Für das "Rechtsverständnis" des Diktators war sein Umgang mit dem Verbrechen der "Autofallen" in jeder Hinsicht beispielhaft. In seinen (quellenkritisch mit Vorsicht zu nutzenden) Tischgesprächen führte Adolf Hitler im Mai 1942 aus, dass immer auf die Tat sofort die Strafe folgen müsse, wenn die Sache wirken solle. Leider, so Hitler, sei man im Ersten Weltkrieg erst 1918 darauf gekommen, als es zu spät gewesen sei. Er dagegen habe die absolute Strafe sofort bei Kriegsbeginn für besonders verwerfliche Straftaten eingeführt, da er mit den absoluten Strafen bei der Bekämpfung der Autofallen schon im Frieden die besten Erfahrungen gemacht habe.
"Autofallen", das sind Überfälle auf Kraftfahrerinnen und -fahrer, die von den Tätern zunächst angehalten werden, indem sie Hindernisse bauen. Drahtseile oder Baumstämme blockieren die Straße, die Opfer haben keine andere Wahl als zu stoppen. Die Mutter der Gesetze gegen dieses Delikt war das "Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen" vom 22. Juni 1938. Es entstand auf Anweisung von Hitler persönlich, diente dazu, nachträglich die Todesstrafe für einen längst Angeklagten zu erreichen und erfüllte auch im Übrigen alle Merkmale eines Unrechtsgesetzes.
Und doch stellt § 316a StGB noch heute den "Räuberischen Angriff auf Kraftfahrer" unter Strafe. Dabei galt das Gesetz schon den Alliierten als nationalsozialistisches Unrecht, im Juni 1947 wurde der Tatbestand aufgehoben. Doch Anfang 1953 fand die Regelung als § 316a wieder ihren Weg ins bundesrepublikanische StGB. Damals wurde die Norm mit schweren Verbrechen auf Autobahnen, aber auch mit der Häufung von Überfällen auf Taxifahrer begründet, die ein kriminalpolitisches Bedürfnis rechtfertigten. Nun soll der Straftatbestand des "Räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer" erneut aufgehoben werden. Ein Blick zurück zeigt, dass es höchste Zeit ist.
2023: Das StGB modernisieren
Im November 2023 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz "Eckpunkte zu einer Modernisierung des Strafrechts". Der Koalitionsvertrag enthalte den Auftrag, das Strafgesetzbuch systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche zu überprüfen. Dabei solle ein Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz gelegt werden. Dieser Auftrag ist Ausdruck einer liberalen, evidenzbasierten Strafrechtspolitik, die das Strafrecht als Ultima Ratio begreift.
Die Vorschrift des § 316a StGB sei ein Produkt nationalsozialistischer Strafrechtswissenschaft und gehe auf das Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22. Juni 1938 zurück, heißt es im Entwurf. Die hohe Strafandrohung von mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe, die ohnehin eine restriktive Auslegung der Norm erfordere, der historische Hintergrund und die systematische Einordnung im Achtundzwanzigsten Abschnitt des StGB (Gemeingefährliche Straftaten) hätten schon seit Längerem Zweifel an der kriminalpolitischen Legitimation des Tatbestandes geweckt. Das StGB biete mit den Tatbeständen von Raub und schwerem Raub, dem Raub mit Todesfolge, räuberischem Diebstahl und räuberischer Erpressung ausreichende Möglichkeiten, um die von § 316a StGB erfassten Sachverhalte angemessen zu ahnden.
1935: Die Brüder Max und Walter Götze führten das Nazi-Regime vor
Der Tatbestand des Räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer war eine "Lex Götze". Er geht zurück auf die Gebrüder Max und Walter Götze, die ihre "Karriere" im Deutschland der 1920-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begannen. Sie demontierten zunächst Kupferkabel der Reichspost in Berlin und Umgebung. Nach ihrer dafür verbüßten Zuchthausstrafe verlegten sich die Brüder auf das "Ausrauben" von Liebespaaren, die den Grunewald zum automobilen Tête-à-Tête nutzten. Die Brüder schlichen sich an die Autos, rissen die Fahrertür auf, blendeten ihre Opfer mit einer Taschenlampe und forderten unter Androhung von Waffengewalt Geld und Wertgegenstände.
