Hybride Angriffe: "Die Abwehr von Drohnen ist eindeutig Aufgabe der Polizei"
© von-notz.de

Drohnen bedrohen nicht nur die Ukraine im Krieg mit Russland, auch in Deutschland häufen sich irreguläre Überflüge. Warum die Bundeswehr sie trotzdem nicht abschießen sollte und wie man den Zuständigkeitsdschungel behebt, erklärt der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz im Gespräch.

beck-aktuell: Herr Dr. von Notz, die jüngsten Drohnen-Vorfälle in Schleswig-Holstein und Bayern, aber auch im europäischen Ausland sorgen für große Verunsicherung. Niemand scheint zu wissen, wer die Fluggeräte vom Himmel holen darf. Macht Ihnen das Sorgen?

Konstantin von Notz: Die Vielstimmigkeit der Bundesregierung bereitet mir tatsächlich Sorgen, vor allem weil das Problem seit Jahren bekannt ist. Unsere Verfassung gibt jedoch sehr klare Antworten: Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr liegt nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG beim Bund. Das BVerfG hat 2012 bestätigt, dass daraus eine sogenannte Annexkompetenz folgt – der Bund ist für die Regelung und Gefahrenabwehr im Bereich Luftverkehr zuständig.

beck-aktuell: Es gibt mehrere Gesetzesvorhaben, wie die Reform des Bundespolizeigesetzes und des Luftsicherheitsgesetzes. Was schlagen Sie konkret vor: Wer soll das Recht haben, Drohnen abzuschießen?

von Notz: Die Entscheidung des BVerfG ist eindeutig: Die Gesetzgebungskompetenz liegt allein beim Bund, wenn der Gesetzgeber das so will. Für den Vollzug wäre die Bundespolizei prädestiniert. Sie ist aus dem Bundesgrenzschutz hervorgegangen und kann diese Aufgaben übernehmen. Nach Art. 87d GG liegt das auch im Bereich der Bundesverwaltung. Konkret heißt das: Die Abwehr solcher Drohnen kann und sollte durch eine Bundesbehörde wie die Bundespolizei erfolgen.

"Fixierung auf die Bundeswehr ist rechtlich problematisch"

beck-aktuell: Es gibt Forderungen nach einem Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Wäre es nicht sinnvoll, der Bundeswehr diese Aufgabe zu übertragen, zumal sie über entsprechendes Gerät verfügt?

von Notz: Dagegen sprechen vor allem rechtliche Gründe. Die Bundeswehr kann zwar über eigenem Gelände Drohnen bekämpfen, aber dies ist sehr begrenzt. Ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb dieses Rahmens bedarf laut Grundgesetz eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls. Das erfordert eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat – und wie schwierig diese Mehrheiten heutzutage zu organisieren sind, sehen wir ja. Die Bundeswehr hierfür einzusetzen, ist also rechtlich schwierig und in der aktuellen Lage auch keine Hilfe. Denn praktisch ist der Einsatz etwa von Gepard-Panzern oder Flugabwehrraketen gegen Drohnen in deutschen Städten kaum vorstellbar.

beck-aktuell: Wir erleben allerdings hybride Angriffe durch Russland, die das Grundgesetz so nicht kennt. Ist es nicht zu kleinteilig, mangels Spannungs- oder Verteidigungsfalls darauf zu beharren, dass die Bundespolizei zuständig sei?

von Notz: Wir brauchen schnelle und rechtssichere Lösungen – und die finden wir im Grundgesetz sowie in den einschlägigen Entscheidungen des BVerfG. Die Abwehr unbewaffneter Drohnen, egal wie groß sie sind und ob sie für Spionage oder Verunsicherung eingesetzt werden, ist eine typische Aufgabe der Gefahrenabwehr. Dafür ist eindeutig die Polizei zuständig. Die Bundespolizei ist dafür bestens geeignet. Rechtlich ist das nicht nur zulässig, sondern auch der einzig gangbare Weg.

