Recht vielfältig: Neues Jura-Netzwerk für Erstakademiker
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Die gemeinnützige Organisation ArbeiterKind.de startet gemeinsam mit drei Wirtschaftskanzleien und der privaten EBS Universität die Initiative "recht vielfältig" zur Unterstützung von Erstakademikerinnen und Erstakademikern im Jurastudium. Jannina Schäffer berichtet.

Die Wirtschaftskanzleien Linklaters, A&O Shearman und Kapellmann und Partner beteiligen sich am Aufbau der neuen Community für sogenannte "Arbeiterkinder", also Studierende aus Nichtakademiker-Haushalten, die sich als erste in ihrer Familie für ein Studium entschieden haben. Mit dabei ist auch die EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden, die seit 2010 über eine eigene Law School verfügt.

Hintergrund des Projekts ist die anhaltende Bildungsungerechtigkeit in Deutschland. Laut dem Hochschulbildungsreport 2020 entscheiden sich nur rund ein Viertel der "Arbeiterkinder" für ein Studium, während rund 80 Prozent der Akademikerkinder ein Studium aufnehmen. Nur 15 von 100 Studierenden aus Nichtakademikerfamilien absolvieren einen Bachelor, nur acht davon machen einen Master und nur einer aus 100 promoviert. Die Zahlen belegen deutlich, dass Erstakademikerinnen und Erstakademiker zu Beginn und im Verlauf ihres Studiums vor hohen Hürden stehen.

ArbeiterKind.de will starke Community aufbauen

Hier kommt die gemeinnützige Plattform ArbeiterKind.de ins Spiel, die bereits seit 2009 Schülerinnen und Schülern aus Familien ohne akademischen Hintergrund auf dem Weg zum Studium begleitet. Bundesweit engagieren sich über 6.000 Ehrenamtliche in rund 80 lokalen Gruppen für das Projekt. Christina Urner ist für das Projektmanagement der Initiative "recht vielfältig" im Bereich Jura verantwortlich. Sie freut sich darüber, "dieses spannende Projekt mitgestalten und vorantreiben zu dürfen". Gemeinsam mit allen Kooperationspartnern werde man sich dafür einsetzen, "die Chancengleichheit im Jurastudium zu verbessern und eine starke Community aufzubauen."

Ziel der Initiative "recht vielfältig" ist die Weitergabe von Know-How im Rahmen eines Mentoring-Programms, die Vermittlung von Praktika und der Austausch zwischen Berufstätigen und Studierenden sowie den Teilnehmenden untereinander. Gemeinsam mit den kooperierenden Kanzleien und der EBS Universität werden Live-Events und Workshops organisiert, die teilweise vor Ort in den Kanzleiräumlichkeiten stattfinden, zum Teil aber auch online.

Katja Urbatsch, Gründerin von ArbeiterKind.de,erklärt in der gemeinsamen Pressemitteilung: "Die größte Unterstützung für die Studierenden ist der persönliche Austausch mit Praktikern, welchen wir durch unser breites Netzwerk ermöglichen können. Wir sind überzeugt, dass diese Initiative das Selbstbewusstsein der Studierenden stärkt und ihre Karrierechancen erheblich verbessert."

Der Rechtsstaat braucht diverse Juristinnen und Juristen

Das Projekt trifft einen Nerv. Bis heute gilt das Jurastudium in Deutschland als besonders elitär. Seit Jahren beklagen Initiativen und Verbände die mangelnde Diversität und Chancengleichheit innerhalb der juristischen Ausbildung. Das ist höchst problematisch. Denn: Wie gerecht können unser Rechtssystem und unsere Rechtspraxis sein, wenn unsere Juristinnen und Juristen selbst einem ungerechten Ausbildungssystem entspringen?

Für mehr Diversität im Jurastudium will sich deswegen auch die EBS Law School stark machen. Mehrere Stipendien, ein Generationenvertrag sowie verschiedene Bildungsfonds ermöglichen bereits jetzt, besonders talentierten und ehrgeizigen Personen den Zugang zur privaten Uni.

 "Unser Konzept der Juristenausbildung und die enge Zusammenarbeit mit Berufsträgern gewährleistet beste Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss, Berufsstart und weitere Karriereentwicklung. Studierende aus Familien ohne akademischen Hintergrund sind zugleich wegen ihres besonderen Engagements und ihrer Motivation ein Gewinn für die Fakultät", erklärt Prof. Dr. Michael Nietsch, Dekan der EBS Law School.

Zahlreiche Initiativen für mehr Diversität in der Juristerei

Neben der "Recht vielfältig"-Community gibt es bereits heute spannende Projekte rund um das Thema „Diversität“ in der juristischen Ausbildung – insbesondere auch für Studierende aus Nichtakademiker-Haushalten und mit einem postmigrantischen Hintergrund:

  • Einen Ort des Austauschs und der Karriereförderung stellt das Netzwerk multikultureller Jurist*innen e.V. (NMKJ) dar. Die Juristin Dr. Abir Haddad gründete das Karrierenetzwerk 2020 für alle, die sich selbst als "multikulturell" empfinden. Neben regelmäßigen Netzwerktreffen veranstaltet der Verein vielfältige digitale Events zu Themen wie "multikulturell Promovieren" oder "multikulturelle Berufsvorbilder".
  • Seit 2021 setzt sich der Postmigrantische Jurist*innenbund (PMJ*B) ehrenamtlich für den Abbau von Diskriminierung im und durch das Recht ein. Im Vordergrund steht dabei auch die Förderung von jungen migrantisierten Juristinnen und Juristen. Der PMJ*B vermittelt zudem Anwältinnen und Anwälte mit eigenen Diskriminierungserfahrungen an BIPoC mit Beratungsbedarf. Gegründet wurde die Initiative von der Rechtsanwältin Demet Demir und dem Rechtswissenschaftler Berkan Kaya.
  • Der Verein Afro-Deutsche Jurist:innen wurde 2022 von einer Gruppe von Schwarzen Jurastudierenden und Juristinnen sowie Juristen gegründet. Ziel des Vereins ist, die Perspektive Schwarzer Menschen in die rechtliche Debatte einzubringen und damit zur Gleichberechtigung beizutragen. Dazu unterstützen die Afro-Deutschen Jurist:innen unter anderem bei der Suche nach einem geeigneten Rechtsbeistand für Diskriminierungsfragen und fördern durch verschiedene Aktionen gezielt die Sichtbarkeit von Schwarzen Personen in juristischen Berufen.
  • Die Initiative geRECHTer. setzt sich als gemeinnützige Organisation für soziale die Bildungschancengleichheit im juristischen Universitätsstudium ein. Das Projekt will erreichen, dass mehr Menschen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft eine faire Chance haben, Juristinnen und Juristen zu werden. Um die Nachteile von Erstakademikerinnen und Erstakademikern im Jurastudium auszugleichen, wurde auch ein Mentoring-Programm aufgebaut. geRECHTer. wurde 2021 von der Juristin Mirjam Schneider gegründet.

Auch an einigen öffentlichen Universitäten gibt es Angebote für Erstakademikerinnen und Erstakademiker im Jurastudium. So beispielsweise der Jura-Erstakademiker*innen-Stammtisch an der Universität Hamburg oder ein Get-Together für Erstakademikerinnen und Erstakademiker der Initiative "Justitia Mentoring" an der Universität Freiburg.

Redaktion beck-aktuell, Jannina Schäffer, 12. Juni 2024.