Ergebnisse der Frühjahrs-Justizministerkonferenz 2021
jumiko_fruehjahr_2021_CR Roland Weihrauch dpa
© Roland Weihrauch / dpa
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Auf der 92. Justizministerkonferenz, die am 16.06.2021 digital in Düsseldorf stattfand, haben die Minister den Bund unter anderem zu einer Fortschreibung und Intensivierung des Paktes für den Rechtsstaat aufgefordert. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie diskutiert wurden zudem die strafrechtlichen Gesichtspunkte der Herstellung und des Gebrauchs gefälschter Gesundheitszeugnisse. Andere Themen waren der Kampf gegen Antisemitismus sowie der Digital Services Act.

Mehr Personal und Digitalisierung der Justiz

Die Justizminister der Länder sehen neben den Ländern auch den Bund in der Verantwortung, den Rechtsstaat und das Vertrauen in diesen weiter und nachhaltiger zu stärken. Der Bund soll daher im Rahmen eines Paktes für den Rechtsstaat 2.0 zeitnah mit den Ländern in Verhandlungen über eine Verlängerung des finanziellen Engagements eintreten. Dies betreffe neben dem Erhalt des bisher erreichten Stellenaufbaus auch Mittel für die Digitalisierung der Justiz, sagte Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann. "Es ist Kernaufgabe der Justiz die Digitalisierung voranzutreiben und damit die Leistungen der Justiz bürgernäher und serviceorientierter auszugestalten"". Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina ergänzt, für einen funktionierenden Rechtsstaat müsse die gute personelle und sachliche Ausstattung der Justiz Priorität haben.

Verschärfungen bei Fälschungen von Gesundheitszeugnissen gefordert

Zum Umgang mit Fälschungen von Gesundheitszeugnissen, der ebenfalls Thema der Jumiko war, kam aus Hamburg die Forderung nach einer sachgerechten Gleichstellung der Fälschung von Gesundheitszeugnissen mit der Urkundenfälschung. Derzeit werde die Fälschung von Gesundheitszeugnissen gegenüber der Fälschung anderer Urkunden durch einen weitaus geringeren Strafrahmen privilegiert. Dies könne nicht angehen. Denn das Vertrauen in Gesundheitszeugnisse, insbesondere in Covid-19-PCR-Tests und Impfbescheinigungen, sei für die Bekämpfung der Corona-Pandemie ungemein wichtig, so Hamburgs Justizsenatorin Gallina. Auch Hessens Justizministerin fordert, "Fälschern von Impfpässen und anderen Gesundheitsattesten mit den Mitteln des Strafrechts die rote Karte zu zeigen". Die Fälschung von Gesundheitszeugnissen stelle gerade zu Zeiten einer Pandemie eine erhebliche Gefahr nicht nur für Leib und Leben der Kontaktpersonen, sondern auch für die Funktionsfähigkeit der medizinischen Notfallversorgung dar, so Kühne-Hörmann.

Dauerhafte Option der virtuellen Hauptversammlung gefordert

Weiter soll die virtuell abgehaltene Hauptversammlung nach Ansicht der Justizminister dauerhaft eine gleichberechtigte Alternative zur Präsenzversammlung werden. "Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass auch Hauptversammlungen virtuell gut abgehalten werden können", sagte der Vorsitzende der Konferenz, NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU), am Donnerstag in Düsseldorf bei der Pressekonferenz der Jumiko. Es sollte Unternehmen selbst überlassen bleiben, ob sie dieses Mittel nutzen wollen oder nicht. Zum Jahresende laufe dazu eine Frist ab. "Durch eine Änderung des Aktiengesetzes sollte Gesellschaften auch in der Zeit nach dem 31.12.2021 die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ermöglicht werden", heißt es in einem entsprechenden Beschluss der Justizministerkonferenz. Das Bundesjustizministerium werde gebeten, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den nötigen dauerhaften gesetzlichen Rahmen für digitale Versammlungen und Beschlussfassungen ab der Hauptversammlungssaison 2022 schafft. Die Rechte von Aktionären in der virtuellen Hauptversammlung sollten dabei - unter Berücksichtigung der Besonderheit elektronischer Kommunikation - mit denen von Aktionären in einer Präsenzveranstaltung gleichwertig sein.

