Das Abschneiden der Krawatte an Weiberfastnacht, am Tag, an dem die Frauen das Regiment übernehmen, gehört im Rheinland zu den üblichsten Bräuchen. Doch nicht jeder findet das witzig. Und schon vor vielen Jahren musste ein Gericht entscheiden: Durfte eine Reisebüroangestellte in Essen einem "äußerst eleganten Kunden", wie es im Tatbestand heißt, den Schlips abschneiden?
Nein, so die klare Antwort des AG Essen (Urteil vom 03.02.1988 - 20 C 691/87). Die Angestellte des Reisebüros habe vorsätzlich das Eigentum des Kunden zerstört. Auch wenn das Schlipsabschneiden an Weiberfastnacht Brauch sei, dürfe auf die Einwilligung des Kunden zum Eingriff (oder besser Übergriff) auf sein Eigentum nicht verzichtet werden. Auch eine Sozialadäquanz für ein solches Verhalten der Mitarbeiterin sei nicht erkennbar.
Auch wer einen unerlaubten sexuellen Übergriff begeht, darf keine Strafmilderung erwarten, nur weil Karneval ist, urteilte das LG Bonn (laut Kölnischer Rundschau vom 24.02.2012, Seite 38).
Gefährliche fünfte Jahreszeit
Auf den Straßen in Köln wuchs von Jahr zu Jahr das Scherbenmeer, eine echte Gefahr für viele Jecken. Das OVG Münster (Beschluss vom 09.11. 2010 - 5 B 1475 und 1476/10) bestätigte ein Glasverbot der Stadt Köln und hat den Einwänden von Kioskbesitzern eine Absage erteilt, die um ihr Geschäft fürchten. Trinken könne man an diesen Tagen auch aus Plastikbechern. Diese Entscheidung hat sich in den vergangenen Jahren sehr bewährt und das Glasverbot wird mittlerweile auch in vielen anderen Städten so umgesetzt.
Ansonsten zeigen Richter und Richterinnen aber rund um die jecken Tage viel Verständnis. Wer bei Veranstaltungen zu Fall kommt, muss schon sehr genau begründen, weshalb er den Veranstalter oder Mitfeiernde haftbar machen will. Wer bei der Veranstaltung "Lachende Kölnarena" (über 10.000 Besucher) in einem Pulk von Leuten auf der Treppe der Kölnarena stürzt, kann laut OLG Köln nicht auf Schadensersatz hoffen (Urteil vom 28.06.2002 - 19 U 7/02).
Auch ist nicht haftbar, wer als Gast versehentlich ein Glas umstößt, das zerbricht und daraufhin einen anderen verletzt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.08.2001 - 22 U 26/01). Und gewisse Lärmbelästigungen bei Karnevalsveranstaltungen auch auf öffentlichen Plätzen sind hinzunehmen, meinte das VG Köln (Beschluss vom 10.02.2012 – 13 L 139/12) und bestätigte die Ausnahmegenehmigung der Stadt Lohmar vom Landesimmissionsschutzgesetz.
Lebensrisiko am Zoch
Bei den Karnevalsumzügen gibt es fast schon eine ständige Rechtsprechung zur Verletzung durch "Wurfmaterial": Wer sich an einem Zugweg, bei dem mit Gegenständen – von Kamelle bis Pralinenschachtel – geworfen wird, in "Wurfweite" positioniert, muss sowohl damit rechnen, dass ihn ein solches "Wurfgeschoss" einmal unangenehm hart trifft, als auch damit, dass – im unglücklichsten Fall - sogar eine Verletzung entstehen kann. In dieses Risiko willige, wer dem Zug aus nächster Nähe zusehen wolle, ein, so die Gerichte.
Dies gilt nicht nur für die üblichen Kamelle, die - wie in einem Fall des LG Trier - bei einem Zuschauer zum Verlust eines Zahnes führten (Urteil vom 07.02.1995 - 1 S 150/94), sondern auch – so das AG Aachen (Urteil vom 10.11.2005 - 13 C 250/05) - für eine Pralinenschachtel, die eine Platzwunde verursachte.
Auch eine Augenverletzung durch eine 17 Gramm leichte Schokowaffel führt – so das Amtsgericht Köln (Urteil vom 07.01.2011 – 123 C 254/10) - nicht zu einer Haftung der Zugverantwortlichen. Das Gericht wies die Klage ab und führte dazu aus: "Eine Haftung der Karnevalsgesellschaft vermag das Gericht nicht zu erkennen. Weder trifft den teilnehmenden Verein vorliegend eine besondere Verkehrssicherungspflicht noch ist das Werfen von kleinen, leichten und abstrakt betrachtet ungefährlichen Gegenständen aus Anlass eines traditionellen Karnevalsumzuges rechtswidrig. Eine Verletzung wie von der Klägerin vorgetragen stellt sich angesichts des erlaubten Handelns der Gesellschaft als bedauerliches Unglück dar."
