beck-aktuell: In Zeiten des Fachkräftemangels: Muss man noch promovieren, um sich auf dem Bewerbermarkt besser zu positionieren?
Schäffer: Zum Glück sind junge Juristinnen und Juristen heutzutage in der komfortablen Situation, sich mit zwei Staatsexamina ganz wunderbare Jobs aussuchen zu können. Es gibt meiner Einschätzung nach nur noch wenige Berufe, bei denen eine Promotion erwartet wird. Von daher: Nein, man muss heute nicht mehr unbedingt promovieren. Aber man kann, wenn es einem Freude bereitet, sich persönlich fortzubilden und sehr intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen.
Ich persönlich habe mich für die Promotion entschieden, weil ich sehr gerne schreibe und ebenso gerne und viel lese. Die Veranlagung war bei mir schon immer da. Also habe ich die Promotion direkt nach dem zweiten Staatsexamen drangehängt.
beck-aktuell: Ihr Dissertationsthema lautet: "Harry Potter und die Gesetze der Macht – Wie das Strafprozessrecht als Machtinstrument im Kampf zwischen 'Gut' und 'Böse' missbraucht werden kann". Wie kommt man darauf?
Schäffer: Ja, das ist kein ganz klassisches Promotionsthema. Wie man unschwer erkennen kann, bin ich großer Harry-Potter-Fan und erstaunlicherweise gibt es sehr viele Rechtsthemen in den Büchern. Es gibt Strafprozesse, Justizskandale und spätestens ab "Harry Potter und der Orden des Phönix" wird die Zaubererwelt auch sehr ungerecht. Das heißt, wenn man sich mit Unrecht im Recht beschäftigen will, wird man in den Harry-Potter-Büchern schnell fündig.
beck-aktuell: Wie tritt man mit so einem Thema an eine Professorin oder einen Professor heran?
Schäffer: Vorsichtig. Das passende Fachgebiet für solche Themen heißt Recht und Literatur und kommt aus Amerika. Grundsätzlich kann man sich in literarischen Werken deutlich freier mit dem Recht und seiner gesellschaftlichen Bedeutung befassen. Jura funktioniert hier in Kombination mit anderen Disziplinen: Literatur kann Recht vermitteln, gesellschaftliche Fragestellungen aufwerfen, Regeln in Frage stellen und dazu beitragen, das Recht weiterzuentwickeln.
Aber auch in Recht und Literatur suchen sich Promovierende klassischerweise eher ein Werk aus, in dem es primär um Recht und Gerechtigkeit geht, etwa Kafkas Der Prozess. Damit gilt man dann auch als seriös. Ich habe es eher auf Umwegen versucht: Harry Potter in meiner Bewerbung zu erwähnen, habe ich mich noch gar nicht getraut. Stattdessen habe ich erstmal grundsätzlich bei Forschenden im Bereich "Law and Literature" angefragt und als positives Feedback zurückkam, habe ich vorsichtig den Namen Harry Potter fallen lassen. Dann wurde ich direkt zum Kennenlerngespräch eingeladen und musste meine spätere Doktormutter, Prof. Dr. Anja Schiemann, ad hoc davon überzeugen, was in Harry Potter alles steckt.
"Ich dachte: Das war's mit der Promotion"
beck-aktuell: Sie haben schließlich extern promoviert. Was heißt das?
Schäffer: Eine externe Promotion erfolgt ohne Anstellung am Lehrstuhl. Ich hatte mich zuerst in Tübingen mit kriminologischen Themen an den Lehrstühlen für Strafrecht und am Institut für Kriminologie beworben, habe aber keine Stelle bekommen. Das hat mich erst einmal sehr enttäuscht, weil ich dachte: Das war‘s mit der Promotion. Und dann habe ich herausgefunden, dass es noch die externe Promotion gibt.
Normalerweise ist man während der Dissertation am Lehrstuhl beschäftigt und finanziert sich dadurch die Promotion. Das hat den Vorteil, dass es Synergieeffekte gibt: Man hat täglich mit den Forschungsthemen des Lehrstuhls sowie mit den Professoren und anderen Wissenschaftlerinnen zu tun. Außerdem hat man größeren Zugriff auf Ressourcen. Das alles hat man als externe Promovierende nicht, dafür aber eine viel größere Freiheit.
beck-aktuell: "Harry Potter und die Gesetze der Macht". Das klingt zunächst mal kurios, tatsächlich haben Sie aber ernsthafte Rechtsvergleichung betrieben. Welche Beispiele in Harry Potter haben Sie sich angeschaut?