1935 nahmen die Überfälle derart zu, dass Reichspropaganda-Minister Joseph Goebbels, der die Medien kontrollierte, Berichte darüber in Zeitungen verbot, um den Ruf Berlins ein Jahr vor der Olympiade nicht zu gefährden. Nachdem es sogar zu Schusswechseln mit den Opfern kam, bildete die Polizei die Soko "Grunewald" und setzte dort auch Lockvögel ein. Als es den Götzes im Grunewald zu heiß wurde, wechselten sie zum Müggelsee sowie in den Wald zwischen Grünau und Schmöckwitz, um dort die Zweisamkeit von Berlinerinnen und Berlinern zu stören. Des Weiteren diversifizierten sie ihre Einnahmequellen durch Überfälle auf Tankstellen und Kassen von S-Bahnhöfen.
Im Sommer 1935 begannen die Brüder, mit Ästen und Holzbohlen, später mit Drahtseilen und gefällten Bäumen, ihre Opfer in ihren Autos zum Halten zu zwingen und dann auszurauben. Diese neue Art der Wegelagerei fand 1936 während der Olympiade natürlich die Aufmerksamkeit der internationalen Presse, die Goebbels nicht zensieren konnte. Die Autobahnen des "Dritten Reiches" seien nicht nur die schönsten, sondern auch die unsichersten, hieß es damals spöttisch in ausländischen Medien. Opfer der beiden Götzes wurde auf der Fernstraße Berlin-Küstrin einmal auch ein Auto voller NS-Funktionäre. Die händigten, anstatt Widerstand zu leisten, gleich artig ihre Pretiosen aus. Ein SS-Offizier soll deshalb aus der SS ausgeschlossen worden sein. Die Polizei gründete jetzt eine Soko "Autofallen" - wieder erfolglos. Man ging sogar von zwei verschiedenen Räuberbanden aus.
Erst als die Götzes ihre Methoden wechseln und anstelle eines Baumstammes einen angeblich gefüllten Geldbeutel auf die Straßen legen wollten, um die mittlerweile gewarnten Autofahrer zum Halten zu bringen, erschoss Walter Götze bei einer Routinekontrolle im Wald zwischen Grünau und Schmöckwitz einen Schutzpolizisten. Ein weiterer Mord mit derselben Waffe im Grunewald führte die Mordkommission auf die Spur der Brüder. Die Ermittler erhielten schließlich von einer Gastwirtin den entscheidenden Tipp. All dies beschreibt Regina Stürickow in ihrem Buch "Kriminalfälle im Dritten Reich".
Der Prozess
Im Sommer 1938 begann der Prozess vor dem Sondergericht II beim Landgericht Berlin. Den Brüdern wurden 157 Raubtaten mit rund 13.000 Mark Beute, 16 schwere Körperverletzungen und zwei Morde zur Last gelegt. Die beiden Morde sowie mehrere Mordversuche konnten Walter Götze nachgewiesen werden.
Allerdings: Geschossen hatte nach den Aussagen der Brüder immer nur Walter. Zwar hatte sich Max zusammen mit seinem Bruder u.a. eines "Verbrechens nach dem Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens" vom 13. Oktober 1933 schuldig gemacht, als er bei einem Überfall auf die Stationskasse Hirschgarten einen Beamten angegriffen hatte, der mit polizeilichen Funktionen beauftragt war und folglich durch dieses Gesetz geschützt wurde. Doch nach diesem Gesetz hätte das Gericht statt der Todesstrafe auch die Zuchthausstrafe verhängen können. Und so war ein Todesurteil gegen Max Götze, einen der mutmaßlichen Täter, die die Nazis über Jahre vorgeführt hatten, nicht sicher.