Gleiches gilt bei einer Tulpe, so das AG Eschweiler (Urteil vom 03.01.1986 - 6 C 599/85), wobei es aus der Sicht des Gerichts keine Rolle spielte, ob die Tulpe steif gefroren (so der Kläger) oder eher "schlapp und welk" (so der Beklagte) gewesen ist.
Wer während des Zugverlaufs zwischen Gruppen und Motivwagen die Straßenseite wechseln möchte, ist ebenfalls selbst für dabei entstehende Verletzungen verantwortlich, so das AG Waldkirch (Urteil vom 25.03.1999 - 1 C 12/99). Über Besonderheiten sollte man sich als Zuschauer auch informieren. So war es im Bezirk des LG Trier (Urteil vom 05.06.2001 - 1 S 18/01) bei einem Umzug üblich, mit einer Weinbergskanone Schüsse abzufeuern. Wer hierbei ein "Knalltrauma" erleidet, kann keinen anderen dafür in Haftung nehmen.
It’s the economy, stupid
Doch Karneval ist auch ein Geschäft, gerade die Redner und Musikgruppen leben oft von den wenigen Wochen im Jahr. Das OLG Köln (Urteil vom 28.05.2010 - 6 U 9/10) entschied, dass der Werbeslogan "Karneval ohne Kostüme ist wie Bläck ohne Fööss" ohne die Einwilligung der Kölner Band eine unbefugte Werbung mit der Ausnutzung eines bekannten Namens darstellt. Das Geschäft, das damit geworben hatte, kostete das rund 11.000 Euro, die die Band Bläck Fööss für gute Zwecke stiftete.
Den Verkauf von Karnevalsorden durch einen Karnevalsverein (und nicht das Verschenken) sieht das FG Köln als gewerbliche Tätigkeit an, die zu steuerpflichtigen Umsätzen führt (Urteil vom 18.04.2012 – 13 K 1075/08). Veranstaltet ein gemeinnütziger Karnevalsverein in der Woche zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch eine Kostüm- und Tanzparty mit typischer Karnevalsmusik, karnevalistischen Tanzdarbietungen und weiteren Elementen klassischer Karnevalssitzungen, so handelt es sich um einen sogenannten Zweckbetrieb zur Förderung des "traditionellen Brauchtums". Die Gewinne aus diesen Veranstaltungen sind von der Körperschaftsteuer befreit. Für die Umsätze ist nur der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7% zu zahlen, meint auch das FG Köln (Urteil vom 20.08.2015 - 10 K 3553/13).
Wer sich gar entscheidet, im Dreigestirn oder als Prinz an exponierter Stelle dabei zu sein, muss die meisten Kosten seiner Regentschaft selber tragen. Das Festkomitee ist nicht verpflichtet, ihm eine Spendenquittung auszustellen, urteilte das LG Bonn (LG Bonn, Urteil vom 01.02.2011 – 8 S 248/10).
Wer vom "närrischen Recht" jetzt noch nicht genug hat, dem sei noch eine Entscheidung des LG Köln empfohlen (Urteil vom 22.01.1986 - 19 S 138/85): Darin schildert der Richter einen Verkehrsunfall an "Wieverfastelovend" (Anm. d. Red.: Weiberfastnacht) und bewertet auf unvergleichliche Weise die Zeugenaussagen von Mitgliedern der "Treuen Husaren" sowie der "Fahrerin eines schwarzen Japaners".
Dass auch die Justiz Spaß am närrischen Treiben hat, bewiesen erst vor wenigen Tagen das FG und das VG Köln, beide ansässig am Appellhofplatz. Sie empfingen erstmalig das Kölner Dreigestirn in dem altehrwürdigen Gebäude, übergaben eine Spende für einen guten Zweck und ernannten das Dreigestirn mit eigenen Urkunden zum „Reechter am Appellhof“ – eine schöne Idee.
Rechtsanwalt Martin W. Huff ist Major der Reserve der Ehrengarde der Stadt Köln von 1902 e.V. Noch mehr zur närrischen Justiz erzählt er in der aktuellen Folge des beck-aktuell Podcasts von und mit Mathias Bruchmann.