In Deutschland viel Kritik an vorgeschlagener Patentfreigabe für Corona-Impfstoffe

Deutsche Pharma-Firmen lehnen es ab, Patente auf Corona-Impfstoffe vorübergehend freizugeben. Dies war zuletzt von der US-Regierung vorgeschlagen worden, damit Hersteller in aller Welt Impfstoffe produzieren könnten, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. Auch die Bundesregierung sieht diesen Vorschlag eher kritisch und bevorzugt eine koordinierte und damit möglichst schnelle Verteilung von Impfstoffen weltweit.

Patente nicht für Impfstoff-Mangel verantwortlich

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller und der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech zeigten sich skeptisch. Zur Überwindung der Pandemie bringe eine Patentfreigabe nichts. Niemand könne in weniger als sechs Monaten eine Produktion hochziehen. "Und im nächsten Jahr würden die jetzigen Hersteller schon nach heutigem Planungsstand mehr Impfstoff-Dosen produzieren, als die Weltbevölkerung benötigt", sagte der Vizepräsident des Verbandes Han Steutel. 

Biontech: Hohe Anforderungen an Personal und Rohmaterialien

Auch der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech hält nichts von einer Patentfreigabe. "Der Herstellungsprozess von mRNA ist ein komplexer Prozess, der über mehr als ein Jahrzehnt entwickelt wurde", teilte das Unternehmen mit. Es brauche erfahrenes Personal und Rohmaterialien, die beschafft und für die Verwendung qualifiziert werden müssten. Wenn eine dieser Anforderungen nicht erfüllt sei, könnten Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs weder vom Hersteller noch vom Entwickler gewährleistet werden. "Dies könnte die Gesundheit der Geimpften gefährden." Zudem bestehe die Gefahr, dass einige der begrenzten und wichtigen Rohstoffe nicht effizient genutzt würden, wodurch die Menge der Impfstoffdosen, die in "etablierten Produktionsnetzwerken" hergestellt würden, reduziert werde, argumentierte Biontech. Patente seien nicht der begrenzende Faktor für die Produktion und Versorgung mit Impfstoff.

Bundesregierung steht Patent-Aussetzung skeptisch gegenüber

Auch die Bundesregierung steht einer Freigabe von Impfstoff-Patenten skeptisch gegenüber. "Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben", sagte eine Regierungssprecherin der Süddeutschen Zeitung. Der limitierende Faktor bei der Herstellung von Impfstoffen seien die Produktionskapazitäten und die hohen Qualitätsstandards, nicht die Patente an sich. Die Bundesregierung arbeite in vielerlei Hinsicht daran, "wie wir innerhalb Deutschlands und innerhalb der Europäischen Union, aber auch weltweit die Kapazitäten für die Produktion verbessern können und dies tun auch die betroffenen Unternehmen", so die Sprecherin.

Diskussion nach Vorschlag der US-Regierung

Die US-Regierung hatte vorgeschlagen, dass der Patentschutz von Pharmafirmen auf ihre Corona-Impfstoffe vorübergehend entfallen soll. Hersteller in aller Welt könnten dann die Impfstoffe produzieren, ohne Lizenzgebühren an die Unternehmen zu zahlen, die die Mittel entwickelt haben. Die Pharmafirmen lehnen den Vorschlag ab. Auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kritisierte den Vorstoß aus Washington. "Nur ein Patent freizugeben, sorgt noch für keine einzige zusätzliche Impfdose", sagte er dem Spiegel. "Das Patent allein reicht nicht. Man muss auch wissen, wie produziert werden soll." Die Grünen hingegen begrüßten den Vorstoß. "Joe Biden hat den Anfang gemacht, jetzt müssen sich die Bundesregierung und die EU-Kommission auf der nächsten Sitzung der Welthandelsorganisation hinter die Schwellen- und Entwicklungsländer stellen und die Patente für Diagnostika, Medikamente und weitere Covid-19-Technologie aussetzen", sagte die stellvertretende Grünen-Bundesvorsitzende, Jamila Schäfer, der Augsburger Allgemeinen.

Spahn und Kekulé: Weltweite Verteilung muss das Ziel sein

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) blieb zunächst vage. "Die ganze Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltige Weg aus dieser Pandemie", sagte er. Entscheidend seien vor allem der weitere Ausbau von Produktionsstätten und mehr Exporte aus Ländern, in denen produziert werde. Dagegen zeigte sich Außenminister Heiko Maas offener für eine Aufweichung des Patentschutzes. "Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffen versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen", sagte der SPD-Politiker. Deutliche Kritik kam vom Virologen Alexander Kekulé: "Wenn man das Patent freigibt, werden sich einfach noch mehr Hersteller darum prügeln", sagte er im MDR-Podcast. Stattdessen forderte er eine bessere Koordination der Impfstoffproduktion. Denkbar sei zum Beispiel eine Organisation unter dem Dach der Vereinten Nationen.

FDP: Patentfreigabe schwächt künftige Impfstoff-Forschung

FDP-Chef Christian Lindner hat zu Vorsicht bei der Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe geraten. "Das beseitigt die weltweite Knappheit an Impfstoff nicht - und schon gar nicht kurzfristig", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Eher gelte es, alle Kraft in die Produktion zu stecken, denn es fehle an Rohstoffen, Fachpersonal, Produktionsstätten. "Wer in den Schutz geistigen Eigentums eingreift, der schwächt die Entwicklung künftiger, modifizierter Impfstoffe und Medikamente. Das wäre das Ende von Startups wie Biontech", warnte Lindner zudem. Unabhängig davon sollte nach seiner Einschätzung das Gespräch mit den Herstellern gesucht werden, zum Beispiel um eine Lizenzproduktion zu erleichtern. Im Zweifel werde auch mehr Geld in die Impfstoffallianz Covax fließen müssen. "Es liegt auch in unserem Interesse, dass die Pandemie weltweit unter Kontrolle gebracht wird", so Lindner.

Redaktion beck-aktuell, 7. Mai 2021 (dpa).