
Auch langfristige Vergütungsmodelle, die Investitionen in KI ermöglichen und den Mandantinnen und Mandanten gleichzeitig nachhaltige Kostenvorteile bieten, sind vorstellbar. Dazu zählen etwa abonnement- oder volumenbasierte Honorarstrukturen, die eine kontinuierliche Nutzung von KI-Dienstleistungen abbilden. Möglich sind zudem Modelle, bei denen bestimmte Leistungen teilweise nach Datenvolumen oder nach dem Umfang der analysierten Dokumente abgerechnet werden. Solche Ansätze würden nicht nur Transparenz schaffen, sondern auch die tatsächliche Wertschöpfung durch den Einsatz von KI besser widerspiegeln.
Die Differenzierung zwischen Kanzleien wird in der Zukunft weniger über den Zeitaufwand und stärker über die Qualität des Outputs erfolgen. Entscheidend wird, wer die besten Vertragsvorlagen besitzt, wer KI am effektivsten einzusetzen versteht und wer kreative, schnelle sowie pragmatische Lösungen entwickelt. KI kann viel, aber Empathie, Kontextverständnis und vertrauensvolle Kommunikation bleiben Kernaufgaben der Anwältinnen und Anwälte. Kanzleien, die es schaffen, technologische Effizienz mit persönlicher Beratung zu kombinieren, werden sich im Wettbewerb nachhaltig unterscheiden können.
Verschwiegenheit: Was für Anwälte tabu ist
Neben ökonomischen Fragen rückt mit der KI auch das Berufsrecht ins Zentrum. Besonders die Verschwiegenheitspflicht verlangt nach größerer Sorgfalt und Aufwand. Die Datenweitergabe an KI-Systeme darf keinesfalls dazu führen, dass Mandanteninformationen ungeschützt in externen Systemen verarbeitet werden. Alles, was Rückschlüsse auf den konkreten Mandanten zulässt, ist ein Verstoß gegen das Berufsrecht.
Offene, eher günstigere KI-Systeme sind daher für Anwältinnen und Anwälte tabu. Kanzleien müssen sichere, datenschutzkonforme Lösungen nutzen und klare interne Leitlinien entwickeln. Die Verantwortung dafür liegt bei ihnen, denn auch wenn KI-Tools eine Voranalyse erstellen, darf die rechtliche Bewertung keinesfalls delegiert werden. Das Berufsrecht ist nicht Bremse, sondern Rahmen für die verantwortungsvolle Nutzung der KI-Tools.
Ein weiterer Aspekt, der immer weiter in den Vordergrund rückt, ist die Frage der Ausbildung. "Learning on the Job", wie etwa das Durcharbeiten von Standarddokumenten, wird künftig in großen Teilen von KI übernommen. Damit stellt sich die Frage: Wie entwickeln sich junge Juristinnen und Juristen, wenn bestimmte Lernschritte wegfallen?
Gut möglich ist, dass Senior-Associates eine größere Rolle spielen werden, weil ihre Erfahrung im Umgang mit KI besonders wertvoll ist. Das kann einen Wettbewerb um Talente und steigende Gehälter zur Folge haben. Gleichzeitig müssen Kanzleien neue Ausbildungsmodelle entwickeln, die stärker auf strategisches Denken, Mandantenkommunikation und kreative Rechtsanwendung setzen. Auch die Frage der Finanzierung rückt in den Vordergrund, da die Ausbildung nicht mehr automatisch durch klassische Mandatsarbeit mitgetragen wird. Letztendlich müssen diese Kosten (direkt oder indirekt) auch auf die Mandantinnen und Mandanten umgelegt werden.
Neue Chancen auf nachhaltige Veränderung
Doch KI eröffnet auch die Möglichkeit völlig neuer Geschäftsfelder, die bisher wirtschaftlich nicht tragfähig waren. Wenn Software Analyse- und Prüfprozesse deutlich schneller und günstiger durchführen kann, entstehen nicht nur neue Angebote wie Massenklagen, groß angelegte Due-Diligence-Prüfungen oder umfassendere Recherchen zum IP-Schutz.
Sinkende Kosten könnten auch dazu führen, dass mehr Menschen Zugang zu rechtlicher Unterstützung erhalten, die bislang aufgrund hoher Gebühren ausgeschlossen waren. Bisher waren es vor allem kleinere, spezialisierte Einheiten, die sich auf solche Tätigkeiten konzentriert haben, weil große Kanzleien die niedrigen Margen angesichts ihrer Kostenstrukturen scheuten. Mit dem Einsatz von KI verändert sich jedoch das Kalkül: Plötzlich könnten auch internationale Großkanzleien, etwa aus dem Magic Circle, solche Mandate wirtschaftlich interessant finden.
Für Mandantinnen und Mandanten kann dies den Zugang zur Rechtsdurchsetzung erleichtern, der bislang aufgrund geringer Margen für Kanzleien nicht lohnend war. Für Kanzleien wiederum entstehen Chancen, ihr Leistungsportfolio strategisch zu erweitern und Mandantinnen und Mandanten neue, skalierbare Produkte anzubieten. Damit wird KI nicht nur zum Werkzeug für Effizienzsteigerung, sondern auch zum Motor für Innovation im Rechtsmarkt.
Der Einsatz von KI in Kanzleien ist bereits gelebte Realität. Er verändert nicht nur die Art, wie gearbeitet, verhandelt, abgerechnet, ausgebildet und differenziert wird. Es entstehen auch neue Geschäftsfelder, die das Potenzial haben, die geschäftliche Ausrichtung der Kanzleien langfristig zu prägen.
Für Kanzleien gilt es nun, diese Entwicklungen aktiv zu gestalten: mit klaren Preisstrategien, sicheren Systemen, neuen Ausbildungswegen und einem starken Fokus auf transparente Kosten sowie eine noch höhere Qualität der Mandantenbeziehungen. Die Frage ist also längst nicht mehr, ob KI eingesetzt wird. Anwältinnen und Anwälte müssen sich fragen, wie sie daraus ein Modell entwickeln, das sowohl datenschutzkonform und berufsrechtlich einwandfrei als auch ökonomisch tragfähig ist.
Dirk Eilers, Pia Kleiber und Ori Wiener sind Berater bei PSFI, einer auf Professional Services Firms spezialisierten Beratung. Sie begleitet seit vielen Jahren Kanzleien in Fragen der Strategie, Preisgestaltung und Mandantenbeziehungen.