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Anwälten schwimmen die Fälle weg
Mietpreisbremse, Flug- und Bahngastrechte, Dieselskandal, Strafmandate - all das sind Bereiche, in denen das Bundesjustizministerium Rechtsanwälte zunehmend in die Enge gedrängt sieht. Denn durch standardisierte und häufig sogar automatisierte Verfahren nähmen Legal-Tech-Unternehmen ihnen übers Internet Mandate weg. Die sind nämlich klar im Vorteil: Registriert als Inkasso-Dienstleister, dürfen sie gegen eine Beteiligung am etwaigen Erfolg nicht nur Verbraucher gratis vertreten. Kein Honorar und - je nachdem - nicht einmal Kosten für Gericht, Gutachten oder Gegenanwalt - das lockt. Sie entfernen sich damit ziemlich vom Bild des klassischen Schuldeneintreibers, der vor allem für Unternehmen und gegen Verbraucher antritt.
Gleichklang mit Inkassofirmen
Mit einem Dreierschlag soll nach dem Willen von Ressortchefin Lambrecht nun "Kohärenz" zwischen den beiden Branchen von Rechtsdienstleistern einkehren. Erfolgshonorare für Anwälte werden deutlich erleichtert, und Prozesse dürfen sie auch finanzieren. Zum Ausgleich bekommen die Inkassofirmen zum Schutz der Konsumenten zusätzliche Pflichten aufgebrummt. Vorgesehen sind Änderungen der BRAO, des RVG, des RDG nebst dessen Einführungsgesetz sowie der Rechtsdienstleistungsverordnung – sofern der größere Koalitionspartner mitspielt.
Rückenwind der Justiz
Im Blick hat die Ministerin dabei eine aufsehenerregende Entscheidung, in der der BGH Inkassoanbietern im vergangenen Jahr zu "wenigermiete.de" weitgehende Befugnisse bei der Vertretung von Mietern zugestanden hat. Außerdem eine ältere Entscheidung, in der das BVerfG das komplette Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare ein wenig eingeschränkt hat. Auch bemüht die Begründung des Referentenentwurfs die europäischen Grundfreiheiten, auf deren Grundlage der EuGH etwa kürzlich hiesige Mindestgebühren für Architekten und Ingenieure verboten hat. Offen ist freilich, warum das Ministerium diese Neuerungen nicht gleich mit in seinen Gesetzentwurf für Lockerungen des Berufsrechts insbesondere von freiberuflichen Berufsausübungsgesellschaften hineingepackt hat, den es vor gut einer Woche präsentiert hat – dort hatten Beobachter nämlich genau diese Punkte vermisst. Womöglich, so wird spekuliert, fürchtet man bei der jetzt vorgestellten Novelle größeren Rückenwind.
Änderungen im RVG
Nach einem neuen §
4 RVG sollen Anwälte in Zukunft unter anderem bei Inkassodienstleistungen die gesetzliche Vergütung unterschreiten oder sogar ganz darauf verzichten dürfen. Erfolgshonorare werden nach §
4a RVG n.F. erlaubt, wenn der Gegenstandswert 2.000 Euro nicht überschreitet, eine Inkassodienstleistung erbracht wird oder der Auftraggeber anderenfalls von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. Handelt es sich um keine auch Inkassounternehmen erlaubte Tätigkeit (§
79 Abs.
2 S. 2 Nr. 4 ZPO), muss für den Erfolgsfall ein Zuschlag auf die gesetzlichen Gebühren vereinbart werden.
Weitere Gesetzesreformen
Wenn ein Erfolgshonorar vereinbart wird, dürfen Anwälte Gerichts- und Verwaltungskosten sowie die Kosten anderer Beteiligter übernehmen (§
49 b Abs.
2 S. 2 BRAO n.F.). Inkassounternehmen müssen hingegen, wenn sie ein Erfolgshonorar vereinbaren, ihre Kunden auf andere Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Forderung hinweisen. Ebenso auf Kostenrisiken, wenn sie diese nicht auch noch absichern. Zudem müssen sie erklären, warum der Auftrag für sie lukrativ ist und ob die Berechtigung umfasst sein soll, einen Vergleich zu schließen (§
13f RDG n.F.). Und durch Ergänzungen von Rechtsdienstleistungsverordnung sowie EGRDG werden diese Firmen einer strengeren Aufsicht unterzogen.
"Da geht die Post ab"
Erste Reaktionen klingen wohlwollend. "Im BMJV geht die Post ab", schrieb etwa der Kölner Anwaltsforscher Matthias Kilian im Kurznachrichtendienst Twitter zu dem "Entwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt". Sein Fazit: "Mehr Erfolgshonorare und erstmals (ein bisschen) Prozessfinanzierung für Anwälte möglich, mehr Informationspflichten für ,Inkassodienstleister' (aka Legal Tech Anbieter)." Misslich sei hingegen, dass weiterhin viel um den Begriff der Inkassodienstleistung herum konstruiert werde: Solange nicht klar sei, welche Legal-Tech-Angebote zulässig sind, wüssten auch Anwälte nicht, wo sie Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung vereinbaren dürfen. Kurios nennt Kilian es, dass Erfolgshonorare grundsätzlich bis zu einem Streitwert 2.000 Euro zugelassen werden sollen: "Das wird in der Lebenswirklichkeit zu Merkwürdigkeiten führen, wenn man das einmal von potenziellen Mandaten her denkt."
Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 12. November 2020.
Weiterführende Links
Aus dem Internet
Den Gesetzentwurf finden Sie auf der Webseite des Justizministeriums.
Aus der Datenbank beck-online
Hellwig/Ewer, Keine Angst vor Legal Tech, NJW 2020, 1783.
Römermann, Der schwierige Umgang mit Legal Tech in der gerichtlichen Praxis, NJW 2020, 2678.
Hähnchen/Schrader/Weiler/Wischmeyer, Legal Tech, JuS 2020, 625.
Hartung/Meising, Legal Tech im Familienrecht, NZFam 2019, 982.
Plottek/Quarch, Anwaltschaft und Legal Tech – wächst zusammen, was zusammengehört?, NZV 2020, 401.
Aus dem Nachrichtenarchiv
Umfassende Reform des Anwaltsrechts auf dem Weg, Meldung der Redaktion beck-aktuell vom 04.11.2020, becklink 2017961
Programm "Smart Law" zur Erstellung von Rechtsdokumenten verstößt nicht gegen Rechtsdienstleistungsgesetz, Meldung der beck-aktuell-Redaktion vom 19.06.2020, becklink 2016653.