Schäffer: Ich habe mich zum Beispiel mit Harrys disziplinarischer Anhörung beschäftigt, die – wenn man sich das genau anschaut – eigentlich ein Strafprozess ist. Es gibt eine Anklageschrift, Zeugenaussagen und über die Schuldfrage wird per Handzeichen abgestimmt.
Dann habe ich mir noch die Figur Sirius Black angeschaut, dessen Fall im Grunde ein großer Justizskandal ist: Black wurde aufgrund einer Indizienlage in ein Zauberergefängnis verbracht und hätte dort – ohne einen Strafprozess – lebenslang wegen mehrfachen Mordes inhaftiert bleiben müssen, obwohl er unschuldig war. Ihm gelang die Flucht, aber er konnte nie rehabilitiert werden und verbrachte den Rest seines Lebens versteckt, was eigentlich tragisch ist.
Auch der Fall des Wildhüters Hagrid ist interessant: Als Hagrid noch ein minderjähriger Schüler war, wurde er nur auf Grundlage einer Falschaussage von der Schule verwiesen und sein Zauberstab wurde zerbrochen. Dabei war Hagrid schon allein wegen seiner Eigenschaft als Halbriese verdächtig. Es steckt also ein zutiefst vorurteilbehaftetes Weltbild hinter dieser Anklage und diese rassistischen Vorurteile durchdringen auch das Justizsystem.
beck-aktuell: Sie haben in Ihrer Promotion auch Vergleiche zum Nationalsozialismus gezogen. Was ist Ihnen aufgefallen?
Schäffer: In den Harry-Potter-Büchern gibt es sehr viele Parallelen zum Nationalsozialismus. Das ist einer der wenigen Vergleiche, die bereits in der Wissenschaft etabliert wurden – meistens in literaturwissenschaftlichen Arbeiten aus dem angloamerikanischen Raum. Die Machtergreifung Lord Voldemorts – des Haupt-Antagonisten von Harry Potter – habe ich zum Beispiel mit der Machtergreifung Adolf Hitlers verglichen. Eine meiner Thesen ist, dass es Voldemort nur so einfach gelingen konnte, die Macht an sich zu reißen, weil dem magischen Staat jeder Schutzmechanismus gefehlt hat. Es gibt dort z.B. kein Parlament, das Gesetze macht. Und auch der Zaubergamot – also das höchste Gericht – ist nicht unabhängig vom Zaubereiministerium.
Voldemort gelingt es, eine zentrale Figur mit dem willenssteuernden Imperius-Fluch unter seinen Befehl zu stellen: den Zaubereiminister. Daran sieht man, wie sehr die Macht in der Zaubererwelt bei diesem einen Minister konzentriert ist, der praktisch alles entscheidet. Er steht dem Zaubergamot vor, er übt Druck auf die Presse aus und weil Lord Voldemort diesen Minister kontrolliert, hat er in der Zaubererwelt das Sagen.
beck-aktuell: Das Thema ist auch heute noch relevant. Rechtsstaatliche Grundprinzipien, aber auch demokratische Werte müssen aktuell wieder stärker verteidigt werden.
Schäffer: Das stimmt. Ich habe aber in meiner Arbeit festgestellt, dass das Recht in den Harry-Potter-Büchern dem unter den Nationalsozialisten deutlich ähnlicher ist als unserem heutigen Recht. Auch als Reaktion auf den Nationalsozialismus kennt unsere Rechtsordnung mehr Schutzmechanismen. Wir haben das Parteiensystem, den Parlamentsvorbehalt, wir haben Gewaltenteilung und die Freiheit der Presse. Und auch im Strafrecht haben wir Mechanismen, die die Rechte der Beschuldigten und Angeklagten schützen. Vor rassistischen Vorurteilen, vor Vorverurteilung oder vor einer Inhaftierung ohne einen Strafprozess. Das alles fehlt in der Zaubererwelt.
Die vergangenen Jahre haben aber auch gezeigt, dass wir vorsichtig sein müssen. Dass wir unsere Demokratie mit allen rechtsstaatlichen Grundsätzen verteidigen müssen. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Und die Beteiligung der Justiz am NS-Unrecht sollte auch im Jurastudium unbedingt heute noch (und wieder) gelehrt werden.
"Ich habe ein Jahr auf meine Gutachten gewartet."
beck-aktuell: Nun sind sie schon sehr weit im Promotionsprozess, Ihre Dissertation wird bald veröffentlicht. Es war aber auch ein langer Weg mit vielen Hürden. Wie haben sie den wahrgenommen?
