BVerfG verweist Klagen gegen außer Kraft getretene Corona-Verbote an Verwaltungsgerichte
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Auch zur nachträglichen Klärung der Verfassungsmäßigkeit außer Kraft getretener Verbote in den Corona-Verordnungen der Länder darf nicht sogleich Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Vielmehr muss zunächst der Rechtsweg der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle erschöpft werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 03.06.2020 klargestellt. Das gelte auch dann, wenn vorher ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO abgelehnt worden war.

Bußgeldbewehrtes Ausgangsverbot in alter Corona-Verordnung gerügt

Die Beschwerdeführer wandten sich gegen das Ausgangsverbot nach der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.04.2020. Sie monierten, dass Verstöße hiergegen als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert werden könnten, obwohl das verbotene Verhalten nicht hinreichend bestimmt sei. Dadurch seien sie bei jedem Verlassen der Wohnung einem unkalkulierbaren Sanktionsrisiko ausgesetzt. Dies verletze sie in ihren Grundrechten auf Handlungs- und Bewegungsfreiheit. Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist das Ausgangsverbot entfallen. Seither gelten Kontaktbeschränkungen.

BVerfG: Verstoß gegen Subsidiaritätsgrundsatz

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde verstoße gegen den Subsidiaritätsgrundsatz und sei daher unzulässig. Die Beschwerdeführer wendeten sich unmittelbar gegen Normen einer bayerischen Rechtsverordnung. Insoweit könne Rechtsschutz im Wege der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO gesucht werden. Diesen Rechtsweg hätten die Beschwerdeführer nicht erschöpft.

Außerkrafttreten des Verbots hindert verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nicht

Der Verweisung auf die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle stehe nicht entgegen, dass das Ausgangsverbot mittlerweile außer Kraft getreten ist. Das Außerkrafttreten ließe die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nur dann entfallen, wenn in diesem Verfahren grundsätzlich nur sich noch in Geltung befindliche Normen auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüft werden. Davon könne jedenfalls hinsichtlich der in den Corona-Verordnungen der Länder enthaltenen Verbote und Beschränkungen nicht ausgegangen werden. Das Bundesverwaltungsgericht (BeckRS 9998, 31460) habe bereits entschieden, dass ein Normenkontrollantrag auch gegen eine bereits aufgehobene Rechtsnorm zulässig sein kann, wenn während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm etwa wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten sei.

Corona-Verbote greifen unmittelbar schwerwiegend in Grundrechte ein

Die in den Corona-Verordnungen enthaltenen Verbote zeichneten sich aber gerade dadurch aus, dass sie typischerweise auf kurze Geltung angelegt seien mit der Folge, dass sie regelmäßig außer Kraft träten, bevor ihre Rechtmäßigkeit abschließend gerichtlich geklärt werden könne. Zudem liege eine nachträgliche Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit außer Kraft getretener Corona-Verbote im Verfahren der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle auch deshalb nahe, weil sie die grundrechtliche Freiheit nicht selten schwerwiegend beeinträchtigen und - wie hier das als Ordnungswidrigkeit bewehrte Ausgangsverbot - in der Regel keines Verwaltungsvollzugs bedürften. 

Subsidiarität auch bei vorheriger Ablehnung einstweiliger Außervollzugsetzung

Die Verweisung auf eine abschließende Klärung im Verfahren der Normenkontrolle ist laut BVerfG auch dann zumutbar, wenn gegen das angegriffene Verbot kein einstweiliger Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO gewährt worden ist. Hieraus könne mangels gefestigter obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit der Corona-Verbote nicht auf ein Unterliegen im Verfahren der Hauptsache geschlossen werden, zumal nicht ausgeschlossen sei, dass die Vereinbarkeit der Verbote mit den - bundesrechtlichen - Grundrechten des Grundgesetzes noch in einem Revisionsverfahren überprüft wird. Im Übrigen habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hier die Vereinbarkeit des als Ordnungswidrigkeit bewehrten Ausgangsverbots auch nicht abschließend bejaht.

BVerfG, Beschluss vom 03.06.2020 - 1 BvR 990/20

Redaktion beck-aktuell, 10. Juni 2020.