"Die Bundespolizei ist prädestiniert – aber wir brauchen nationale und europäische Lösungen"

beck-aktuell: Wie müsste die Zuständigkeit geregelt werden, damit schnell reagiert werden kann? Besteht nicht die Gefahr langer Abstimmungsprozesse, wenn eine Drohne quer durch Deutschland fliegt?

von Notz: Um genau das zu verhindern, muss man das jetzt eindeutig regeln: Der Bund ist zuständig, und die Bundespolizei wäre die richtige Behörde. Praktisch aber braucht es ein Detektionssystem. Angesichts der vielen privaten Drohnen ist das technisch anspruchsvoll. Im Ernstfall benötigen wir ein verlässliches Lagebild und die schnelle Identifizierung von Gefahren. Die Industrie hat hierfür Lösungen, aber es fehlt an klaren Zuständigkeiten. Wir sollten die Regelung zudem europaweit abstimmen, da Drohnen Landesgrenzen zügig überschreiten können. Nur kompatible, miteinander vernetzte Systeme schaffen Sicherheit im europäischen Luftraum.

beck-aktuell: Kann das neue Bundespolizeigesetz, das nun im Kabinett beraten wird, diese Anforderungen erfüllen?

von Notz: Das wird nicht reichen. Es ist notwendig, die Kompetenzen für die Drohnenabwehr beim Bund zu bündeln und im Gesetz eindeutig festzuschreiben. Die Länder können gerne flankierend unterstützen, aber die Leitung und Verantwortung muss klar beim Bund liegen. Nur so vermeiden wir eine föderale Kakophonie, wie sie derzeit leider zu beobachten ist.

"Politischer Streit darf die Sicherheit nicht gefährden"

beck-aktuell: Wie realistisch ist eine Einigung zwischen Bund und Ländern? Würde Bayern wirklich Kompetenzen an den Bund abgeben?

von Notz: Ich habe da auch meine Zweifel, aber wir dürfen uns davon nicht entmutigen lassen. Die Bedrohungen durch hybride Angriffe sind zu ernst, als dass wir uns politische Eitelkeiten leisten könnten. Alle Verantwortlichen müssen jetzt an praktikablen Lösungen arbeiten, die über Landesinteressen hinausgehen. Das Drohnenproblem ist nicht neu, genauso wenig wie die russischen Provokationen. Wir hätten schon vor Jahren reagieren müssen – aber jetzt ist es höchste Zeit für einen bundesgesetzlichen Rahmen.

beck-aktuell: Wo sehen Sie Vorbilder für technische Lösungen?

von Notz: Wir können viel von Partnern wie der Ukraine oder Israel lernen. Auch unsere eigene Industrie ist in der Lage, leistungsfähige Systeme zu liefern. Aber erst mit einer klaren bundesrechtlichen Regelung kann die Technik effektiv eingesetzt werden und die Bundespolizei schnell reagieren.

"Wir sind nah am Spannungsfall, aber sollten uns nicht verrennen"

beck-aktuell: Sie haben vorhin den Spannungs- und Verteidigungsfall erwähnt. Wie nah ist Deutschland aus Ihrer Sicht juristisch schon am Spannungsfall?

von Notz: Wir sind schon relativ nah dran, das merken wir alle. Es gibt Stimmen, die diskutieren offen, ob wir den Spannungsfall feststellen sollten. Aber selbst einfache Entscheidungen wie die Wahl von Verfassungsrichtern zeigen, wie schwierig Zweidrittelmehrheiten für die Bundesregierung zu erreichen sind. Deshalb sollte man jetzt das Naheliegende tun, das juristisch längst geklärt ist. Eine rechtssichere Lösung für die Drohnenabwehr auf Basis bestehender Urteilslage ist möglich. Über alles Weitere kann man sprechen, wenn die aktuellen Herausforderungen gemeistert sind.

beck-aktuell: Welche weiteren Gefahren sehen Sie, jenseits der Drohnen?

von Notz: Wir haben eine Vielzahl von Risiken vor uns: Desinformationskampagnen, Sabotageakte, Angriffe auf Verkehrsinfrastruktur und kritische Versorgungseinrichtungen wie Strom oder Wasser. Die deutschen Nachrichtendienste warnen vor immer mehr Fällen. Die Bundesregierung muss diese Bedrohungen klar benennen und endlich entschlossen handeln. Schon seit Wochen werben wir deshalb für eine echte Sicherheitsoffensive. Die innenpolitische Zeitenwende steht noch aus – und sie ist dringend nötig, um das Sicherheitsversprechen gegenüber der Bevölkerung einzulösen. 

beck-aktuell: Herr von Notz, vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Konstantin von Notz ist Jurist und stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Er war von 2022 bis 2025 Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes. Seit der aktuellen Wahlperiode ist er dessen stellvertretender Vorsitzender. 

Die Fragen stellte Dr. Hendrik Wieduwilt.

Das Gespräch hören Sie auch in der aktuellen Folge 69 von Gerechtigkeit & Loseblatt, dem Podcast von NJW und beck-aktuell.

Redaktion beck-aktuell, Dr. Hendrik Wieduwilt, 9. Oktober 2025.

Mehr zum Thema