Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München
Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 20/2019 vom 10.10.2019
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Sachverhalt
Es streiten nach einem innerörtlichen Verkehrsunfall Geradeausfahrer und entgegenkommender Linksabbieger. Der geradeausfahrende Kläger begehrt 100%. Der Linksabbieger beruft sich darauf, dass der entgegenkommende Kläger «viel zu schnell» gefahren sei.
Das Landgericht vernahm Zeugen und erholte ein verkehrsanalytisches Sachverständigengutachten. Der Sachverständige stellte fest, dass der Kläger zum Kollisionszeitpunkt mindestens 85-105 km/h gefahren sein muss, während der linksabbiegende Beklagte zu diesem Zeitpunkt mit etwa 5-10 km/h unterwegs war. Der Unfallstelle habe der Kläger sich zuvor mit mindestens 103 km/h genähert, bevor er 44 Meter vor der Kollision das Beklagtenfahrzeug als gefahrdrohend erkannt und mit der Bremsung begonnen habe.
Rechtliche Wertung
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der gegen einen Linksabbieger sprechende Anscheinsbeweis sei hier widerlegt. Dieser Begründung folgte das Kammergericht nicht. Es bleibe durchaus bei der Annahme, dass der Linksabbieger immer Verursachung und Verschulden zu tragen habe.
Es müsse dann aber im Rahmen von § 17 Abs. 3 StVG abgewogen werden, wer die überwiegenden Verursachensteile zu tragen habe. Dieser Vergleich gehe hier eindeutig zu Lasten des Klägers aus. Werde die höchstzulässige Geschwindigkeit von hier 50 km/h um mehr als das Doppelte überschritten und liege die Geschwindigkeit innerorts absolut über 100 km/h, sei ein besonders schwerer Verkehrsverstoß gegeben. Dieser führe in der Regel zu einer Alleinhaftung, auch wenn der Handelnde an sich die Vorfahrt habe.
Praxishinweis
Die Entscheidung des Kammergerichts wird hier vorgestellt, weil über Geschwindigkeitsüberschreitungen bewusst oder unbewusst durchaus «Quoten» gehandelt werden. Das Doppelte der erlaubten Geschwindigkeit führt in aller Regel schon zum Verlust von Ansprüchen. Wird, wie hier, diese Grenze auch noch überschritten und sei es auch wirklich nur ganz geringfügig, dann jedenfalls ist der Weg für irgendwelche Schadenersatzleistungen verbaut.