"Durch Unkenntnis geprägt": Jura-Professoren kritisieren Umgang mit Brosius-Gersdorf
Frauke Brosius-Gersdorf bei "Markus Lanz" am 25.07.2024 / © picture alliance / teutopress

Selten präsentierte sich die Rechtswissenschaft in einer so breiten Einigkeit wie am Montag. In einer Stellungnahme lesen weit über 200 Personen aus Wissenschaft und Justiz - vorwiegend Professorinnen und Professoren - der Berliner Politik die Leviten.

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben 285 Vertreterinnen und Vertreter der universitären Forschung und Lehre sowie der Justiz ihren Protest gegen die Vorgänge im Rahmen der Richterwahl zum BVerfG am vergangenen Freitag geäußert. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner kritisieren scharf die Art und Weise, wie die "hoch angesehene" Staatsrechtslehrerin Frauke Brosius-Gersdorf in Politik und Öffentlichkeit behandelt worden sei.

Der Kreis der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner ist durchaus prominent, unter anderem zählt dazu auch Brosius-Gersdorfs Doktorvater und Staatsrechtler Horst Dreier, der selbst 2008 als Kandidat der SPD für die Nachfolge Winfried Hassemers kurz vor seiner Wahl ans BVerfG aufgrund seiner Ansicht zur Rettungsfolter verhindert wurde. Außerdem finden sich in der Unterzeichnerliste vier Namen ehemaliger Richterinnen und Richter des BVerfG: Susanne Baer, Wolfgang Hoffmann-Riem, Gabriele Britz und Andreas Paulus. Hinzu kommen Namen anderer bekannter Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie Kai Ambos, Volker Epping, Tatjana Hörnle, Karsten Gaede, Thorsten Kingreen, Oliver Lepsius, Anna-Katharina Mangold, Martin Morlok, Bodo Pieroth oder Bettina Weißer.

Eklat im Bundestag nach Plagiatsvorwürfen und Abtreibungs-Debatte

Am Freitag hatte der Bundestag in einer aufsehenerregenden Sitzung die Wahl dreier vorgesehener Richterinnen und Richter für das BVerfG kurzfristig von der Tagesordnung genommen, weil absehbar war, dass eine Vielzahl von Unionsabgeordneten nicht für die SPD-Nominierung von Brosius-Gersdorf stimmen würde. Zuvor hatte es tagelang Debatten um ihre angeblich radikalen Ansichten zu Themen wie Geschlechterquoten, Kopftüchern, Impfpflicht und vor allem Abtreibung gegeben. Gleichwohl hatten Kanzler Merz und Unions-Fraktionschef Jens Spahn die Nominierung vorangetrieben und Rückendeckung für Brosius-Gersdorf signalisiert, die im Richterwahlausschuss auch Zustimmung - u. a. von der Union - fand.

Am Donnerstagabend wurden dann Vorwürfe öffentlich, wonach der als "Plagiatsjäger" bekannte österreichische Kommunikationswissenschaftler und Publizist Stefan Weber Hinweise auf Plagiate in der Doktorarbeit Brosius-Gersdorfs ausgemacht haben sollte. Dabei geht es laut Weber um ähnliche Passagen in der Dissertation der Potsdamer Staatsrechtslehrerin und der Habilitationsschrift ihres Ehemannes, des Leipziger Staatsrechtlers Hubertus Gersdorf. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Plenum des Bundestags für ihre Wahl war damit endgültig nicht mehr sicher, sodass die Fraktionen von Union, SPD, Grünen und Linken nach einer Unterbrechung dafür votierten, die Wahl aller drei Kandidatinnen und Kandidaten abzusetzen.

Stellungnahme kritisiert "Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit" und "fehlendes politisches Rückgrat"

Nicht nur im Bundestag hatte das am Freitag - dem letzten regulären Sitzungstag vor der Sommerpause - hitzige Debatten zur Folge, auch die nun erschienene Reaktion aus der Wissenschaft ist für die Verhältnisse der üblichen akademischen Außendarstellung - man darf es so sagen - gepfeffert. Man protestiere "nachdrücklich gegen die Art und Weise, wie im Rahmen der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht in der Politik und in der Öffentlichkeit mit Frauke Brosius-Gersdorf umgegangen wurde", heißt es in dem Brief. "Dieser Umgang ist geeignet, die Kandidatin, die beteiligten Institutionen und mittelfristig über den Verfall der angemessenen Umgangskultur die gesamte demokratische Ordnung zu beschädigen."

Im Weiteren verteidigt die Stellungnahme Brosius-Gersdorf und ihre wissenschaftliche Reputation, die "in Fachkreisen unbestritten" sei. Zwar könne man über Kandidatinnen und Kandidaten für das BVerfG und auch deren wissenschaftliche Leistungen durchaus streiten, doch Darstellungen, in denen die Positionen der Verfassungsrechtlerin als von vornherein abseitig oder radikal eingeordnet worden seien, seien "jedenfalls durch Unkenntnis der rechtswissenschaftlichen Diskussion geprägt". "Äußerungen einzelner Bundestagsabgeordneter, ihre Universität möge aufgrund dieser Positionen Maßnahmen gegen Frauke Brosius-Gersdorf ergreifen, stellen einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit selbst dar." Letzteres dürfte sich auf die Bundestagsabgeordnete der CDU Saskia Ludwig beziehen, die nach den Plagiatsvorwürfen gefordert hatte, Brosius-Gersdorf müsse ihren Lehrauftrag an der Universität Potsdam vorerst ruhen lassen. 

Zum Rückzug der Nominierung am Freitag haben nach Ansicht der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefs "ideologisierte Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickte Kampagnen" geführt, von denen sich die Abgeordneten hätten beeinflussen lassen. Diese zeuge "zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung" heißt es weiter. "Dass dann ausgesprochen unglaubhafte Plagiatsvorwürfe als Vorwand für eine Vertagung herhalten müssen und dadurch eine weitere Beschädigung der Kandidatin in Kauf genommen wird, ist ein Angriff auf das Ansehen der Wissenschaft und ihrer Vertreterinnen und Vertreter."

Hält die SPD an Brosius-Gersdorf fest?

Wie es mit der Wahl der Nachfolgerinnen und Nachfolger für die bald - oder im Fall von Josef Christ schon seit Monaten - vakanten Verfassungsrichterposten nun weitergeht, ist noch nicht klar. Die von den Grünen zunächst in den Raum gestellte Sondersitzung wird es wohl nicht geben, Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gab sich im ARD-Sommerinterview zwischenzeitlich demonstrativ entspannt. "Das war am Freitag nicht schön, aber das ist nun auch keine Krise der Demokratie, keine Krise der Regierung", meinte Merz und kündigte an, das Ganze "in Ruhe" mit Koalitionspartner SPD zu besprechen - es gebe da "keinen Zeitdruck".

Doch während CSU-Chef Markus Söder dem Koalitionspartner einen Austausch der Kandidatin nahelegte, auf deren Kandidatur "kein Segen" gelegen habe, stellte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch klar: "Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht." Die SPD hat zudem vorgeschlagen, dass die Union Brosius-Gersdorf bis zur nächsten Sitzungswoche im September persönlich treffen und anhören solle. Sollte sich der Bundestag nicht auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten einigen können, bliebe die Wahl indes nicht für immer aufgeschoben, das Wahlrecht ginge vielmehr unter bestimmten Bedingungen auf den Bundesrat über. Doch auch hier wäre eine Zweidrittel-Mehrheit für eine Wahl nötig.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 14. Juli 2025 (ergänzt durch Material der dpa).

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