JuMiKo: Beschlüsse der Herbstkonferenz 2022
jumiko_herbst_2022_CR_BayerischesStaatsministeriumderJustiz
© Bayerisches Staatsministerium der Justiz
jumiko_herbst_2022_CR_BayerischesStaatsministeriumderJustiz

Die Jus­tiz­mi­nis­terinnen und Justizminister der Län­der haben bei ihrer Herbsttagung zahl­rei­che The­men dis­ku­tiert und Be­schlüs­se ge­fasst: Neben der Stärkung des Rechtsstaats standen der Kampf gegen Kindesmissbrauch und Korruption, ein besserer Schutz des Gesundheitswesens vor Betrügern sowie der Abbau gesetzlicher Hürden für Mieter auf dem Pro­gramm. Die von der Union geforderte anlasslose Vorratsdatenspeicherung fand keine Mehrheit.

Pakt für den Rechtsstaat verstetigen und neuer Digitalpakt

Die Länder setzen sich unter anderem auf Initiative des bayerischen Justizministers Georg Eisenreich - unter dessen Vorsitz die 93. JuMiKo stattfand - dafür ein, die im Ampel-Koalitionsvertrag ankündigte Verstetigung des Pakts für den Rechtsstaat und einen neuen Digitalpakt umzusetzen. Die Länder fordern, das Ursprungsvolumen des Pakts in Höhe von 220 Millionen Euro fortzuführen und für die Jahre 2023 bis 2027 in drei Tranchen auszuzahlen. Dazu sei - auch mit Blick auf durch den russischen Angriffskrieg verursachte Kosten - ein neuer Digitalpakt mit einem Volumen von 350 Millionen Euro im Jahr für die nächsten drei Jahre erforderlich, angelehnt an die Berechnungen des E-Justice-Rats. "Wir erwarten eine angemessene Beteiligung des Bundes an Kosten, die durch Bundesgesetze verursacht werden", so Eisenreich.

DRB schließt sich Forderung der Länder an

Der Deutsche Richterbund (DRB) schloss sich der Forderung an: "Es braucht eine breit angelegte Investitionsoffensive von Bund und Ländern, um die Justiz personell nachhaltig zu stärken und technisch auf die Höhe der Zeit zu bringen", sagten die DRB-Vorsitzenden Andrea Titz und Joachim Lüblinghoff in Berlin. "Ohne deutlich mehr Personal wird es der Justiz kaum gelingen, den digitalen Umbruch parallel zu den stetig wachsenden Kernaufgaben in der Rechtsprechung zu stemmen", erklärte Lüblinghoff. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte den Ländern zuletzt für die kommenden Jahre 200 Millionen Euro für Projekte zur Digitalisierung ihrer Justizbehörden in Aussicht gestellt. Weitere Mittel - etwa für zusätzliche Stellen - waren jedoch nicht Teil des Angebots. Aus Sicht der Länder ist das nicht ausreichend. Diese finanzieren nach eigenen Angaben mit jährlich mehr als 15 Milliarden Euro die Justiz. Hinzu kommen die Kosten für den Strafvollzug.

Keine Mehrheit für anlasslose Vorratsdatenspeicherung

Mit knapper Mehrheit haben sich die Justizministerinnen und Justizminister gegen die von der Unionsseite geforderte anlasslose Vorratsdatenspeicherung zur Strafverfolgung im Netz ausgesprochen. Mit neun zu sieben stimmten sie stattdessen für einen Antrag aus Hamburg und Sachsen, welcher das von Buschmann präferierte "Quick Freeze"-Verfahren vorschlägt. Beim Quick-Freeze-Verfahren werden Telekommunikationsanbieter verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum zu speichern - sozusagen "einzufrieren". Möglich soll dies allerdings lediglich bei schweren Straftaten wie Totschlag, Erpressung oder Kindesmissbrauch sein. Außerdem muss ein Richter der Maßnahme zustimmen. Denkbar ist hier beispielsweise die Speicherung von Daten aus einer bestimmten Funkzelle rund um den Tatort oder etwa auch der Standortdaten der Mobiltelefone von nahen Angehörigen eines Opfers. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und mehrere Landesinnenminister hatten wiederholt erklärt, dass das Verfahren aus ihrer Sicht nicht ausreicht, um an die für die Strafverfolgung wichtigen IP-Adressen zu kommen. "Das Modell als echte Alternative darzustellen, ist entweder bewusste Augenwischerei oder Unkenntnis. Wo nichts ist an Daten, lässt sich auch nichts einfrieren", betonte Eisenreich.

Zusammenarbeit gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch

Fast 40.000 Fälle von Kinderpornografie allein im vergangenen Jahr, mehr als 15.500 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch: Die JuMiKo hat sich dafür ausgesprochen, die Rahmenbedingungen für eine länderübergreifende Zusammenarbeit im Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch zu verbessern. Um die Verfahren zu beschleunigen, sollen länderübergreifend Standards und einheitliche Vorgehensweisen bei technischen und rechtlichen Fragen definiert werden. Man wolle die Bund-Länderarbeitsgruppe "Digitale Daten" auch künftig unterstützen. Auch über den Einsatz Künstlicher Intelligenz wollen sich die Länder austauschen. Sie fordern den Bund auf, seine geplanten ausgeweiteten Ermittlungsinstrumente den Strafverfolgungsbehörden unmittelbar zur Verfügung zu stellen. Die Konferenz ist sich einig, dass Information und Aufklärung der Kinder und Jugendlichen ressort- und länderübergreifend intensiviert werden sollten. So hätten minderjährige Täter an Besitz, Beschaffung oder Verbreitung von Kinderpornografie mit etwa 40% im vergangenen Jahr einen erheblichen Anteil.

