Journalist mit Eilantrag auf Auskunft über "Corona-Erlasse" erfolgreich

Das niedersächsische Justizministerium muss einem Journalisten nach den Umweltinformationsgesetzen Auskunft über seine "Corona-Erlasse" erteilen. Bei den begehrten Informationen handele es sich um Umweltinformationen, entschied das Verwaltungsgericht Hannover in einem Eilverfahren.

Justizministerium verweigert Auskunft mangels "Umweltinformationen"

Der Antragsteller ist Journalist und Projektleiter des Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., der sich für Transparenz einsetzt und unter anderem die Website "www.fragdenstaat.de" betreibt. Er stellte beim niedersächsischen Justizministerium einen "Antrag nach dem NUIG/VIG“ und bat um Zusendung sämtlicher Erlasse, die das Ministerium in Bezug auf den Umgang mit der Corona-Pandemie verfasst hat. Das Ministerium lehnte den Antrag ab: Bei den angeforderten Dokumenten handele es sich nicht um Umweltinformationen.

Journalist: Viren in Luft enthalten und damit Umweltbestandteile

Dieser Ansicht tritt der Journalist entgegen: Das Corona-Virus breite sich hauptsächlich über Tröpfcheninfektion beim Husten und Niesen, aber auch beim gewöhnlichen Sprechen aus. Die Viren seien in den Tröpfchen enthalten. Beim Sprechen bildeten sich Aerosole (= mit besonders kleinen Tröpfchen angereicherte Atemluft), die besonders lange in der Luft stehen blieben. Über die Atmung der viral belasteten Luft könne eine Infektion mit dem Corona-Virus erfolgen. Die Erlasse setzten an dem Verbreitungsweg des Virus an und bezweckten nicht zuletzt, die Luft von entsprechenden Bestandteilen frei zu halten. Es handele sich damit um Maßnahmen, die sich auf Umweltbestandteile, nämlich den Virusgehalt der Atemluft, unmittelbar auswirkten.

Journalist will Regierungshandeln kontrollierbar machen

Die Zahl der Neuinfektionen führe offenbar zu erheblichen Einschränkungen des gewöhnlichen Betriebs im niedersächsischen Gerichtswesen, so der Journalist weiter. Vor diesem Hintergrund bestehe ein akutes Bedürfnis zur inhaltlichen Kenntnisnahme der Erlasse, um sich – als Journalist und als Teil der Öffentlichkeit – damit auseinandersetzen zu können. Nur dann sei es möglich, das Regierungshandeln mit Blick auf die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen, die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz, das Grundrecht auf Zugang zu den Gerichten und effektiven Rechtsschutz sowie den Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen zu kontrollieren.

Justizministerium: Kein Schutz der Luft als solcher bezweckt

Das Justizministerium beharrt darauf, die Erlasse enthielten keine Umweltinformationen. Sie dienten nicht dem Schutz der Luft als solcher, sondern dem Schutz der Menschen vor Infektionen. Da die Hauptsache nicht vorweggenommen werden dürfe, komme eine Herausgabe im Wege der einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.

VG: Bezug einer Maßnahme zu Umweltbestandteil ausreichend

Das VG gab dem Eilantrag des Journalisten statt. Bei den Erlassen handele es sich um Umweltinformationen im Sinne der Umweltinformationsgesetze. Der Begriff sei nach der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts weit auszulegen. Erforderlich für eine Einstufung als Umweltinformation sei nicht, dass die Maßnahme den Schutz der Luft als solcher bezwecke; es reiche ein Bezug der Maßnahme zum Umweltbestandteil Luft, der hier gegeben sei, weil sich das Virus maßgeblich über die Luft verbreite. Es werde durch Aerosole übertragen. Ziel der Maßnahmen des Antragsgegners sei es unter anderem, die Viren- und Aerosolbelastung vor allem der Luft in den Bereichen, in denen sich Bedienstete und/oder Besucher aufhielten, zu verringern.

Notwendige Eilbedürftigkeit dargelegt

Der Antragsteller habe auch die nötige Eilbedürftigkeit dargelegt, so das VG weiter. Die Corona-Pandemie sei für Staat und Gesellschaft eine der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Das Handeln staatlicher Organe – insbesondere der Exekutive – in dieser Krise berühre grundlegende (rechts-)staatliche Prinzipien wie etwa die Gewaltenteilung und die Grundrechte. In einer solchen Situation komme der Frage nach der Funktionsfähigkeit der Justiz und einer möglichen Einflussnahme der Exekutive auf die Judikative und die Unabhängigkeit der Justiz besondere Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund der Dynamik der Pandemie und der Schnelllebigkeit des öffentlichen Diskurses könnten die vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen nach rechtskräftigem Abschluss eines Hauptsacheverfahrens nicht im Ansatz in gleichem Maße aufgeklärt werden. Die Angaben seien dann allenfalls von historischem Interesse.

Journalist muss sich nicht auf Ministeriumswebsite verweisen lassen

Der Antragsteller müsse sich auch nicht auf die Pressemitteilungen und die Informationen auf der Website des Justizministeriums verweisen lassen und darauf vertrauen, dass diese vollständig und sachlich richtig seien, so das Gericht weiter.

VG Hannover, Beschluss vom 12.05.2020 - 4 B 2369/20

Redaktion beck-aktuell, 13. Mai 2020.