Bislang kaum Handhabe gegen missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen

Die Justizminister der Länder haben sich außerdem mit breiter Mehrheit für eine rasche Reform ausgesprochen, um Scheinvaterschaften einzudämmen. Zwölf Bundesländer votierten dafür, vier enthielten sich, teilte das Justizministerium Nordrhein-Westfalen mit. Die Justizminister forderten die Bundesregierung auf, die entsprechenden Gesetze zeitnah zu ändern. Es geht um Fälle, in denen eine Vaterschaft nur anerkannt wird, um Mutter und Kind ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. Diese missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen sollen mit § 1597a BGB und § 85a Aufenthaltsgesetz unterbunden werden. Die Ziele dieser Regelungen würden mit der derzeitigen Praxis jedoch nicht erreicht, so die Justizminister. Mit dem Bleiberecht erhalten Mütter und ihre Kinder Anspruch auf staatliche Leistungen. Wenn sich der Staat bei den angeblichen Vätern den Unterhalt wiederholen will, greift er bei Sozialhilfe- oder Hartz-4-Empfängern ins Leere. Pro Scheinvaterschaft sollen solche Männer 3.500 bis 5.000 Euro von den Vermittlern solcher Scheinvaterschaften kassieren. Der deutsche Staat hatte sich selbst verpflichtet, die Vaterschaftsanerkennung nicht zu hinterfragen. Wer der biologische Vater ist, sollte zweitrangig sein. Das Bundesinnenministerium hatte die Zahl der Scheinvaterschaften 2017 auf bundesweit 5.000 Verdachtsfälle beziffert.

Grundsatzerklärung gegen Antisemitismus

Die Konferenz hat sich auf Initiative Bayerns für eine Grundsatzerklärung der Justizminister ausgesprochen, wonach die Verfolgung antisemitischer Straftaten grundsätzlich im öffentlichen Interesse liegen soll. Verweisungen auf den Privatklageweg und Verfahrenseinstellungen wegen Geringfügigkeit sollen nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) verwies in diesem Zusammenhang auf die besondere historische Verantwortung Deutschlands, "den Judenhass an den Rändern, aber auch in der Mitte der Gesellschaft und unter Zuwanderern zu erkennen, zu benennen und zu bekämpfen".

Härtere Strafen bei Angriffen auf Verfassungsorgane

Vor dem Hintergrund der Ereignisse um den versuchten Sturm auf das Reichstagsgebäude im Sommer 2020 hat sich die Justizministerkonferenz zudem für einen von Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam eingereichten Antrag zum Schutz von Verfassungsorganen ausgesprochen. Er sieht unter anderem die Prüfung höherer Strafen bei Angriffen auf Verfassungsorgane vor.

Härteres Vorgehen gegen Rachepornos und Deepfakes

Ebenfalls auf eine Initiative aus Bayern hin wollen die Justizminister härter gegen das Verbreiten von Rachepornos ("revenge porn") vorgehen. Dabei handelt es sich um eine besonders perfide Form des Cybermobbings, bei der Nacktbilder ins Netz gestellt werden, um sich an einer anderen Person zu rächen. Deshalb sollen nach dem Vorschlag Bayerns die Höchststrafe angehoben und Verweisungen auf den Privatklageweg ausgeschlossen werden. Die Justizminister beschäftigten sich auch mit dem relativ jungen Phänomen der Deepfakes, worunter verfälschte Bilder und Videos zu verstehen sind. Die Verbreitung solch digitaler Fälschungen nimmt laut bayerischem Justizministerium zu. Die Justizministerkonferenz hat sich auf Antrag Bayerns dafür ausgesprochen, die Gefahren von Deepfakes in den Blick zu nehmen und Handlungsbedarf im StGB zu prüfen. Nach dem Vorschlag Bayerns soll zum Schutz der öffentlichen Meinungsbildung ein neuer Paragraf geschaffen werden. Der hierzu vorgeschlagene neue § 141 StGB sieht Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vor, wenn Deepfakes dazu genutzt werden, die öffentliche Meinung zu manipulieren und den politischen Prozess gezielt zu beeinflussen. Für das Veröffentlichen von Fake-Bildern und Videos (§ 201a Absatz 2 StGB), die das Ansehen Einzelner schädigen (zum Beispiel auf Pornoportalen), fordert Bayern eine qualifizierte Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren statt wie bisher bis zu zwei Jahren).