Schutz des Gesundheitswesens vor Betrügern

Pflegedienstbetrug, Schmiergelder, Abrechnungen für nicht erbrachte Leistungen: Die Konferenz fordert auf Initiative Bayerns auch einen besseren Schutz des Gesundheitssystems und den Aufbau spezialisierter Ermittlungseinheiten, so wie es sie zum Beispiel in Bayern mit der "Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen" (ZKG) gibt. Gefordert werden auch eine Ausweitung der Vor-Ort-Kontrollen durch die Krankenkassen und eine bundesweit angelegte Dunkelfeldstudie.

Bestandschutz für günstige Mieten bei Umzug in kleinere Wohnungen

Die JuMiKo möchte außerdem ein gesetzliches Wohnungswechselmodell ins Leben rufen, das einen einvernehmlichen Wohnungstausch beim selben Vermieter regelt. Der Wohnraummangel sei groß, zugleich gebe es zahlreiche sogenannte "stille Wohnraumreserven", heißt es seitens des Initiators Bayern. Vor allem viele ältere Mieterinnen und Mieter wünschten sich zwar häufig den Umzug in eine kleinere, bedarfsgerechte Wohnung. Sie könnten sich höhere Mieten aber oft nicht leisten. Daher solle ein rechtlicher Bestandschutz für günstige Mieten bei Umzug in kleinere Wohnungen geschaffen werden. "Der Vorteil für den Vermieter: Er kann sogar wirtschaftlich profitieren, wenn er dann statt einer kleinen Wohnung eine größere Wohnung neu vermieten kann", so Eisenreich.

Ökostrom-Offensive durch den Abbau rechtlicher Hürden

Ebenfalls erfolgreich waren zwei Anträge Bayerns zur Energiewende. So soll es künftig leichter möglich sein, steckerfertige Mini-Photovoltaikanlagen an Wohnhäusern zu installieren. "Das Anbringen einer solchen Anlage ist wohnungseigentumsrechtlich oftmals als bauliche Veränderung eingestuft wegen der Auswirkungen auf das Gesamterscheinungsbild des Gebäudes. Die Mehrheit der Wohnungseigentümergemeinschaft müsste im Regelfall zustimmen. Im Wohnraummietrecht bedarf es meistens der Genehmigung des Vermieters. Diese rechtlichen Hürden sollten abgesenkt werden", erklärt die Justizministerin aus Mecklenburg-Vorpommern Jacqueline Bernhardt (Die Linke). Die JuMiKo fordert den Bund auf, einen grundsätzlichen Anspruch auf den Einsatz von Balkonkraftwerken für Mieter und Wohnungseigentümer im Gesetz zu verankern. Mit einem zweiten Antrag soll die Grundbucheinsicht für Anlagenbetreiber erleichtert werden. Für Versorgungsunternehmen, die Anlagen insbesondere zur Fortleitung von Elektrizität, Gas und Wasser betreiben, sieht die Verordnung zur Durchführung der Grundbuchordnung bereits eine erleichterte Grundbucheinsicht vor, nicht aber für Unternehmen, die Solaranlagen oder Windkraftwerke errichten wollen.

Mehr Mieterschutz

Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich außerdem mit ihrem Vorschlag durchgesetzt, Mieterinnen und Mieter künftig besser vor Kündigung wegen Zahlungsverzug zu schützen. Sie haben gefordert, dass das Kündigungsrecht für einen befristeten Zeitraum beschränkt wird, wenn Mieterinnen und Mieter zum Beispiel wegen hoher Energiepreise bei der Zahlung der Betriebskosten in Verzug geraten. Außerdem soll bei Zeitmietverträgen und Mietverträgen mit befristetem Kündigungsausschluss ein ordentliches Kündigungsrecht für Mieterinnen und Mieter geschaffen werden für Fälle, in denen ihnen die Bindung an den Mietvertrag bis zum Ablauf der Befristung unzumutbar ist. Die Länder setzen sich ferner dafür ein, dass für Mietende ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung geschaffen wird. Eine solche Bescheinigung des Vormieters werde oftmals bei der Anmietung einer neuen Wohnung oder auch vielen Vertragsabschlüssen gefordert, obwohl das Ausstellen einer derartigen Bescheinigung bislang nicht Pflicht war. Das solle sich zugunsten des Schutzes für Mieterinnen und Mieter ändern, so Ministerin Bernhardt.

Streit ums Erbe: Unnötige gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden

Die JuMiKo spricht sich zudem für eine umfassende Reform der Auskunftsansprüche zwischen Erben, Pflichtteilsberechtigen und Beschenkten aus. Der Streit ums Erbe mache etwa ein Viertel aller Rechtsstreitigkeiten im privaten Bereich aus. "Wir streben eine Gleichbehandlung der Auskunftspflichten und bessere Ermittlungsmöglichkeiten für Notare an. Klare gesetzliche Regelungen können Streit in ohnehin auch emotional schwierigen Auseinandersetzungen vermeiden und auch unsere Gerichte entlasten", sagt Eisenreich.

Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen durch Reform des AGB-Rechts verbessern

Schließlich setzt sich die JuMiKo für eine zielgerichtete und wissenschaftlich begleitete Reform des AGB-Rechts ein. Dieses sei für Verträge zwischen Unternehmen überreguliert und teils nicht praxistauglich. Besonders in der Kritik stünden im internationalen Vergleich schlechtere rechtliche Möglichkeiten für Individualvereinbarungen und Haftungsausschlüsse. "Das AGB-Recht darf für Unternehmen kein Hindernis sein oder gar Fluchtgrund aus dem deutschen Recht. Deshalb muss es praxisgerechter gestaltet werden, ohne deswegen die berechtigten Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen aus den Augen zu lassen", betont Eisenreich.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 11. November 2022 (ergänzt durch Material der dpa).