Das Jurastudium zeichnet sich durch lange Gesetzestexte, komplexe Sachverhalte und umfassende Theoriestreitigkeiten aus. Jurastudierende müssen bis zum Staatsexamen riesige Mengen an Informationen verarbeiten, strukturieren, wiederholen und im Gehirn abspeichern. Die Frage nach der richtigen Lernmethode treibt daher viele Studierende um. Und es gibt eine, auf die die Lawfluencer schwören: Lernen mit Sketchnotes, also visuellen Notizen, Grafiken, Symbolen und Diagrammen. Was ist dran an dem Sketchnote-Hype?
Die Wissenschaft hinter der Skizze
Die Idee von Sketchnotes ist simpel: Mithilfe der grafischen Darstellung kann Abstraktes greifbar und ein komplexer Sachverhalt auf seinen Kern reduziert werden. Sketchnotes können dabei sowohl einfache Skizzen als auch detailliertere Illustrationen sein. Die Methode beruht auf der Idee, dass das Gehirn Informationen besser behält, wenn sie visuell – und durch das Zeichnen aktiv – verarbeitet werden.
Zeichnen aktiviere verschiedene Bereiche des Gehirns, die für das Verarbeiten und Speichern von Informationen zuständig sind, erklärt Nicola Pridik, Inhaberin des Büros für klare Rechtskommunikation. Das Zeichnen helfe dabei, den Lernstoff auf mehreren Ebenen zu verarbeiten. Pridik: "Allan Paivio entwickelte beispielsweise die duale Kodierungstheorie, nach der – verkürzt gesagt – Informationen besser im Gehirn verankert werden, wenn Texte und Bilder miteinander kombiniert werden. Genau das ist das Prinzip von Sketchnotes. Auch ist erwiesen, dass man sich Bilder besser merken kann als Worte (Picture Superiority Effect)."
Durch den Akt des Zeichnens wird der Stoff außerdem nicht nur visuell, sondern auch kinästhetisch aufgenommen, da Studierende die Informationen selbst gestalten und damit doppelt verarbeiten. Text und Bild zu kombinieren, fördert also das aktive Lernen. Dies trägt dazu bei, dass die Informationen nicht nur passiv aufgenommen, sondern aktiv im Gedächtnis verankert werden.
Eignen sich Sketchnotes nur für visuelle Lerntypen?
Aber gilt das auch für Jeden und Jede? Alle kennen schließlich die Theorie von den verschiedenen Lerntypen. Danach lerne ein auditiver Lerntyp eher durch Zuhören und ein visueller Lerntyp mithilfe von Bildern und Illustrationen, während ein motorischer Lerntyp die Dinge anfassen oder physisch testen müsse, um sie zu verstehen. Soweit die Theorie – eine Theorie, nach der das Lernen mit Sketchnotes eigentlich nur für visuelle Lerntypen funktionieren dürfte.
Das Problem: Die Einteilung in Lerntypen wird in der wissenschaftlichen Literatur inzwischen abgelehnt. Es gibt keine belastbaren Belege dafür, dass das Lernen nach einem festen Lerntyp – wie z. B. durch Sketchnotes für visuelle Lerntypen – immer die besten Ergebnisse liefert. Jurastudierende sollten sich also von der Idee lösen, dass sie sich zwanghaft einem bestimmten Lerntyp unterordnen und ihr Lernen dementsprechend gestalten müssen. Vielmehr ist es entscheidend, eine Vielzahl von Lernmethoden auszuprobieren und beim Lernen auf individuelle Bedürfnisse und Präferenzen einzugehen. "Die Kombination von unterschiedlichen Lernmethoden ist sinnvoll. Was eingesetzt wird, würde ich anhand der persönlichen Präferenz gewichten", empfiehlt deswegen auch Visualisierungstrainerin Natalie A Peter. Das gelte auch für das Lernen mit Sketchnotes.
Sketchnotes im Jurastudium – und außerhalb
Jurastudierende können mithilfe von Sketchnotes etwa Gesetze und Urteile strukturieren oder Theorien und Meinungsstreits kompakt darstellen. Statt ein Lehrbuch in einer endlosen Textwüste zusammenzufassen, soll durch Sketchnotes eine lebendige und hoffentlich übersichtliche Darstellung des Lernstoffes entstehen.
Auch in der Vorlesung können Sketchnotes zum Einsatz kommen. Manche Professorinnen und Professoren sprechen recht zügig, sodass eine ausführliche Mitschrift fast unmöglich ist. Hier können Grafiken und Symbole vor allem eingesetzt werden, um Zeit zu sparen. Schließlich sollen Sketchnotes auch bei der Falllösung helfen: Einerseits können Studierende den Sachverhalt mithilfe von Unterstreichungen und Symbolen aufbereiten, andererseits können sie komplexe Beziehungen zwischen Personen übersichtlich darstellen.
Denkt man an die Zeit nach Studium und Referendariat, haben sie noch einen weiteren Vorteil: "Schließlich sind Sketchnotes nicht nur eine Lernmethode. Sie erweitern außerdem die kommunikativen Kompetenzen im Beruf, denn die Fähigkeit, visuell denken und kommunizieren zu können, ist gefragter und nützlicher, als viele Juristinnen und Juristen meinen", betont Pridik.
