Nach Freispruch der Eltern: "Horror-Missbrauch"-Skandal schlägt weiter Wellen

Er wird als einer der größten Justizskandale jüngerer Vergangenheit gehandelt: Der Fall des vermeintlichen "Horror-Missbrauchs" von Goslar. Die Lügen der Tochter sind höchstrichterlich enttarnt, die Eltern freigesprochen. Wird nun auch das Verfahren der verurteilten Ex-Freundin neu aufgerollt?

Sie mögen eine Geldentschädigung bekommen, doch der Schaden ist damit längst nicht wettgemacht: 684 Tage saß ein Elternpaar aus dem niedersächsischen Bad Harzburg in Haft. Nach extrem schwerwiegenden Vorwürfen gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Vergewaltigung ihrer Tochter sprach sie das LG Braunschweig im Juni 2023 schuldig: Dreizehneinhalb Jahre mit anschließender Sicherungsverwahrung für die Mutter, neuneinhalb Jahre für den Vater.

Der BGH hob das Urteil wegen fehlerhafter Beweiswürdigung auf, das neu aufgerollte Verfahren brachte die Wahrheit ans Licht: Sämtliche Vorwürfe der Tochter waren erfunden. Im September kam das LG zu der Überzeugung, dass "die angeklagten Taten nicht stattgefunden" hätten und sprach die Eltern frei. Ein langwieriger Befreiungsschlag, der nun für andere Beteiligte der "Justizkatastrophe" weitere Verfahren nach sich ziehen könnte. Gegen die Tochter selbst wird nach mehreren Strafanzeigen wegen falscher Verdächtigung ermittelt, bisher ohne Anklage.

Verurteilung der Ex-Freundin steht infrage

Der "Horror-Missbrauch" war nicht das erste Mal, dass die damals mittzwanzigjährige Tochter schwerwiegende Vorwürfe erhob. Zuvor hatte sie ihre Ex-Partnerin, die sie bei ihrem Aufenthalt in einer Psychiatrie kennengelernt hatte, wegen schwerer Misshandlung, Todesdrohungen und versuchtem Totschlag angezeigt. Die Frau aus Salzgitter war im Juli 2022 zu über sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, und zwar aufgrund eines Geständnisses, das nun mehr denn je infrage steht.

Die Staatsanwaltschaft stellte einen Wiederaufnahmeantrag, den das LG Göttingen nun jedoch als unzulässig zurückgewiesen hat, wie Zeit und NDR berichten. Dem Antrag könnten keine Gründe entnommen werden, die zu einem Freispruch oder einer milderen Bestrafung führen könnten, so das niedersächsische Gericht. Das Gericht hat noch über den gleichlaufenden Antrag des Anwalts der Ex-Partnerin zu entscheiden, der die Sache als einen der "größten Justizirrtümer der Nachkriegszeit" bezeichnet hatte.

Oberstaatsanwältin im Visier

Die Eltern haben inzwischen die in ihrem Verfahren zuständige Oberstaatsanwältin wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung angezeigt. Der Vorwurf: Sie soll einen stark entlastenden Zwischenbericht der Polizei Braunschweig nicht umgehend an das Landgericht weitergeleitet haben. Nach Informationen des NDR soll der Bericht der "Ermittlungsgruppe Eisberg" nach dem ersten Urteil eine Reihe entlastender Beweise "akribisch aufgeführt" haben. Doch weder das LG noch der BGH hätten diesen Bericht je zu Gesicht bekommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft prüft derweil, inwieweit die Staatsanwaltschaft hier hätte tätig werden müssen. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hatte zunächst die Staatsanwaltschaft Göttingen mit der Prüfung beauftragt: Dort sah man bisher kein strafbares Verhalten der Braunschweiger Kollegen. Nun prüft die Generalstaatsanwaltschaft. Der Rechtsanwalt der Eltern hat gegenüber dem NDR bereits erklärt, man wolle eine Aufnahme von Ermittlungen gerichtlich erzwingen, sollte die Anzeige erfolglos bleiben. 

Redaktion beck-aktuell, tbh, 30. September 2025.

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