Haftungsfalle mit Ansage: Neue NRW-Gerichtszuständigkeiten sorgen für Ärger bei Anwälten
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Am 1. Juli 2025 haben sich in NRW die Zuständigkeiten für bestimmte Zivilverfahren geändert. Viele Anwälte haben aber gar nicht mitbekommen, dass Klagen und Rechtsmittel beim bisher zuständigen Gericht jetzt als unzulässig angesehen werden. Martin W. Huff über das Problem - und mögliche Lösungen.

Welche Gerichte in Nordrhein-Westfalen für welche erst- und zweitinstanzlichen Verfahren zuständig sind, ergibt sich leider nicht aus der ZPO, dem GVG oder aus einem anderen bundesweit geltenden Gesetz, sondern aus der sehr umfangreichen Justizzuständigkeitsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (JuZUVo). Diese Verordnung wurde am 3. Juni 2025 in wesentlichen Punkten geändert, die am 1. Juli 2025 in Kraft getreten sind.

So sind zum Beispiel Verfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) nun gemäß § 18a für alle drei OLG-Bezirke des Landes (Düsseldorf, Hamm und Köln) dem OLG Hamm zugewiesen. Nach § 27a der Verordnung gilt das Gleiche für alle Berufungen und Beschwerden in Streitigkeiten aus der Berufstätigkeit unter anderem der Rechtsanwälte, der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Presserechtliche Ansprüche hingegen gehören jetzt zum OLG Köln.

Verfahren, die vor dem 1. Juli 2025 begonnen haben, bleiben aber wohl bei dem bisher zuständigen OLG – "wohl", weil auch diese Formulierung nicht ganz eindeutig ist. Denn 27a Abs. 2 JuZuVo lautet: "Für Verfahren, die vor dem 1.7.2025 anhängig geworden sind, verbleibt es bei der bisherigen Zuständigkeit". Dazu kann man durchaus die Auffassung vertreten, dass man unter "anhängig" auch den Beginn der ersten Instanz verstehen kann. Auf diese Änderungen hat das NRW-Justizministerium zwar am 18. Juni 2025 durch eine Presseerklärung hingewiesen. Doch es kam, wie es kommen musste.

Müsste das Gericht nicht weiterleiten?

In einem Fall der Anwaltshaftung legte ein Prozessbevollmächtigter am 11. Juli Berufung gegen ein Urteil des LG Düsseldorf zum OLG Düsseldorf ein. Richtig wäre aber nun, siehe oben, die Berufung zum OLG Hamm gewesen. Das OLG Düsseldorf wies den Kollegen am 14. Juli 2025 darauf hin, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, weil das OLG Hamm zuständig sei. Es regte die Rücknahme der Berufung an.

Doch ist das richtig? Hätte das OLG Düsseldorf die Berufungsschrift, da die Berufungsfrist noch nicht abgelaufen war, nicht an das zuständige OLG Hamm weiterleiten müssen? Das könnte sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 GG ergeben. Danach müssen Gerichte im Rahmen des normalen Geschäftsgangs versuchen, Schäden für den Rechtssuchenden zu verhindern.

Das hat der BGH erst im vergangenen Jahr im Fall des Versands der Rechtsmittelschrift an ein unzuständiges Gericht entschieden (Beschluss vom 23.10.2024 – XII ZB 576/23). Und zwar vor allem dann, wenn eine fristgerechte Weiterleitung noch möglich ist. In Zeiten des elektronischen Rechtsverkehrs dürfte die rasche Weiterleitung von Düsseldorf nach Hamm kein Problem sein. Bereits 2018 hatte der BGH entschieden, dass bei einer Sonderzuständigkeit eines OLG-Senats in einem Verfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz eine Berufung auch fristwahrend bei dem allgemein zuständigen Oberlandesgericht eingelegt werden kann (Beschluss vom 17.7.2018 - EnZB 53/17).

Dieser Rechtsgedanke spricht dafür, das Schreiben des OLG Düsseldorf für angreifbar zu halten; dann wäre die Berufung nicht unzulässig.

Die anwaltliche Prüfpflicht überspannt

Hinzu kommt, dass die geänderten Zuständigkeiten sehr kurzfristig veröffentlicht worden sind. Die Presseerklärung des JM war eher allgemein gehalten und enthielt auch keine Verlinkung zu den anstehenden Änderungen. Am 18. Juni, als sie veröffentlicht wurde, war die geänderte Verordnung – soweit ersichtlich – noch gar nicht im Internet verfügbar. Wer nimmt eine Presseerklärung eines Landesministeriums schon außerhalb des Bundeslands wahr?

Und wer überprüft als Rechtsanwalt in jedem Bundesland die Justizzuständigkeitsverordnungen? Das ist einfach nicht machbar – und es dürfte eine Überspannung der anwaltlichen Pflichten sein, von der Anwaltschaft zu verlangen, tagesaktuell zu überprüfen, ob sich in einem Bundesland, versteckt in einer Änderungsverordnung, eine Zuständigkeit geändert hat.

Die Justiz muss zumindest drauf hinweisen

Vielmehr könnte man die Auffassung vertreten, dass die Justiz selbst verpflichtet ist, auf solche Änderungen hinzuweisen. In der Rechtsbehelfsbelehrung dürfte das selbstverständlich sein. Sehr ärgerlich ist natürlich, dass es in dem Fall des betroffenen Anwalts keine Rechtsmittelbelehrung gab. Darauf können Gerichte gemäß § 232 ZPO verzichten - aber in solchen besonderen Fällen sollten sie das ganz sicher nicht tun, hier ist auch die Justiz in der Pflicht.

Wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung vorhanden war, aber noch nicht auf die neue Sonderzuständigkeit hinwies, können die Anwältinnen und Anwälte auf jeden Fall erfolgreich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen, denn in solchen Fällen müssen sie die Richtigkeit nicht überprüfen.

Eine Information der Öffentlichkeit dürfte sich wohl auch nicht auf den Versand einer Pressemitteilung beschränken, die traditionell kaum jemanden außerhalb des landeseigenen Presseverteilers erreicht. Denken könnte man an ein Portal, in dem die Zuständigkeit für alle potenziellen Klägerinnen und Kläger sofort erkennbar ist.

Zumindest sollten, so man keine Weiterleitungspflicht annehmen wollte, die bisher zuständigen Gerichte eine Hinweispflicht haben in dem Sinne, dass sie eine Anwältin, die sich fälschlich an sie wendet, sofort über die Änderung der Zuständigkeit informieren müssen, und zwar möglichst tagesaktuell. In einem Rechtsstaat sollten solche Informationspflichten eigentlich selbstverständlich sein.

Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in Singen (Hohentwiel) und ehemaliger Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge u.a. zu berufsrechtlichen Themen.

Redaktion beck-aktuell, Martin W. Huff, 21. Juli 2025.

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