Die Grenzen der Sketchnotes
Das Lernen mit Sketchnotes soll also insbesondere beim Durchdringen und Darstellen des Lernstoffs helfen. Allerdings hat es auch seine Grenzen: Insbesondere bei sehr langen Texten oder solchen, bei denen es auf jedes einzelne Wort ankommt (z. B. Definitionen), ist es schwierig bis unmöglich, alles in einer Sketchnote unterzubringen. Auch die Tiefe und Komplexität vieler juristischer Meinungsstreitigkeiten lassen sich nur schwer vollständig visualisieren. Daher ist es sinnvoll, Sketchnotes nur für bestimmte Themen und Zusammenhänge zu verwenden und sie nicht als einzige Lernmethode zu nutzen.
Hinzu kommt, dass das Erstellen der Sketchnotes gerade am Anfang sehr zeitaufwändig sein kann. Mit zunehmender Übung wird man hier aber auch schneller und spart umgekehrt beim Wiederholen Lesezeit. "Lernen ist grundsätzlich ein sehr zeitaufwändiger Prozess, der mit den passenden Methoden und Hilfsmitteln optimiert werden kann", erklärt Peter. Sie empfiehlt Jurastudierenden deswegen, Sketchnotes beim Erstellen von eigenen Skripten und Karteikarten "zusätzlich einfließen zu lassen".
Außerdem kommt es im Staatsexamen dann wieder auf die Fähigkeit an, schnell ein gelungenes Gutachten zu formulieren. Das Lernen mit Sketchnotes darf deswegen nie dazu führen, dass das Ausformulieren eigener juristischer Texte vernachlässigt wird.
Braucht man für Sketchnotes Zeichentalent?
Viele Jurastudierende zögern, das Lernen mit Sketchnotes für sich auszuprobieren, weil sie fürchten, dass ihnen das zeichnerische Talent hierfür fehlt. Diese Sorge wird insbesondere durch Lawfluencer genährt, die auf Social Media ihre vermeintlich perfekten Lernunterlagen präsentieren. So entsteht bei den Jurastudierenden der Eindruck, dass man für Sketchnotes ein teures Programm benötigt oder zumindest herausragendes Zeichentalent. Das ist jedoch ein Irrtum. Grundsätzlich genügen für diese Lernmethode ein Blatt Papier und verschiedenfarbige Stifte, um die eigenen Lernunterlagen mit einigen wenigen Strichen optisch aufpeppen.
"Allein der Einsatz von Unterstreichungen und verschiedenen Farben ist sicher noch keine Sketchnote. Es sind aber auch keine komplexen Zeichnungen erforderlich", betont Pridik. "Es geht vielmehr im Kern darum, visuell zu denken und wesentliche Inhalte und Ideen in einer Kombination aus Text, einfachen Zeichnungen und/oder grafischen Elementen mit dem Stift festzuhalten." Sketchnotes erfordern daher keine besonderen künstlerischen Fähigkeiten. Bei dieser Lernmethode geht es nicht darum, etwas künstlerisch Wertvolles zu schaffen, sondern vielmehr darum, Inhalte in einer kompakten, verständlichen Form grafisch darzustellen.
Wer mit digitalen Lernunterlagen arbeitet, kann diese Effekte in Word oder Pages erzeugen. Für aufwändigere Grafiken – so wie man sie häufig in den sozialen Netzwerken antrifft – gibt es inzwischen eigene Programme/Apps, die einem die Arbeit erleichtern. Diese verfügen beispielsweise über vorgefertigte kleine Grafiken, sodass Zeichentalent nicht erforderlich ist. Wer zunächst testen will, ob visuelle Notizen überhaupt etwas für sie oder ihn sind, kann einfach mit der Notes-App auf dem iPad oder Microsoft OneNote beginnen. Für kleines Geld gibt es aber auch Programme/Apps, die einen noch größeren Funktionsumfang und/oder Komfort bieten. Beispielsweise Procreate (iOS), Concepts (iOS), Paper (iOS), Linea Sketch (iOS), Fresco (iOS und Android) oder Sketchbook (iOS und Android).
Ergänzung, nicht Allheilmittel
Sketchnotes bieten eine wertvolle Möglichkeit, komplexe rechtliche Inhalte im Jurastudium zu visualisieren und zu strukturieren. Allerdings ist es wichtig, zu betonen, dass diese Methode keine universelle Lösung darstellt. Sie kann als Ergänzung zu anderen Lernmethoden genutzt werden, sollte jedoch nicht als einzige Technik zum Erlernen des Prüfungsstoffes dienen. Denn bei der Darstellung komplexer Inhalte stoßen Sketchnotes schnell an ihre Grenzen und in den Fällen, in denen etwas wörtlich wiedergegeben werden muss (z.B. Definitionen), reicht eine Grafik nicht aus.
Für Studierende, die sich mit dem Zeichnen schwertun, bietet es sich an, sich Schritt für Schritt an diese Lernmethode heranzutasten. Wer Sketchnotes mit Bedacht und in Kombination mit anderen Lernmethoden einsetzt, wird feststellen, dass sie eine effektive Möglichkeit darstellen, den juristischen Lernstoff zu durchdringen und langfristig zu behalten. Und vielleicht stellt man auch fest, dass es ein bisschen Spaß macht.
Die Autorin Dr. Jannina Schäffer ist Gründerin und Chefredakteurin des Online Magazins "JURios – kuriose Rechtsnachrichten". Die Volljuristin hat berufsbegleitend an der Deutschen Hochschule der Polizei promoviert und ist Lehrbeauftragte an der FernUni Hagen sowie Mitarbeiterin bei Alpmann Schmidt.