Kabinett beschließt Stärkung von Videoverhandlungen an Zivilgerichten

Das Bundeskabinett will die Digitalisierung der Justiz weiter vorantreiben. Dafür hat es am Mittwoch den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten beschlossen. Den Gerichten soll danach künftig ein möglichst großer Gestaltungsspielraum bei der Planung, Anordnung und Durchführung von Terminen per Bild- und Tonübertragung eingeräumt werden.

Einsatz von Videokonferenztechnik wird praxistauglicher

Wie das Bundesjustizministerium mitteilte, wird dadurch der Einsatz von Videokonferenztechnik praxistauglicher und im gerichtlichen Alltag weiter etabliert. Gleichzeitig werde das Antragsrecht der Parteien und Prozessvertreter auf Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung durch Einführung eines Begründungserfordernisses für die Ablehnung von entsprechenden Anträgen gestärkt.

Neufassung der zentralen Norm für Videoverhandlungen

Die zentrale Norm für Videoverhandlungen, § 128a ZPO, wird nach der geplanten Neuregelung insgesamt neu gefasst: Das Gericht soll eine Videoverhandlung nicht mehr nur gestatten, sondern gegenüber den Verfahrensbeteiligten auch anordnen können. Die Anordnung soll durch die oder den Vorsitzenden erfolgen. Der Adressat einer Anordnung soll innerhalb von zwei Wochen Einspruch gegen die Anordnung einlegen können. Dieser Einspruch muss nicht näher begründet werden. Damit werde sichergestellt, dass niemand gegen seinen Willen in eine Videoverhandlung gezwungen wird, betonte das Bundesjustizministerium. Stellen alle an einem Verfahren beteiligten Rechtsanwälte einen Antrag auf Durchführung einer Videoverhandlung, soll diese in der Regel angeordnet werden. Lehnt das Gericht einen Antrag auf Videoverhandlung ab, ist diese Entscheidung nach dem Gesetzentwurf zu begründen.

Videobeweisaufnahme soll erweitert werden

Die Regelungen zur Videobeweisaufnahme (§ 284 ZPO-E) sollen erweitert werden. Künftig soll auch eine Inaugenscheinnahme per Video möglich sein. Zudem soll auch die Videobeweisaufnahme durch das Gericht angeordnet werden können. Die bisher für die Nutzung von Videokonferenztechnik nach den Gerichtskostengesetzen zu erhebende Auslagenpauschale soll entfallen. Die Regelungen zur vorläufigen Protokollaufzeichnung (§ 160a ZPO-E) sollen dahingehend erweitert werden, dass neben der bereits zulässigen Tonaufzeichnung eine Bild-Ton-Aufzeichnung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme zulässig ist.

"Virtuelle Rechtsantragsstelle"

Anträge und Erklärungen rechtssuchender Bürgerinnen und Bürger zu Protokoll der Geschäftsstelle sollen zukünftig auch per Video gegenüber der Geschäftsstelle abgegeben werden können (§ 129a ZPO-E). Dies betrifft nach Mitteilung des Ministeriums beispielsweise die Beantragung von Prozesskosten- oder Beratungshilfe sowie die Erhebung einer Klage beim Amtsgericht. Das Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft soll um die Möglichkeit erweitert werden, diese per Video oder an einem anderen geeigneten Ort als in den Geschäftsräumen des Gerichtsvollziehers oder in der Wohnung des Schuldners abzunehmen (§ 802f ZPO-E).

Erprobung vollvirtueller Videoverhandlungen

Die Neuregelungen sollen grundsätzlich auch in den Verwaltungsgerichten und Finanzgerichten zur Anwendung kommen (Anwendung über die allgemeinen Verweisungsnormen in § 173 Satz 1 VwGO und § 155 Satz 1 FGO). Die bisherigen Vorschriften der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit über Videoverhandlungen bleiben dagegen weitgehend unverändert. Den Ländern soll darüberhinausgehend außerdem die Möglichkeit eröffnet werden, die Durchführung sogenannter vollvirtueller Videoverhandlungen in der Zivilgerichtsbarkeit zu erproben, bei denen sich auch das Gericht nicht im Sitzungssaal aufhält.

Redaktion beck-aktuell, 24. Mai 2023.