Keine PTBS nach Afghanistan-Einsatz bei nicht selbst erlebten traumatischen Ereignissen

Wird Bundeswehrsoldaten in Afghanistan von Selbstmordattentaten/Landminen mit Toten auf Einsatzfahrzeugen nur berichtet, reicht dies zur Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht aus. Dies hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden. Aus einer zu Unrecht anerkannten PTBS als Schädigungsfolge könnten keine weitergehenden Ansprüche und Schädigungsfolgen (hier: Alkoholerkrankung) hergeleitet werden.

Alkoholvorbelasteter Berufssoldat im Afghanistaneinsatz

Die Eltern des heute 51jährigen Klägers waren Alkoholiker. Seinen ersten Vollrausch hatte er mit 16. Auch danach konsumierte er regelmäßig Alkohol. Seit 1993 war er Berufssoldat der Bundeswehr und von Januar bis Juli 2003 und dann wieder von März bis Juli 2004 im Auslandseinsatz in Afghanistan. In dieser Zeit wurden drei Kameraden im Einsatz getötet und es gab mehrere Raketenangriffe auf das Einsatzcamp. Diese Vorfälle hat der Kläger aber nicht unmittelbar selbst erlebt. Bis Ende 2005 wurde er für den Einsatz in der Nato-Eingreiftruppe ausgebildet. Seit 2006 kam es wegen einer Nierenkrebsbehandlung und mehreren stationären Aufenthalten wegen einer Alkoholabhängigkeit zu Arbeitsunfähigkeitszeiten. Seit 2018 ist für ihn eine Betreuerin bestellt, zeitgleich wurde er aus der Bundeswehr entlassen.

SG erkannte Alkoholabhängigkeit als weitere Schädigungsfolge neben PTBS an

Im August 2017 erkannte die beklagte Bundesrepublik Deutschland eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Folge einer Wehrdienstbeschädigung an und gewährte Ausgleich bis längstens zum Dienstzeitende nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30, lehnte es aber ab, die Alkoholerkrankung als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen, da das Alkoholproblem des Klägers bereits im Vorfeld der Afghanistaneinsätze bestanden habe. Auf die Klage des Betroffenen stellte das Sozialgericht eine schwere Alkoholabhängigkeit als weitere Folge der Wehrdienstbeschädigung fest und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Ausgleich nach einem GdS von 50 ab Januar 2010 und nach einem GdS von 80 ab Januar 2018 zu gewähren. Die Beklagte legte Berufung ein.

LSG gibt Berufung statt – Vorliegend keine PTBS feststellbar

Die Berufung hatte Erfolg. Das Landessozialgericht hat das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger könne weder die Feststellung einer Alkoholabhängigkeit als Folge einer Wehrdienstbeschädigung beanspruchen noch sei der gewährte Ausgleich nach einem höheren GdS als 30 zu gewähren. Die Alkoholabhängigkeit sei schon deshalb nicht als weitere Schädigungsfolge zu berücksichtigen, weil entgegen den Feststellungen der Beklagten keine PTBS als Schädigungsfolge vorliege. So seien die maßgeblichen Kriterien für das Vorliegen einer PTBS nicht erfüllt. Insbesondere habe der Kläger kein lebensbedrohliches, traumatisches Ereignis in Afghanistan selbst erlebt.

Alkoholabhängigkeit auf private Vorgeschichte zurückzuführen

Die Alkoholabhängigkeit des Klägers sei im Übrigen auch nicht auf dessen Erlebnisse während seines Einsatzes in Afghanistan zurückzuführen, sondern auf seine familiäre Vorgeschichte und Partnerschaftsprobleme. Es stehe fest, dass der Kläger während des Aufenthalts in Afghanistan nur Situationen erlebt habe, die alle anderen Soldaten gleichermaßen betroffen hätten. Hinzu komme, dass er gleich nach seinem Afghanistaneinsatz eine Qualifizierungsmaßnahme in der Nato-Eingreiftruppe mit Übungen in verschiedenen Ländern absolviert habe und hierfür gesundheitlich als geeignet befundet worden sei. Dies sei im Falle einer vorangegangenen schweren Traumatisierung kaum vorstellbar. Dazu passend habe er während seiner gutachterlichen Untersuchung bei der Schilderung der Auslandseinsätze weder Begleiterscheinungen noch Vermeidungsverhalten gezeigt.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.04.2022 - .04.2022 L 6

Redaktion beck-aktuell, 19. Mai 2022.