Lex Götze: Unrechtsgesetzgebung im Expressverfahren
Wie Hitler nun höchstpersönlich einschritt, zeichnet Lothar Gruchmann in seinem Werk "Justiz im Dritten Reich" nach. Vier Tage vor Abschluss der Hauptverhandlung am 20. Juni 1938 ließ Hitler dem Justizminister Franz Gürtner mitteilen, "dass es seiner Erwartung entspreche, wenn in dem Prozess gegen beide Beschuldigte auf die Todesstrafe erkannt" werde.
Es folgten vier Tage Expressgesetzgebung, der Reichsjustizminister lieferte. Ohne Einhaltung des Dienstweges über die Reichskanzlei legte Gürtner schon einen Tag später dem in Berchtesgaden weilenden Hitler die Rechtslage dar. Er schlug vor, eine "Vorschrift gegen Straßenraub mittels Autofallen schon jetzt, und zwar mit rückwirkender Kraft, in Kraft zu setzen", denn gerade das Stellen von Autofallen sei "der Kern der terroristischen Akte, durch die sie [die beiden Täter] die Todesstrafe verdient" hätten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf fügte Gürtner gleich bei.
Auf Hitlers Anordnung wurde das Gesetzgebungsverfahren ohne Umlaufverfahren einen Tag später abgeschlossen, das Gesetz unterzeichnet und wiederum einen Tag später im Reichsgesetzblatt verkündet. Das Gesetz war ein so offensichtliches Einzelfallgesetz, dass eine Gesetzesbegründung ebenfalls unterblieb. Erst am Tage nach der Verkündung informierte Gürtner den Chef der Reichskanzlei und die Ministerien über die neue Regelung. Er begründete sein Handeln damit, dass "die Sicherung und das Gerechtigkeitsempfinden des Volkes" die Todesstrafe gegen Max Götze erfordert hätten. Das nur von Hitler und Gürtner unterzeichnete Gesetz bestimmte: "Wer in räuberischer Absicht eine Autofalle stellt, wird mit dem Tode bestraft."
Um das Gesetz sowohl im Deutschen Reich als auch im annektierten Österreich unmittelbar wirksam werden zu lassen, wurde es nicht als StGB-Novelle, sondern als Sondergesetz erlassen, um Rechtsunsicherheiten im "Großdeutschen Reich" in Bezug auf die Geltung des StGB in Österreich zu vermeiden.
Nationalsozialistisches Unrechtsgesetz
Das Sondergesetz trat rückwirkend zum 1. Januar 1936 in Kraft und deckte damit zeitlich einen Großteil der Verbrechensserie der Gebrüder Götze ab. So ermöglichte es am 24. Juni 1938 die Verurteilung beider Täter durch das Sondergericht II beim Landgericht Berlin zum Tode, u.a. wegen gemeinschaftlicher Begehung des Autofallenstellens in räuberischer Absicht in acht Fällen. Nur sechs Tage später, am 30. Juni 1938, wurde das Urteil in Plötzensee vollstreckt. Walter und Max Götze starben durch das Fallbeil.
Die Anordnung der Rückwirkung, die uferlose Vorverlagerung der Strafbarkeit (exemplarisch: RG, Urt. v. 3.1.1939 – 1 D 1048/38) und der Maßnahmecharakter des Einzelfallgesetzes machen das Autofallengesetz zu einem nationalsozialistischen Unrechtsgesetz. Es war das letzte vor dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete Strafgesetz mit der Androhung der Todesstrafe. War diese Rechtsfolge bis 1933 außer für Mord nur noch für zwei weitere Delikte vorgesehen gewesen, so stieg die Zahl der Straftaten, die mit dem Tode bedroht waren, im Jahr 1939 auf etwa 25 an. In den Jahren 1943/44 waren es nicht weniger als 46 Tatbestände. Wird dieser Tatbestand nun zum zweiten und hoffentlich letzten Mal aufgehoben?
Dr. Sebastian Felz ist Jurist und Mitglied des Vorstandes des "Forum Justizgeschichte".