Schäffer: Zuerst waren es erstaunlich viele Formalia, bevor das Recherchieren und Schreiben losgeht. Weil ich extern promoviert habe, war der ganze Prozess bei mir auch oft einsam. Ich bin morgens aufgestanden, hab mich an den Schreibtisch gesetzt, ein paar Seiten zu Papier gebracht und bin abends wieder ins Bett gegangen. Natürlich kommt da irgendwann auch mal der Punkt, an dem man nicht mehr so motiviert ist und sich fragt: Wofür mache ich das eigentlich? Hier hat mir mein Herzensthema aber dabei geholfen, motiviert zu bleiben. Ich kann deswegen allen Promovierenden nur raten, sich ein Thema auszusuchen, mit dem sie sich wirklich identifizieren können – und das über Jahre hinweg. Im Nachhinein hätte ich mich gerne früher besser mit anderen Promovierenden vernetzt. Zum Glück habe ich aber nebenher wenigstens noch als Referentin am Landtag von Baden-Württemberg gearbeitet und so auch mal was anderes gesehen.
Doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man schon viel geschrieben hat, so viel Zeit und Energie in die Promotion gesteckt hat, dass man auch wirklich fertig werden will. Denn zwei Jahre Arbeit einfach in den Papierkorb zu stecken, das tut im Herzen richtig weh.
beck-aktuell: Und wenn man dann glaubt, mit der Promotion fertig zu sein?
Schäffer: Das glaubt man ungefähr zehn Mal und dann fällt einem noch etwas ein. Schließlich kommt der Tag, an dem man die Arbeit tatsächlich abgibt und dann geht die nervige Zeit des Wartens los. Bis ich beide Gutachten zurückhatte, hat es bei mir ein Jahr gedauert.
Wenn man die Bewertung hat, muss man die Arbeit noch verteidigen. Da habe ich mich nochmal gefühlt wie bei der mündlichen Prüfung im Staatsexamen, nur viel schlimmer. Ich bin fürchterlich nervös geworden. Im Nachhinein war das Quatsch, denn das Tolle an der Dissertation ist ja: Man ist selbst die absolute Expertin für das eigene Thema. Es gibt niemanden, der es so gut kennt, wie man selbst. Rückblickend hätte ich mir da nicht so einen Stress machen sollen.
beck-aktuell: Wie haben Sie den Druck finanziert?
Schäffer: Ich habe mich schlicht geweigert, den Druck aus eigener Tasche zu bezahlen. Es gibt eine begrenzte Anzahl von Verlagen, die juristische Dissertationen veröffentlichen. Gerade bei den größeren Verlagen kostet das richtig viel Geld. Man muss mit 10 bis 15 Cent pro Seite rechnen, also im Ergebnis mehreren tausend Euro.
Deshalb habe ich nach Stiftungen gesucht, die Druckkostenzuschüsse vergeben. Solche Stiftungen sind oft themenbezogen, viele bezuschussen zum Beispiel wirtschaftliche Themen, es gibt aber auch Stiftungen, die beispielsweise explizit Frauen fördern. Bei den Stiftungen bewirbt man sich mit den Gutachten, die ziemlich gut sein müssen, damit man eine Chance hat. Ich habe knapp 20 Absagen bekommen und schließlich eine Zusage. Falls das nicht klappt, hat man heute aber alternativ zumindest auch die Möglichkeit, die Arbeit online zu veröffentlichen.
beck-aktuell: Würden Sie sich in der Rückschau wieder für die Promotion entscheiden?
Schäffer: Ja, absolut. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht und ich fand es auch schön, mir zum ersten Mal in der juristischen Ausbildung wirklich eigene Gedanken zu machen: Keine auswendiggelernte Definition oder fünf vorgefertigten Meinungen zu einer strittigen Frage vorgesetzt zu bekommen, sondern selbst über ein Thema nachzudenken und zu forschen. Das will ich nicht mehr missen.
beck-aktuell: Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Schäffer: Ich danke auch.
Jannina Schäffer promovierte berufsbegleitend an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) und arbeitete währenddessen als persönliche Referentin am Landtag von Baden-Württemberg. Sie ist Lehrbeauftragte für Strafrecht an der FernUni Hagen und Gründerin sowie Chefredakteurin des Online Magazins "JURios". Heute ist sie für ein juristisches Repetitorium tätig, verfasst Zeitschriftenbeiträge und ist Herausgeberin des im UTB-Verlag erschienen Ratgebers "Survival Guide Jura". Ihre Dissertation erscheint am 15. Juli im Verlag Fachmedien Recht und Wirtschaft.
Die Fragen stellte Denise Dahmen.
Transparenzhinweis: Jannina Schäffer schreibt regelmäßig Gastbeiträge für beck-aktuell.