NS-Kriegsverbrechen: Deutschland verklagt Italien wegen Entschädigungsforderungen

Deutschland hat vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag Klage gegen Italien eingereicht, weil Italien immer wieder Klagen von Angehörigen der Opfer von NS-Kriegsverbrechen auf Einzel-Wiedergutmachung zulässt. Der IGH hatte dies schon 2012 wegen Verletzung der Staatenimmunität für unzulässig erklärt. Grund der Klage ist auch die drohende Zwangsversteigerung deutscher Immobilien wie des Goethe-Instituts in Rom.

Deutschland will Zwangsversteigerung deutscher Immobilien in Italien verhindern

Im internationalen Geschäft ist es äußerst ungewöhnlich, dass zwei so enge Partnerländer eine solche Auseinandersetzung vor Gericht austragen. Deutschland hat sich dazu auch entschlossen, weil die Zwangsversteigerung von Immobilien droht. Die Bundesrepublik wurde in Italien wegen der deutschen Nazi-Geschichte mehrfach zu Einzel-Wiedergutmachungen verurteilt. Sie verweigert die Zahlungen jedoch mit Verweis auf ihre vom IGH bestätigte Rechtsposition. Das Geld könnte nun durch Zwangsversteigerungen hereingeholt werden. Die italienische Justiz wird darüber möglicherweise schon am 25.05.2022 entscheiden, wie aus der deutschen Klageschrift für das Verfahren beim IGH hervorgeht. Um dies zu verhindern, hat Deutschland vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Betroffen sind der Klageschrift zufolge die Gebäude des Goethe-Instituts, der Deutschen Schule, des Deutschen Archäologischen Instituts und des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

Historikerkommission: 15.000 zivile NS-Opfer in Italien

Aus der deutschen Botschaft in Rom war am Wochenende zu hören, man sei zuversichtlich, dass die Fragen gelöst würden. "Und wir sind uns mit unseren italienischen Freunden vollkommen einig, dass die deutsch-italienische Zusammenarbeit genau so eng und vertrauensvoll weitergehen wird wie bisher." Die deutsche Wehrmacht und die SS hatten im Zweiten Weltkrieg bei ihrem Rückzug aus Italien an vielen Orten schlimm gewütet. 2012 kam eine deutsch-italienische Historikerkommission zu der Einschätzung, dass damals bis zu 15.000 Zivilisten ermordet wurden. Die Liste ist lang und schrecklich: So richtete im Herbst 1944 die besonders brutale 16. Panzer-Grenadierdivision "Reichsführer SS" rund um Marzabotta bei Bologna ein Massaker an der Zivilbevölkerung an. Dort wurden 771 Menschen ermordet. Zuvor hatte dieselbe Einheit im Dorf Fivizzano in der Toskana etwa 400 Menschen getötet. In den ardeatinischen Höhlen südlich von Rom richteten Soldaten der SS 335 Männer und Jungen hin - das jüngste Opfer war 15 Jahre alt. Unter den Opfern waren auch 75 jüdische Gefangene.

IGH 2012: Keine individuellen Entschädigungsklagen gegen Deutschland

In dem kleinen Örtchen Civitella in der Toskana töteten Soldaten der Fallschirmjäger-Panzerdivision "Hermann Göring" Ende Juni 1944 weit mehr als 200 Männer, Frauen und Kinder. Wegen dieses Massakers hatte ein Gericht in Rom 2008 den Familien der Opfer das Recht auf individuelle Entschädigungen zugesprochen. Das war der Anlass für Deutschland, damals erstmals den IGH anzurufen. Das Gericht entschied 2012, dass Deutschland italienische NS-Opfer nicht individuell entschädigen müsse. Entsprechende Urteile italienischer Gerichte seien unwirksam. Deutschland pocht nun darauf, dass Italien das vor zehn Jahren festgestellte Prinzip der Immunität von Staaten bei Zivilklagen in anderen Staaten anerkennt.

Italienischer VerfGH hält Klageausschluss für verfassungswidrig

Ungeachtet des damaligen Urteils entschied 2014 der italienische Verfassungsgerichtshof, dass Nazi-Opfer sehr wohl die Bundesrepublik grundsätzlich auf Entschädigung verklagen können. Eine Regelung, die derartige Klagen ausschließe, sei verfassungswidrig. Das Prinzip der Staatenimmunität gelte bei Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht. Seither gab es in Italien zwei Dutzend neue Verfahren gegen Deutschland. Ausländische Opfer des Nazi-Regimes mussten nach dem Zweiten Weltkrieg lange auf Entschädigungszahlungen warten. Die ersten sogenannten Globalabkommen mit europäischen Staaten wurden zwischen 1959 und 1964 geschlossen, das Abkommen mit Italien 1961. Der Vertrag über eine Zahlung von 40 Millionen D-Mark trat dann 1963 in Kraft. Rom sollte das Geld an Italiener verteilen, die "aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen" betroffen waren und "Freiheitsschäden oder Gesundheitsschädigungen erlitten" hatten. Hinterbliebene sollten ebenfalls bedacht werden.

Redaktion beck-aktuell, Ulrich Steinkohl und Manuel Schwarz, 2. Mai 2022 (dpa).