Aufarbeitung der IS-Terroranschläge in Paris
In dem Prozess war die Anschlagsserie vom 13.11.2015 aufgerollt worden, bei der Extremisten in Paris binnen weniger Stunden 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt hatten. Sie richteten ein Massaker im Konzertsaal "Bataclan" an und verbreiteten Terror auch in Bars und Restaurants. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte die Anschläge später für sich. Drei Selbstmordattentäter sprengten sich während eines Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und Frankreich am Stade de France in die Luft. Einer wurde noch am Abend von der Polizei erschossen, weitere starben bei einem Polizeieinsatz wenige Tage später. Die Urteilsverkündung im Pariser Justizpalast hatte sich bis in den Mittwochabend verzögert. Deshalb verzichtete der Vorsitzende Richter Jean-Louis Périès schließlich darauf, die 120 Seiten des Urteils vollständig zu verlesen.
Lebenslang für Abdeslam - Haftstrafen auch gegen 19 weitere Beteiligte
Das Schwurgericht verhängte gegen den Hauptangeklagte Salah Abdeslam lebenslange Haft ohne Möglichkeit einer Verkürzung vor Ablauf von 30 Jahren. In Belgien war Abdeslam bereits wegen Schüssen auf die Polizei bei seiner Festnahme zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Inwiefern die Strafen aufaddiert oder miteinander verrechnet werden, müssten beide Länder nun klären, sagte ein Justizsprecherin am Abend. 19 weitere Angeklagte wurden als Unterstützer oder Beteiligte der Anschlagserie zu zwei Jahren bis lebenslanger Haft verurteilt. Sechs der Angeklagten wurden in Abwesenheit verurteilt: Einer sitzt in der Türkei in Haft, die fünf anderen sollen in Syrien gestorben sein.
Funktionsunfähige Sprengstoffweste verhinderte Selbsttötung
Die Angeklagten verfolgten die Begründung mit ernsten Gesichtern. Périès listete in schnellem Tempo auf, weshalb das Gericht praktisch alle Anschuldigungen für bewiesen hält. Er zog auch Abdeslams Schilderung in Zweifel, er habe sich in letzter Minute gegen die Anschläge entschieden und sich deshalb nicht in die Luft gesprengt. Seine Sprengstoffweste sei schlicht nicht funktionsfähig gewesen, erkannte das Gericht. "Die Gerechtigkeit ist gesprochen. Sie wird den Schrecken der Taten, die am 13. November 2015 begangen wurden, nicht auslöschen. Aber sie ist ein starker Schritt für alle Überlebenden, für alle Franzosen", reagierte noch am Abend Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne auf das Urteil. "Heute sind meine Gedanken bei den Opfern, den Überlebenden und ihren Angehörigen. Für viele kann nun endlich die Zeit des Wiederaufbaus beginnen. Wir sind und bleiben bei ihnen."
Bald auch Prozess gegen Amok-Fahrer von Nizza
Der Prozess mit mehr als 140 Verhandlungstagen wurde weit über Frankreich hinaus verfolgt. Mehrere Wochen zu Beginn des Prozesses waren den Aussagen von Überlebenden und Hinterbliebenen gewidmet, in denen die Horrornacht hundertfach in persönlichen Schicksalen geschildert wurde. Frankreichs damaliger Präsident François Hollande betonte nach der Urteilsverkündung, dass es der Wahrheitsfindung gedient habe, das Ausmaß der Leiden und Schmerzen zu erfassen. "Die Schuldigen wurden rechtsstaatlich abgeurteilt. Frankreich hat deutlich gemacht, dass unsere Demokratie standhaft sein kann, ohne ihre Regeln und Grundsätze in Frage zu stellen." Die schmerzliche Aufarbeitung des islamistischen Terrors beschäftigt Frankreich auch nach Ende des Prozesses um die Pariser Anschläge weiter. Denn schon bald wird im gleichen Gerichtssaal ein weiterer Anschlag verhandelt - aus dem südfranzösischen Nizza nur acht Monate später. Auf der Strandpromenade starben am Nationalfeiertag, dem 14.07.2016, 86 Menschen bei der Amokfahrt mit einem Lkw. Auch diese Tat reklamierte die Terrorgruppe Islamischer Staat für sich.