Kein allgemeines Fragerecht nach Vorstrafen und Ermittlungsverfahren

Im Rahmen eines Einstellungsverfahrens besteht kein allgemeines Fragerecht des Arbeitgebers nach Vorstrafen und Ermittlungsverfahren jedweder Art. Der Arbeitgeber dürfe bei einem Arbeitnehmer vielmehr nur Informationen zu solchen Vorstrafen und Ermittlungsverfahren einholen, die für den zu besetzenden Arbeitsplatz relevant sein könnten, betont das Arbeitsgericht Bonn mit Urteil vom 20.05.2020. Dies gelte auch in einem Bewerbungsverfahren für den öffentlichen Dienst.

Falschangabe zu schwebenden Verfahren

Der Kläger steht bei der Beklagten seit dem 01.08.2018 in einem Ausbildungsverhältnis zur Fachkraft für Lagerlogistik. Im Rahmen seiner Tätigkeit hat er Zugriff auf verschiedene hochwertige Vermögensgüter der Beklagten. Während des Einstellungsverfahrens bei der Beklagten füllte der Kläger ein "Personalblatt" aus, in welchem er bei den Angaben zu "Gerichtlichen Verurteilungen/schwebende Verfahren" die Antwortmöglichkeit "Nein" ausgewählt hatte. Tatsächlich war dem Kläger zu diesem Zeitpunkt jedoch bekannt, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Raubes anhängig war und die Hauptverhandlung eröffnet werden sollte.

Arbeitgeberin erklärt Anfechtung des Ausbildungsvertrages

Im Juli 2019 wandte sich der Kläger sodann an seinen Vorgesetzten und teilte ihm mit, dass er eine Haftstrafe antreten müsse und er eine Erklärung der Beklagten benötige, dass er seine Ausbildung während seines Freigangs fortführen könne. Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 20.11.2019 die Anfechtung des Ausbildungsvertrages des Klägers wegen arglistiger Täuschung.

Frage nur bei Relevanz für zu besetzenden Arbeitsplatz zulässig

Das ArbG Bonn gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Beklagte könne den Ausbildungsvertrag des Klägers nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten. Grundsätzlich sei der Arbeitgeber im Einstellungsverfahren berechtigt, beim Bewerber Informationen zu Vorstrafen einzuholen, wenn und soweit diese für die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes relevant seien könnten. Bei einer Bewerbung um ein öffentliches Amt dürfe sich der Arbeitgeber nach anhängigen Straf- und Ermittlungsverfahren erkundigen, wenn ein solches Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit begründen könne.

Frage hier zu weitgehend und damit unzulässig

Sei hingegen die Frage nach gerichtlichen Verurteilungen und schwebenden Verfahren bei einer Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerbers zu weitgehend, sei diese Frage unzulässig und enthebe den Bewerber von der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Beantwortung. Die von der Beklagten im Rahmen des Personalblattes gestellte unspezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren jedweder Art ist nach Ansicht des Gerichts bei einer Bewerbung um eine Ausbildungsstelle als Fachkraft für Lagerlogistik zu weitgehend und damit unzulässig.

Ausbildungsvertrag nicht wegen arglistiger Täuschung anfechtbar

Es vermöge nicht jede denkbare Straftat Zweifel an der Eignung des Klägers für die Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik zu begründen. Dies gelte auch dann, wenn die Ausbildung durch einen öffentlichen Arbeitgeber erfolgen solle. Daher sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen, den Ausbildungsvertrag des Klägers wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

ArbG Bonn, Urteil vom 20.05.2020 - 5 Ca 83/20

Redaktion beck-aktuell, 27. Mai 2020.

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