Löschpflicht für digitale Massenmedien

Im Anwendungsbereich des NetzDG sollen auf Initiative Bayerns Schutzlücken geschlossen werden. Rechtssicher erfasst werden sollen künftig auch Messenger-Dienste wie Telegram, Sparten-Plattformen wie Pornhub oder Plattformen, die ohne Registrierung genutzt werden können. Auch soll der Straftaten-Katalog erweitert werden. So sollte vor allem eine Löschpflicht für strafbare Deepfakes eingeführt werden.

Digital Services Act - Deutsches Schutzniveau erhalten

Die Europäische Union hat im Dezember 2020 den Digital Services Act (DSA) im Kampf gegen strafbare Inhalte im Netz vorgelegt. Die Justizministerkonferenz unterstützt die bayerische Forderung, dass die neuen europäischen Regelungen nicht hinter dem Schutzniveau des NetzDG zurückbleiben dürfen. Aus dem DSA ergibt sich bislang keine ausdrückliche gesetzliche Löschpflicht bei strafbaren Inhalten. Auch sieht der DSA eine Anzeigepflicht für Online-Plattformen nur bei schweren Straftaten vor. "Das europäische Regelwerk darf auf keinen Fall hinter dem hohen Schutzniveau des NetzDG zurückbleiben", betont Eisenreich.

Forderung nach Einsatz von Videotechnik in Prozessen in EU

Der Einsatz von Videotechnik hat sich laut Jumiko während der Corona-Pandemie im Zivilprozess bewährt: Viele Gerichte haben per Videoübertragung verhandelt, wenn etwa Zeugen oder Parteien wegen der Reisebeschränkungen nicht im Gerichtssaal erscheinen konnten. § 128a ZPO lässt das in Deutschland zu. Auf europäischer Ebene hingegen fehlt dafür eine umfassende Rechtsgrundlage. Die Konferenz hat sich daher der bayerischen Aufforderung an die Bundesjustizministerin angeschlossen, sich für ein grenzüberschreitendes Verhandeln mittels Videokonferenzanlagen einzusetzen.

Stärkung der Rechte Transgeschlechtlicher

In einer gemeinsamen Initiative haben sich Hamburg, Thüringen, Berlin, Sachsen und Bremen für eine Stärkung der Rechte Transgeschlechtlicher ausgesprochen. Sie bekräftigten das Selbstbestimmungsrecht transgeschlechtlicher Menschen und deren verfassungsmäßigen Anspruch auf Achtung ihrer geschlechtlichen Identität. Die Justizminister der Länder sprechen sich für ein Gesetz aus, das das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen besser gewährleistet als es die bestehenden Gesetze tun.

Handlungsbedarf bei sogenannten Kettenbewährungen

Niedersachsen hat das Thema "Kettenbewährung" auf den Tisch gebracht. Darunter versteht man das Problem, dass von Strafgerichten mitunter Bewährungsstrafen verhängt werden, obwohl der Täter zur Tatzeit bereits unter einer Bewährung steht. Das Thema stand laut Justizministerium Hessen bereits vor zwei Jahren auf der Tagesordnung der Justizministerkonferenz, seinerzeit wurde das Bundesjustizministerium aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Uneinigkeit bestehe seitdem über die statistische Häufigkeit der Kettenbewährung. Die Mehrheit der Bundesländer habe gleichwohl auch in diesem Jahr einen Handlungsbedarf gesehen. Die weiteren Details würden nun in einer Arbeitsgruppe geklärt.

Änderung der StPO in Bezug auf "Urkunden-Anträge"

Erneut hat Niedersachsen zudem ein Thema aus dem Bereich der Staatsschutzverfahren auf die Tagesordnung gesetzt. Aus der Praxis großer und aufwändiger Terrorismusverfahren ist bekannt, dass Verteidiger vermehrt (Beweis-)Anträge gestellt haben, wonach im gerichtlichen Verfahren ausländische Urkunden als Beweismittel herbeigeschafft und verlesen werden sollen. Dies könne unter Umständen aufwändige Auslandsermittlungen nach sich ziehen und den Prozess erheblich verzögern. Im Gegensatz zu Beweisanträgen zur Vernehmung von Auslandszeugen gebe es in diesen Konstellationen jedoch keine gesetzlich normierten Ablehnungsgründe. Niedersachsen hat deshalb für die "Urkunden-Anträge" eine Änderung der Strafprozessordnung vorgeschlagen. Die Mehrheit der anderen Bundesländer ist diesem Ansinnen gefolgt.

Redaktion beck-aktuell, 17. Juni 2021 (dpa).